Ein Gespräch mit der Afrikanistin Anette Hoffmann über das Humboldt-Forum

»Das schafft nur schizophrene Museen«

Interview Von Peter Nowak

Anette Hoffmann, Kulturwissenschaftlerin und Afrikanistin, über die Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums und die Restitution kolonialer Raubkunst

Kürzlich veröffentlichte der Mandelbaum-Verlag Ihr Buch »Kolonialgeschichte hören. Das Echo gewalt­samer Wissensproduktion in historischen Tondokumenten aus dem südlichen Afrika«. Können Sie den Gegenstand Ihrer Forschung genauer beschreiben?

Ich arbeite seit über zehn Jahren zu Sammlungen mit historischen Tonaufnahmen aus dem südlichen Afrika. Diese Tonaufnahmen machten deutsche Forscher seit Beginn des 20. Jahrhunderts für die Erforschung von Musik und Sprachen. Sie sind Teil einer kolonialen Wissensproduktion, das heißt sie wurden mit rassistischen Vorstellungen von weißer Überlegenheit und meist unter Zwangsbedingungen hergestellt. Tonaufnahmen wurden in Kriegsgefangenenlagern sowie mit Darstellerinnen und Darstellern von Völkerschauen in Deutschland, aber auch in Gefängnissen und Polizeistationen zum Beispiel im südlichen Afrika gemacht. Die Aufnahmen wurden dann als Sprachbeispiele archiviert. Bisher wurden sie selten auf ihre historischen Inhalte hin untersucht. Genaues Hören und Übersetzen dieser akustischen Zeitzeugendokumente machen deutlich, dass die sogenannten Sammelpraktiken oder das Verhalten der Forscherinnen und Forscher bereits vor über 100 Jahren sehr deutlich kritisiert wurden, nämlich von den Erforschten.

Hat die digitale Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin vergangene Woche die Diskussion über koloniale Raubkunst in Deutschland weitergebracht?

Unbedingt! Nur leider nicht absichtlich. Abgesehen davon, dass ich mich frage, wie nach vielen kritischen Debatten noch immer unbeirrt geraubte Kunst aus aller Welt ausgestellt werden kann, denke ich, das einzig Positive am Humboldt-Forum ist vielleicht, dass die Diskussion über erbeutete Kunst und über geraubte menschliche Überreste aus kolonisierten Ländern endlich innerhalb einer breiteren Öffentlichkeit geführt wird.

Wann hat diese Diskussion begonnen?

Forderungen, aus Namibia und Tansania geraubte Gebeine zu restituieren, wurden oft bereits vor Jahrzehnten gestellt. Diese Forderungen wurden durch die resolute Kritik zum Beispiel von der Initiative »No Humboldt 21!« oder dem Verein Berlin Postkolonial sowie von vielen weiteren Aktivistinnen, Künstlern und Forscherinnen verstärkt in die Öffentlichkeit getragen. Pro­jekte wie die systematische Aufarbeitung der anthropologischen Schädelsammlung Blumenbachs (Johann Friedrich Blumenbach, Anatom und Anthropologe, 1752–1840, Anm. d. Red.) an der Universität Göttingen, die jetzt von der Volkswagenstiftung gefördert wird, oder die seit 2019 vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderte Provenienzforschung zu sogenanntem Kultur- und Sammelgut aus kolonialen Kontexten sind greifbare Reaktionen auf den gesellschaftlichen Druck, den diese Debatten erzeugt haben. Die Impulse für die Aufarbeitung der sogenannten Sammeltätigkeit als Raub kamen aber nicht aus deutschen Museen und kaum aus hiesigen Universitäten. Sie wurden durch die Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren aus den Herkunftsländern und in Deutschland erzwungen.

»Es ergibt wenig Sinn, die Herkunft von Beutekunst offenzulegen und sie dann in schön beleuchtete Vitrinen zu stellen.«

Wie diskutieren Forscherinnen und Forscher beispielsweise in Namibia und Südafrika darüber, dass europä­ische Museen geraubte Gegenstände aus diesen Ländern ausstellen?

In Südafrika wurden seit dem Ende der Apartheid auch die Museen transformiert. Repräsentationen von schwarzen Menschen als sogenannte Eingeborene in Naturkundemuseen, die Ausstellung der Knochen ihrer Ahnen und die Degradierung ihrer Kunstwerke als »Ethnologica« wurden nicht mehr toleriert. Außerdem wurde sehr intensiv diskutiert, wer Geschichte wie und mit welchem Quellenmaterial erzählt. Ich habe mehrere Jahre an südafrikanischen Universitäten gearbeitet. Dort ist man über die Provinzialität deutscher Diskussionen oft sehr erstaunt.

Spielte dort auch das Humboldt-­Forum in Berlin eine Rolle?

