Das Schulchaos belastet Frauen und Kinder am stärksten

Wer die Folgen trägt

Kommentar Von Andrea Trumann

Die indirekten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie belasten insbesondere Frauen und Kinder.

Frauen und Kinder trifft die Pandemie besonders hart. Ende April 2020 konnten nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) weltweit etwa 1,5 Milliarden Kinder und Jugendliche nicht in die Schule gehen, Anfang Dezember waren es Unicef zufolge immer noch rund 320 Millionen Kinder. Viele Kinder haben so nicht nur den Kontakt zu ihren Freunden verloren oder müssen auf die einzige richtige Mahlzeit am Tag verzichten. Oft sind sie auch komplett vom Lernen ausgeschlossen, weil digitaler Unterricht nicht ermöglicht wird – es fehlen gute Internetverbindungen, Geräte und Betreuung.

Weltweit haben Frauen auch vor der Pandemie bereits zwei Drittel der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit geleistet. Die Mehrbelastungen, die durch Schul- und Kitaschließungen entstanden, werden vor allem von ihnen getragen. Dies war auch in Deutschland nicht anders: Über zehn Stunden verbrachten Frauen im ersten lockdown durchschnittlich täglich mit Reproduktionsarbeit. Zwei Drittel der Mütter von Kindern unter 13 Jahren gingen in dieser Zeit zudem noch einer Lohnarbeit nach. Entweder haben sie wohl aufs Schlafen verzichtet oder ihre Arbeitszeit deutlich reduziert.

Dem Wirtschaftsstandort Deutschland ging dadurch aus Sicht von Staat und Kapital zu viel Arbeitskraft verloren, weswegen Politikerinnen und Politiker nach den Sommerferien ihr Herz für die Emanzipation der Frau und für benachteiligte Kinder entdeckten. Deren Problemen sollte mit der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts begegnet werden. So saßen wieder oftmals über 30 Schüler und Schülerinnen in einem Klassenraum beieinander, die Infektionsgefahr sollte durch Lüften gebannt werden. Wenn es Covid-19-Fälle an Schulen gab, hätten sich die Kinder jedenfalls nicht dort angesteckt, war aus den Kultusministerien zu hören – Schulen und Kitas seien keine »Infektionsherde«. Die Bildungsverwaltungen verunmöglichten jeden Versuch der Lehrenden oder Lernenden, alternative Beschulungsformen wie Hybridunterricht oder geteilte Klassen zu etablieren. Begründet wurde dies jedes Mal damit, dass Entlastung für berufstätige Eltern nötig sei und Nachteile für ohnehin benachteiligte Kinder vermieden werden müssten. Letzteres darf vor dem Hintergrund des segregierten Bildungssystems in Deutschland wohl in vielen Fällen als vorgeschobenes Argument betrachtet werden. Es ist vielmehr die in Deutschland verbreitete Vorliebe für direkte Kontrolle, verbunden mit der Neigung des Staates, Lasten auf die Bürger abzuwälzen, um derentwillen die Präsenz erzwungen werden soll.

Nun aber sitzen Eltern und Kinder wieder alle zusammen zu Hause. Gerade die Frauen wissen oft nicht, wo ihnen der Kopf steht und wie sie die kommenden Wochen bewältigen sollen. Hätten die Verantwortlichen jedoch eine langfristige Strategie entwickelt, wäre es durchaus möglich gewesen, für alle Kinder eine den Pandemiebedingungen angemessene Betreuung zu etablieren: Die Präsenzpflicht aufzuheben und für Schüler ab der 7. Klasse digitalen oder hybriden Unterricht anzubieten, hätte eine Perspektive geboten. In Los Angeles funktioniert durchgängiger Online-Unterricht sogar für alle Jahrgangsstufen: Das County hat jedem Kind ein Tablet und den notwendigen Internetzugang finanziert; selbst das Schulessen wird für die, die es benötigen, mit einem Fahrdienst nach Hause geliefert. In Dänemark wurden die Klassen bereits im Frühjahr geteilt und mehr Personal eingestellt, so konnten auch bei steigenden Infektionszahlen Kitas und Grundschulen für Kinder, die ihrer bedürfen, geöffnet bleiben; die anderen bekamen parallel Online-Unterricht. In Kroatien findet der Unterricht teilweise über das Fernsehen, teilweise über die Internetseite des Bildungsministeriums statt.

In Deutschland hat der Präsenzzwang dagegen Chaos mitverursacht, auf Kosten der Frauen und der benachteiligten Kinder und wahrscheinlich auch – oh Graus! – zum Schaden der Wirtschaft.