Deniz Yücel in Untersuchungshaft

Freilassen. Sofort!

Nach 13 Tagen in Polizeigewahrsam muss Deniz Yücel nun in Untersuchungshaft- auf unbestimmte Zeit. Journalisten und Menschenrechtsorganisationen fordern seine sofortige Freilassung, der Protest wächst. Die Bundesregierung zeigt sich bisher nur »enttäuscht«.

Der für die Welt als Korrespondent in die Türkei entsandte Journalist Deniz Yücel bleibt weiterhin in der Türkei in Haft. Er ist am Montag aus dem Polizeigewahrsam in die Untersuchungshaft überführt worden. Rechtlich ist das ein gravierender Unterschied. Der 13tägige Polizeigewahrsam, der ohne Hinzuziehung eines Richters verhängt wird und der keinerlei Kontrolle unterliegt, ist rechtsstaatlich prinzipiell bedenklich. Die Untersuchungshaft, die von einem Richter angeordnet werden muss, entspricht formal dem, was ein Rechtsstaat verlangt. Allerdings müssen die Anwälte des in Haft Genommenen auch die Möglichkeit haben, dagegen vorzugehen – was vor allem die Einsicht in die Verfahrensakte voraussetzt. Die kennen Yücels Anwälte aber bislang nicht. Es gibt offenbar einen Geheimhaltungsbeschluss.

Auch darf nach rechtsstaatlichem Verständnis die U-Haft, die ja einen Menschen trifft, für den die Unschuldsvermutung gilt, weder die Verurteilung vorwegnehmen, noch über Gebühr lange dauern. Der Regelfall in Deutschland ist: nicht länger als sechs Monate. Gefangene aus der Roten Armee Fraktion (RAF) saßen in den siebziger Jahren bisweilen jahrelang in U-Haft, allerdings lief da immerhin schon ihr Verfahren. Und Akteneinsicht gab es auch.

Die Vorgehensweise der türkischen Polizei und Justiz gegen Deniz Yücel, der lange Zeit Redakteur der Jungle World und der Taz war, zeigt, dass die Einhaltung formaler rechtsstaatlicher Kriterien noch lange kein rechtsstaatliches Verfahren sicherstellt. In der Anhörung Yücels vor der Staatsanwaltschaft und anschließend vor Gericht, die ja nicht öffentlich stattfanden, ging es nach dem, was wir von seinen Freunden und Unterstützern wissen, ausschließlich um die von ihm in der Welt veröffentlichten Texte. Rechtlich werden sie offenbar teilweise als Aufwiegelung zum Völkerhass und Werbung für terroristische Vereinigungen gewertet. Das sind Straftatbestände, die es auch in anderen Rechtsordnungen gibt, auch in der deutschen (Paragraph 129a Absatz 5 StGB: für Werbung Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren, Paragraph 130 Volksverhetzung: drei Monate bis fünf Jahre Haft). Diese Äußerungsdelikte laufen stets Gefahr, mit dem Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit zu kollidieren. Je weniger unabhängig die Gerichte sind, je stärker die Rechtsanwendung politischen Vorgaben folgt, desto größer ist die Gefahr der Eskalation. Aus bedenklichen Strafvorschriften werden in Zusammenspiel mit dem hohen Strafmaß effiziente Instrumente für die Bekämpfung von Meinungen, die Einschüchterung und die Verhinderung von freier Informationen. Das ist in der Türkei seit Jahren immer mehr der Fall. Seit der Niederschlagung des Putschversuches im Juli vorigen Jahres sind mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten inhaftiert worden – in den meisten Fällen gibt es bis heute noch nicht mal eine Anklageschrift. So wird aus der Untersuchungshaft, die ein Verfahren ermöglichen soll, ein Gewalt- und Willkürakt, der einschüchtern soll. Ein Schuldnachweis wird dafür nicht benötigt -nicht einmal für einen Verstoß gegen so gut zu instrumentalisierende Gesetze wie die hier einschlägigen Äußerungsdelikte.

