Friede, Freude, Rassenzucht

Nicht nur die ehemalige Fernsehmoderatorin und Hobbyhistorikerin Eva Herman kann den »Straßen des Führers« und der nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik etwas abgewinnen. »Mutterschaft, Familie, Autobahn« heißt auch das unerschütterliche Glaubensbekenntnis vieler Deutscher. »Es war eine glückliche Zeit.« Die schweigende Mehrheit hat die »guten Seiten« am Nationalsozialismus schon lange entdeckt. Doch nie war der Geschichtsrevisionismus so selbstverständlich wie heute. Wolfgang ­Wippermann gibt Nachhilfe.

Sie verwechseln Faschismus und Konservativismus«, habe ich Eva Herman in Johannes B. Kerners Talkshow entgegengehalten. Damit wollte ich ihr eigentlich eine Brücke bauen, um sich von ihrer Lobpreisung der »Werte« und anderer »guter Seiten« des Faschismus zu distanzieren. Dies ist von einigen Kommentatoren so erkannt und teilweise auch anerkannt worden, nur von Eva Herman nicht. Sie wollte die Unterschiede zwischen Faschismus und Konservativismus einfach nicht sehen und hat sie zudem noch verwischt. Daher ist ihr Appell für konservative Werte wie Ehe, Familie usw. selbst von konservativen Zeitungen wie der FAZ nicht aufgenommen und verteidigt worden. Die Zustimmung, die Eva Herman bei verschiedenen Rechtsextremisten fand, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass sie nicht bzw. nicht mehr als Bannerträgerin eines neuen Konservativismus angesehen und entsprechend verteidigt wurde.

Mit Ausnahme von Christa Meves, die einige positive Worte für ihre Gesinnungsgenossin Herman fand, hat sich keiner der zuvor mit ihr in einem Atemzug genannten Konservativen für sie eingesetzt. Arnulf Baring, Udo di Fabio, Matthias Matussek, Frank Schirrmacher und viele weitere der in diesem Zusammenhang Genannten schwiegen. Warum? Arno Luik nannte auf stern.de den Grund: Herman hatte den »rückständigen, antiemanzipatorischen Unsinn, der im Feuilleton vor sich hinwabert, historisch verortet: bei den Nazis«. Damit hatte sie den Konservativen einen Bärendienst erwiesen, weshalb diese nun reichlich indigniert verstummten. Aber nicht, wie Arno Luik weiter vermutete, weil es sich bei Herman um ein »sinnloses Geschwurbel« gehandelt habe, das die ganze Aufregung nicht lohne. Ihr »dummes Geplapper« ist »ernst genommen« worden, und dies keineswegs nur vom »Stammtisch im Oberstürberl«.

Ungeteilten, ja frenetischen Beifall haben Hermans konservativ-fundamentalistische Ausführungen über die von Gott und der Schöpfung gewollte Rollenverteilung von Mann und Frau bei einigen konservativ-fundamentalistischen Kreisen innerhalb der katholischen Kirche gefunden. In ihnen wurde sie geradezu als Opfer und Märtyrerin des kirchenfeindlichen Zeitgeistes gefeiert und als Vorkämpferin einer Offensive gepriesen, die einige Klerikale gegen diesen Zeitgeist führen möchten, wodurch sie sich in eine bedenkliche Nähe zu anderen, vor allem islamistischen Fundamentalisten rücken. Insofern ging es bei der Herman-Kontroverse keineswegs nur um die Auseinandersetzung Konservativismus gegen Liberalismus, sondern auch um Fundamentalismus contra Aufklärung.

Von vielen begrüßt wurden auch Hermans Angriffe gegen »die Achtundsechziger«, die zeitlich nach und methodisch »wie« die Nationalsozialisten konservative Werte wie Familie und Mutter abgeschafft und durch die individuelle Selbstverwirklichung ersetzt hätten. So beleidigend und unsinnig der hier gezogene Vergleich zwischen Achtundsechzigern und Faschisten ist, so berechtigt ist Eva Hermans Klage, dass »die Achtundsechziger« (aber keineswegs sie allein!) konservative Vorstellungen von Ehe, Familie und Sexualität kritisiert bzw., um einen ihrer Lieblingsbegriffe zu benutzen, »hinterfragt« haben. Die von Konservativen immer hochgehaltenen Tugenden wie Sauberkeit, Fleiß, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungssinn, Höflichkeit usw. haben die Achtundsechziger als »Sekundärtugenden« verspottet, da man mit ihnen auch »ein KZ betreiben« könne. Für die konservativen Ideale wie Ehre, Nation und Vaterland hatten die Achtundsechziger erst recht nichts übrig.

