Aus der Rolle gefallen

Der Intendant des Stuttgarter Staatstheaters ist ein scharfer Kritiker des Kapitalismus. Dass aber seine Mitarbeiter streiken, gefällt ihm nicht. von thorsten fuchshuber

Die Lachen von Erbrochenem vom Wochenende haben sich am Boden festgesetzt, vor den Gastronomiebetrieben häufen sich Berge von Müll. In Stuttgart sind die Auswirkungen des Streiks der öffentlichen Dienste in Baden-Würt­temberg offensichtlich. Das Saubermann-Image der Hauptstadt der Kehrwoche versinkt im Dreck, und ein Ende des Arbeitskampfs ist noch nicht ab­zusehen.

Das Ergebnis eines Gespräches, das am Montag zwischen VertreterInnen von Verdi und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) stattgefunden hat, lag zwar bei Redaktionsschluss noch nicht vor. »Da kommt hundertprozentig nix dabei raus«, war jedoch bereits im Vorfeld von der Gewerkschafts­basis zu hören.

Also wird in Baden-Württemberg voraussichtlich weiter gestreikt. Mit dabei ist das büh­nentechnische Personal des Staatstheaters Stuttgart, das beim Land beschäftigt ist. 98 Prozent seiner Verdi-Mitglieder hatten bereits vor einem dreiviertel Jahr entschieden, sich gegen eine Arbeitszeitverlängerung und andere Zumutungen zur Wehr zu setzen.

Weniger kämpferisch sind die dort künstlerisch Tätigen. Die so genannten Bühnenangehörigen haben bereits einen Tarifvertrag akzeptiert, der ihnen seit diesem Monat kein Urlaubsgeld mehr, eine Lohnminderung und weitere Kürzungen beschert. Von denen, so murrten die kampfbereiten ArbeiterInnen und Angestellten schon im Vorfeld, sei wohl kaum ein Solidaritätsstreik zu erwarten. Und tatsächlich hieß es aus den Reihen der Schauspieler, die bei irgendwelchen Friedensdemonstrationen für jeden als Performance getarnten Blödsinn zu haben sind, man dürfe »wegen ein paar Euro doch die Vorstellungen nicht ausfallen« lassen.

Da trifft es sich gut, dass just zu Beginn der aktuellen Spielzeit ein neuer Intendant an das Theater kam. Denn der ist an Marx geschult und linksradikal. Hasko Weber, so der Name der Lichtgestalt am Stuttgarter Theaterhimmel, lässt sich gerne im T-Shirt mit dem roten Stern ablichten und machte sich zu Beginn seiner Intendanz mit zahlreichen Werkstattbesuchen bei den ArbeiterInnen Liebkind.

Nicht nur in seiner eigenen Goethe-In­sze­nie­rung prangt über allem die Arbeiter­faust. Den Hausregisseur Volker Lösch ließ er einen Filmstoff des antiamerikanischen Misanthropen Lars von Trier inszenieren. In der Bühnenadaption wurde der Gangster­boss kurzerhand zum Daimler-Manager – Agitprop auf Attac-Niveau. Auch sonst geht’s auf Stuttgarts Bühnen mit Hasko Weber kapitalismuskritisch zur Sache: Eine ganze Reihe hat er unter das Motto »Wert/Arbeit« gestellt, um Stuttgart über die Unbilden der Wertvergesellschaftung in Kenntnis zu setzen.

Mit Streikbeginn hatte das Fraternisieren ein jähes Ende. Das Brot der Mitarbeiter ist eine Sache, Weber jedoch sorgte sich um die Spiele. Anfang vergangener Woche versuchte er folglich, einige Techniker zum Streikbruch zu beschwatzen, damit für eine Premierenvorstellung geprobt werden kann. Zudem erwartete der Intendant, dass die ganze Belegschaft gemeinsam mit ihm bei jeder ausgefallenen Vorstellung mit den enttäuschten TheaterbesucherInnen diskutiert. Doch anstatt diesen in einer gruppentherapeutischen Übung über den Verlust des Kulturevents hinweg­zuhelfen, blieben einige lieber zuhause oder trafen sich in der Kneipe.

Damit hatte Hasko Weber nicht gerechnet: Strei­kende, die auf ihre eigene Weise gegen Ware-Geld-Beziehungen revoltieren, während der Intendant dem Kapitalverhältnis diskursiv zu Leibe rückt. In Rage darüber, dass ein Arbeitskampf noch nicht gänzlich jene spektakuläre Inszenierung ist, in der jeder bloß die ihm zugewiesene Rolle spielt, ließ er seine Wut schließlich an einigen Streikplakaten aus.

Weber ist ein Kulturschaffender ganz im Geiste des deutschen Idealismus: »Die Gedanken sind frei.« Doch wehe, sie drängen einmal zur Tat.