Die humanitäre Krise im Südsudan war seit langem absehbar

Vom Bürgerkrieg in die Hungersnot

Kommentar Von Thomas Schmidinger

Bereits vor der Unabhängigkeit des Südsudan bestanden viele der heutigen Probleme. Das Scheitern des Staats ist eine humanitäre Katastrophe.

Bürgerkrieg, Staatszerfall, Hungersnot: Die Nachrichten, die aus dem Südsudan kommen, entsprechen ungefähr den Katastrophenbildern, die sich Europäerinnen und Europäer bereits seit Jahren vom subsaharischen Afrika machen. Dabei waren 2011 noch viele furchtbar optimistisch. NGOs und Internationale Organisationen hatten ihre Quartiere in der neuen Hauptstadt Juba errichtet und freuten sich mit George Clooney über die Unabhängigkeit des neuen Staats.
Nicht nur westliche Friedensstifter, auch die südsudanesische Führungsschicht war euphorisch. So nahmen an einer Konferenz der in den USA beheimateten Sudan Studies Association im Frühling 2011 angesichts der nahenden südsudanesischen Unabhängigkeit mehr Personen aus dem Südsudan teil als sonst, darunter Wissenschaftler, Intellektuelle und Politiker. Kritik im Hinblick auf die offenen Fragen, von der Ziehung der Grenze zum Sudan über den Ausgleich zwischen den Regionen und ethnischen Gruppen innerhalb des Südens bis hin zum Demokratisierungsprozess oder der ökonomischen Entwicklung, wollten die Teilnehmenden aus dem Süden nicht hören und wagten viele derjenigen aus dem Norden angesichts der jahrzehntelangen Kriegspolitik gegen den südlichen Landesteil nicht zu formulieren. Als diese Fragen vom Autor dieser Zeilen gestellt wurden, waren die einen froh, dass das jemand gewagt hatte, andere sahen darin jedoch weiße kolonialistische Arroganz.
Dabei waren viele dieser Probleme schon vor der Unabhängigkeit im Juli 2011 unübersehbar: Der Grenzverlauf zum Norden war umstritten. Anstatt eine inklusive Demokratie zu errichten, bereicherte sich eine neue Führungsschicht aus der ehemaligen Befreiungsbewegung SPLA. Sowohl der erste südsudanesische Präsident Salva Kiir als auch sein Rivale und Vizepräsident Riek Machar agierten wie Feudalherren. Es tobten blutige Verteilungskämpfe zwischen ehemaligen SPLA-Kommandanten.
Die Regierung des neuen Staats zerfiel bereits im Dezember 2013 in einem neuen Bürgerkrieg, der sich immer mehr zu einem Konflikt zwischen Dinka und Nuer ethnisierte. Das Waffenstillstandsabkommen von 2014 führte bestenfalls zu einer kurzen Erholungspause. Bis heute ist das Land zwischen der Regierungsarmee auf der einen Seite und Riek Machars »Sudan People’s Liberation Movement-in-Opposition« (SPLM-IO), Bordoang Leahs »Nuer White Army« und Anthony Ongwajas »South Sudan Federal Democratic Party« (SSFDP) auf der anderen Seite geteilt. Irgendwo dazwischen befindet sich heute Machars ehemaliger Verbündeter Peter Gadet mit seinem »South Sudan Liberation Movement« (SSLM). All diese Milizen stehen mit unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Verbindung und verfügen über ihr jeweils eigenes Klientelsystem.
George Clooney entwickelte sich vom Fan zum kritischen Beobachter. Im September 2016 veröffentlichte sein Projekt Sentry einen detaillierten Bericht, der nachwies, wie die südsudanesischen Warlords auf Regierungs- und Oppositionsseite die Bodenschätze des Landes ausbeuten und sich selbst in mondäne Villen im Ausland abgesetzt haben.
Wenig erstaunlich ist, dass dieses ausgeplünderte Land nun in eine katastrophale Hungersnot abgleitet. 7,5 Millionen Menschen leiden Unicef zufolge derzeit unter akuter Unterernährung. Insgesamt sind nach Angaben der Uno 20 Millionen Menschen im Südsudan, im Jemen, in Somalia und in Nordostnigeria von einer Hungersnot bedroht – in allen Ländern haben bewaffnete Konflikte die Situation immens verschärft. Die chronisch unterfinanzierten UN-Organisationen werden sich schwertun, die für die wichtigsten Hilfslieferungen bis Juli benötigten 4,4 Milliarden US-Dollar zu sammeln.
Sudans Präsident Omar al-Bashir ordnete vergangene Woche an, 10 000 Tonnen Sorghumhirse als Hilfslieferung in den Süden zu schicken. Das Scheitern der südsudanesischen Führungsschicht öffnet nun wieder das Tor für die sudanesische Regierung in Khartoum.