Bei einem Workshop über das Humboldt-Forum in Johannesburg im Jahr 2016 wurden die großspu­rigen Ideen der Gründungsintendanten des Forums (der britische Kunsthistoriker Neil MacGregor, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, Anm. d. Red.), denen zufolge das Forum ein »Schlüssel zur Welt« sein sollte, scharf kritisiert. Unter anderen wies die namibische Historikerin Memory Biwa auf die vielen blinden Flecken in der Auseinandersetzung mit der eigenen, deutschen Kolonialgeschichte und der Herkunft der zu zeigenden Schätze hin. Bei einer Konferenz der Uni­versity of Namibia in Windhoek 2018 wurde der Ärger insbesondere einer jungen Generation von Forscherinnen und Aktivisten deutlich, die sich fragen, warum mehr als 100 Jahre nach dem kolonialen Krieg und dem Genozid in Namibia die meisten der geraubten Gebeine und Objekte aus Namibia noch immer nicht restituiert wurden; warum Museen bisher nicht in der Lage gewesen sind, ­Herkunftsländer von sich aus umfassend über er­beutete Objekte zu informieren. Es wurde auch immer wieder nach dem Rechtsempfinden deutscher Museen und Institutionen gefragt, denen beispielsweise die Erbeutung von Objekten und Gebeinen während des Krieges in Namibia bekannt ist und die doch hartnäckig an geraubten Ob­jekten festhalten.

Vergangene Woche sorgte die Forderung der nigerianischen Regierung nach Restitution der Benin-Bronzen, die ab Herbst kommenden Jahres im Humboldt-Forum ausgestellt werden sollen, für Aufsehen. Ist das eine überraschende Forderung?

Nein. Soweit ich weiß, gab es bereits in den siebziger Jahren Rückgabeforderungen aus Nigeria, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ignoriert hat. Seit ungefähr zehn Jahren informiert die nigerianische Künstlerin und Kunsthistorikerin Peju Layiwola auch in Deutschland darüber, was es zum Beispiel für die Kunstgeschichte eines Landes bedeutet, wenn fast alle wichtigen Kunstwerke des Landes geraubt wurden, also nirgendwo ausgestellt werden können. Die kostbaren Benin-Bronzen sind immer noch in Deutschland. Ich finde es befremdlich, dass ­Kuratoren und Intendanten des Humboldt-Forums denken, man könne die bekannterweise nur durch die Plünderung eines Königspalasts (des Königreichs Benin im heutigen Nigeria durch britische Truppen 1897, Anm. d. Red.) auf dem Kunstmarkt gelandeten Objekte weiterhin ausstellen. Sollte die von den Verantwortlichen des Forums vielbeschworene Weltläufigkeit Berlins 2021 also darin bestehen, sich auf der Mu­seumsinsel in einer Schlossattrappe als Ausstellerin geraubter Kunstschätze aus Nigeria zu präsentieren?

Was halten Sie von der Forderung, die Herkunft der ausgestellten Objekte offenzulegen?

Diese Forderung greift zu kurz. Es ergibt wenig Sinn, die Herkunft von Beutekunst offenzulegen, also zuzugeben, dass diese geraubt wurde, und sie dann in schön beleuchtete Vitrinen zu stellen, wie das zum Beispiel im Weltmuseum in Wien getan wird. Das schafft nur schizophrene Museen. Während es in Deutschland bezüglich der von den Nazis beschlagnahmtem Kunstwerke jüdischer Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer ein klares gesellschaftliches Unrechtsbewusstsein gibt, scheint dieses in Bezug auf die Beutekunst der ehemals kolonisierten Länder noch immer nicht vorhanden zu sein.

Was halten Sie von der kürzlich freigeschalteten Website »Barazani B­erlin«, die die Proteste gegen das Humboldt-Forum dokumentiert?

Barazani (Kiswahili für Forum oder Versammlung) ist eine sehr gelungene Form, den mehr als zehn Jahre andauernden Widerstand gegen das Humboldt-Forum als zu kurz gedachtes, chauvinistisches Projekt zu dokumentieren und vielfältige dekoloniale Sichtweisen zu verknüpfen. Hier kommen Aktivistinnen wie Esther Muinjangue aus Namibia, Mnyaka Sururu Mboro, der seit vielen Jahren nach dem Kopf des von den Deutschen exekutierten Mangi Meli sucht, und Vincent Bababoutilabo von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zu Wort. Es werden Vorschläge gemacht, wie Kolonialgeschichte inklusiv in der Gegenwart besprochen und dargestellt werden kann. Mit den auf der Seite vorhandenen Filmen, Bildern und Texten wird eben das auch umgesetzt. Es gibt Hörstücke, Gedichte, Interventionen, ein Interview mit Felwine Sarr (senegalesischer Sozialwissenschaftler, Anm. d. Red.) und Bénédicte Savoy (französische Kunsthistorikerin, Anm. d. Red.) zu Restitutionsfragen kann angeschaut werden. Barazani zaubert den leeren Schlossplatz wieder hervor, an dem dekoloniale Dialoge und Diskussionen geführt wurden und werden, und der nun leider mit einem Preußenschloss überbaut ist, das Chancen verschenkt und historische Beleidigungen wiederholt.
 

 

Anette Hoffmann ist ­Kulturwissenschaftlerin, ­Afrikanistin und Kura­torin. Sie hat mehrere Jahre an ­südafrikanischen Universitäten gearbeitet und forscht am Institut für Afrikanistik und Ägyptologie der Univer­si­tät Köln, unter anderem zu kolonialen Sammlungen und Archiven.