Das Verfahren gegen Yücel muss in Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Repression in der Türkei gesehen werden. Außer Journalisten sind 40 000 Menschen nach dem Putschversuch inhaftiert worden und warten in türkischen Gefängnissen auf ihre Gerichtsverfahren. Deswegen ist es richtig, neben seiner Freilassung die der anderen inhaftierten Journalisten zu fordern. Pressefreiheit ist, auch wenn das etwas pathetisch klingen mag, unteilbar. Es ist gleichzeitig aber auch ein besonderes Verfahren: Yücel hat neben seiner türkischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft und er ist Korrespondent einer deutschen liberalkonservativen Tageszeitung. Mit seiner Inhaftierung möchte die Türkei Stärke auf europäischem und internationalem Parkett signalisieren. Sie sucht den Konflikt , anstatt ihn zu vermeiden – offenbar in der festen Überzeugung, dass ihr nichts entgegengesetzt werden kann.

Die Reaktionen der Bundesregierung sind zwar jüngst schärfer und deutlicher geworden– stark und überzeugend wirken sie nicht. Konnte man anfangs noch annehmen, dass klare Äußerungen von offizieller Seite ausbleiben, um Raum für Diplomatie zu lassen und der Türkei zu ermöglichen Yücel ohne Gesichtsverlust freizulassen, so ist das spätestens seit der Entscheidung, unseren Kollegen in U-Haft zu nehmen, kein überzeugendes Argument mehr. In einer solchen Situation davon zu sprechen, das Vorgehen der Türkei sei »bitter und enttäuschend«, mag für einen privaten Social-Media-Account nachvollziehbar sein. Als Stellungnahme der Bundeskanzlerin erscheint es resignativ und man fragt sich, was die Kanzlerin erwartet hat, wenn sie nun enttäuscht ist. Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat seine »Enttäuschung« zum Ausdruck gebracht und ebenso wie Angela Merkel beklagt, dass das Vorgehen gegen Yücel »unverhältnismäßig hart« sei. Das irritiert. Unverhältnismäßig sind nach herkömmlichem juristischem Verständnis Maßnahmen, die grundsätzlich rechtmäßig sind, die aber nicht der Anforderung genügen, das mildeste erforderliche Mittel zu wählen. Deniz Yücel wird aber seine Berichterstattung vorgeworfen. Jemanden dafür in Untersuchungshaft zu nehmen, ist nicht unverhältnismäßig, sondern es ist auch nicht unfair, es ist ein Verstoß gegen grundlegende bürgerliche Freiheiten. 1999 hat der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan das prägnant in Worte gefasst: »Die Pressefreiheit ist ein Grundstein der Menschenrechte. Sie macht die Regierungen für ihre Taten verantwortlich und ist eine Warnung an alle, dass Straflosigkeit eine Illusion ist. Sie fördert Wissen und Verständnis innerhalb der Staaten und zwischen diesen.« Man würde sich wünschen, dass die Bundesregierung hier klar benennt worum es geht, nämlich die Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit. Die Verbindung zwischen Yücels Inhaftierung und der anderer Journalisten in der Türkei herzustellen wäre vielleicht undiplomatisch – aber gewiss nicht undiplomatisch, als die Inhaftierung Yücels. Wenn sich Europa und vor allem die EU als Wertegemeinschaft inszenieren, ist hier ein Wert, für den sich einzusetzen lohnt, einer auch, der weltweit in besonderem Maße gefährdet ist, wie nicht zuletzt auch die Attacken Donald Trumps auf die US-amerikanischen Medien zeigen.

Für die außerparlamentarischen Kräfte, für uns Leserinnen und Leser und Kolleginnen und Kollegen von Deniz Yücel, gibt es also einiges zu tun, im eigenen Land mit Blick auf die hiesige Politik, aber auch mit Blick auf die türkische Politik und Öffentlichkeit – und das braucht einen langen Atem. Es spricht einiges dafür, dass Erfolge nicht einfach und schnell zu erzielen sind.