Die neuen Buchprüfer

Die italienische Regierung geht mit zweifelhaften Methoden gegen
die Autonomie der Universitäten und Gymnasien vor. von andrea m. jarach

Die Universitäten seien ein Hort der Subversion, die akademischen Lehrbücher »zu links« für ordentliche Studenten, ihre Inhalte unwissenschaftlich und tendenziös. Bereits vor zwei Jahren startete Francesco Storace, Ministerpräsident der Region Lazio und Mitglied der Regierungspartei Alleanza Nazionale (AN), eine Kampagne gegen die italienischen Hochschulen. Nun hat er mit seinen Attacken Erfolg.

Auf der letzten Sitzung der parlamentarischen Kulturkommission schlug Fabio Garagnani von der Regierungspartei Forza Italia vor, dass die an den Gymnasien benutzten Geschichtsbücher künftig einer staatlichen Kontrolle unterliegen sollen. Der Unterricht dürfe sich nur auf wissenschaftlich überprüfte Literatur stützen, forderte er im Dezember.

Einige Kapitel der italienischen Geschichte sind es zwar sicherlich wert, genauer untersucht zu werden. So etwa die Massaker an Italienern nach dem Zweiten Weltkrieg in der Region Venezia-Giulia, insbesondere in der Nähe von Triest und an der heutigen Grenze zwischen Italien und dem ehemaligen Jugoslawien. Die Verbrechen sollen Anhänger des Partisanenführers Josip Broz Tito begangen haben, die damals die Regionen von Istrien und Dalmatien kontrollierten.

Die Ereignisse fanden lange Zeit in Italien kaum eine Erwähnung. Die Opfer waren italienische Partisanen, Mitglieder nicht kommunistischer Gruppierungen sowie echte und vermeintliche NS-Kollaborateure. Auch über die Geschichte und die Rolle der römisch-katholischen Kirche während des Faschismus könnte die Öffentlichkeit besser informiert werden.

Aber es ist fraglich, worum es Garagnani und seinen Parteifeunden geht, wenn sie behaupten, dass ihnen vor allem an mehr Objektivität gelegen sei. So meinte ein Abgeordneter der AN, Alessio Butti, dass »die Verlage und die Autoren der Geschichtsbücher die Verantwortung für die verborgenen und niemals überwundenen Spannungen tragen, die in Italien seit 50 Jahre existieren und die ganze Generationen gegeneinander aufgebracht habe«.

Noch deutlicher wurde sein Parteifreund Guglielmo Rositani. Er beschuldigte ausgerechnet die ehemaligen Christdemokraten, die immerhin fast 40 Jahre lang die Regierung stellten, »der Kommunistischen Partei in der Geschichte der letzten 50 Jahre die Vorherrschaft überlassen zu haben«.

Tatsächlich wird der Partisanenkrieg gegen die faschistische Diktatur in den Geschichtsbüchern häufig mit einem Heiligenschein versehen und zur historischen Referenz für die italienische Nachkriegsgeschichte erhoben.

Doch selbst diejenigen, die mit dieser Darstellung nicht einverstanden sind, sollte der Versuch der Regierungskoalition, die Geschichte umzuschreiben, alarmieren. Schließlich wurde der Partisanenkrieg nicht nur von Linken geführt. Und selbstverständlich war er, trotz seiner schrecklichen Seiten, als Kampf gegen die faschistische Diktatur mehr als berechtigt.

Insofern erscheint der Versuch der Geschichtsklitterung wie eine Revanche der Postfaschisten der Alleanza Nazionale, wobei die Forza Italia freundlicherweise die Initiative übernommen hat.

Entsprechend reagierten auch die oppositionellen Linksdemokraten. Ihr Generalsekretär Piero Fassino befürchtete, dass durch die staatliche Überwachung die Bürgerrechte beeinträchtigt werden könnten: »Niemals gab es in einem demokratischen Land eine Kontrolle über die Schulbücher. In jedem zivilisierten Staat liegt die Verantwortung allein bei den Lehrern.«

Ähnlich argumentierte auch der linksdemokratische Abgeordnete Carlo Carli. »In der Vergangenheit wollten nur totalitäre Regime, Diktaturen und die Inquisition den Inhalt von Büchern prüfen, um zu entscheiden, was man lernen darf und was nicht«, sagte er. Und »nur unter dem Faschismus war in Italien der Geschichtsunterricht nicht frei, sondern von der politischen Autorität bestimmt«.

Auch der Vorsitzende der kleinen liberalen Oppositionspartei Margherita, Andrea Colasio, sprach während der Sitzung der Kulturkommission von »einer unerträglichen Geste, die die Prinzipien der Freiheit erschlägt. Damit erdrückt man die Autonomie der Schulen, das heißt also den wahren kulturellen Pluralismus. Und man macht uns damit auch vor der wissenschaftlichen Gemeinde lächerlich.«

Doch nicht nur die Geschichtsbücher der Gymnasien will die Regierung Berlusconi nach ihren Vorstellungen ändern. Mittlerweile steht selbst die Autonomie der Universitäten zur Disposition. »Es scheint, als gebe es einen klaren Willen, die italienischen Universitäten auszuhöhlen«, erklärte kürzlich Piero Tosi, der Präsident der Hochschulkonferenz (Crui).

Den Anlass für seine harschen Worte lieferte das neue Haushaltsgesetz, das bereits im vergangenen Jahr im Parlament beschlossen wurde. Demnach sollen die Universitäten im laufenden Jahr 200 Millionen Euro weniger erhalten.

Die Rektoren beklagten nun, dass sie unter anderem die fälligen Gehaltserhöhungen für die Dozenten nicht mehr zahlen können. Im vergangenen Jahr wurden die Ausgaben für die Universitäten nur geringfügig angehoben, was aber »nicht die automatische Steigerung der Gehälter wegen höherer Lebenskosten abdecken konnte«, so der ehemaliger Präsident der Crui, Guido Fabiani. Der Rektor einer Universität in Rom fürchtet sogar, im laufenden Jahr die Gas- und Stromrechnungen nicht mehr bezahlen zu können.

Um zu verhindern, dass auch der Senat den Sparmaßnahmen zustimmt, reichten Anfang Dezember 62 Universitätsrektoren formell ihre Kündigung ein. Die Regierung versprach zwar anschließend, wieder mehr Geld für die Universitäten bereitzustellen. Aber das ist den Wissenschaftlern nicht genug. Schließlich stattet kein anderes Mitglied der EU seine Hochschulen schlechter aus als Italien. Wenn die Entwicklung nicht gestoppt werde, bestehe das Risiko, dass das gesamte Universitätssystem »die nächsten zwei oder drei Jahre nicht mehr überleben wird«, warnte deshalb Tosi.

Selbst in der Regierungskoalition ist man sich mittlerweile nicht mehr einig, wie auf die Krise der Hochschulen reagiert werden soll. »Die Universität ist eine ernste Sache«, erklärte Domenico Fisichella von der AN während einer Parlamentsdebatte. »Vielleicht haben das einige nicht verstanden, weil sie dort nicht studiert haben.«