Dies begründeten sie mit dem Hinweis, dass Faschismus und Konservativismus Bundesgenossen gewesen seien und zum Teil auch gemein­same antidemokratische, antisozialistische und zu einem gewissen Grad auch antisemitische Ziele gehabt hätten. Um sie zu erreichen, hätten sich Faschisten wie Konservative gleichermaßen auf die erwähnten »Werte« berufen und die genannten »Sekundärtugenden« eingefordert.

Auch wenn man dabei zu weit gegangen ist und in jedem Konservativen einen zumindest potenziellen Faschisten gesehen und all diese Tugenden und Werte als faschistisch oder, um ein weiteres Modewort zu gebrauchen, als faschistoid bezeichnet und verworfen hatte, im Kern trifft es dennoch zu. Konservativismus und Faschismus waren politische Bundesgenossen und hatten gleiche oder zumindest vergleich­bare ideologische Ziele.

Beides hat den heutigen Konservativismus diskreditiert, zumal er sich seinerzeit nicht hinreichend vom damaligen politischen Sündenfall und den ideologischen Identitäten distanziert hat. Schon deshalb wurde auch nach 1945 die ideologische Schnittmenge zwischen Konservativismus und Faschismus deutlich. Daher war die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass es wieder zu einem Bündnis beider kommen könnte. Eine solche Möglichkeit ist 1968 und in der Zeit danach von vielen Linken als real angesehen worden. Doch auch Liberale haben sich immer wieder die ängstliche Frage gestellt: »Kann Bonn Weimar werden?« Wir wissen heute, dass diese Ängste übertrieben waren, wenngleich nicht völlig unbegründet. Und was nicht war, kann immer noch kommen.

Diese Sorge muss man nicht teilen, sie erklärt aber die aufgeregte Reaktion auf Eva Hermans überschwängliche Lobpreisung des Konservativismus und ihre mangelhafte Abgrenzung vom Faschismus. Beides war zudem keineswegs nur für sie, sondern auch für viele ihrer Anhänger und Verteidiger charakteristisch, die obendrein noch Hermans ohnehin schon problematische Äußerungen übertrafen, indem sie Konservativismus und Faschismus so gut wie gar nicht mehr differenzierten.

In den öffentlichen Medien geschah dies jedoch entweder gar nicht oder nur sehr zurückhaltend, umso mehr und heftiger dagegen in den Blogs und Internetforen. Hier wurden die konservativen Werte und selbst die fundamentalistischen Auslegungen der Bibel, wonach der Mann das »Haupt« der Ehefrau sei, erbittert verteidigt, auch und gerade gegen den Vorwurf, dass sie vom Faschismus benutzt worden seien. Einige fanden dies sogar gut und richtig, womit sie eine weitgehende Identität von Faschismus und Konservativismus bestätigten.

Gleiches ließ sich auch einigen Leserbriefen an die Bild-Zeitung ablesen. Ein Schreiber aus dem Jahrgang 1941 war stolz darauf, dass er von seinen »Eltern die Werte der damaligen Zeit mit auf den Weg bekommen« und sie an seine »Kinder weitergegeben« habe. Ein anderer meinte, dass »man über Werte und Wertvorstellungen, die es seit vielen Generationen gab und gibt, auch dann sprechen dürfe, wenn diese in ihrer Terminologie auch in den zwölf Jahren Nazizeit verwendet wurden«. Diese Feststellung wurde in einem weiteren Brief mit einem scharfen Angriff auf die »radikalliberalen Kreise« verbunden, die »seit über 30 Jahren versuchen, traditionelle Werte und volkstümliche Kultur mit dem Hinweis auf deren Verwendung durch das NS-Regime zu diskreditieren, obwohl das inhaltlich eigentlich nichts miteinander zu tun hat«. Um seine These von der Differenz zwischen Konservativismus und Faschismus zu begründen, wies ein Briefschreiber aus Köln auf die Bücher von Udo di Fabio, Christa Meves und Meinhard Miegel hin. Bemerkenswert! Doch wenn er Eva Herman in diesem Zusammenhang bescheinigte, »ernsthafte Fragen und Forderungen« gestellt zu haben, dann war ihm offensichtlich entgangen, dass gerade sie die Trennlinie zwischen Konservativismus und Faschismus wenn nicht überschritten, so zumindest aber verwischt hatte. Letztgenanntes war dann bei ihrem Loblied auf »Hitlers Autobahn« offensichtlich der Fall.

»Autobahn geht nicht«

Auf den Einwand, dass sie mit »Gleichschaltung« einen nationalsozialistischen Begriff gebraucht habe, reagierte Eva Herman mit der trotzigen Bemerkung: »Natürlich ist er da (im Dritten Reich; Anm. d. Verf.) benutzt worden, aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden, und wir fahren heute drauf.« Dies rief bei allen Beteiligten der Talkshow am 9. Oktober Empörung hervor. »Autobahn geht nicht«, erklärte Johannes B. Kerner. Warum geht das nicht? Warum ist der Hinweis auf »Hitlers Autobahn« so falsch und anstößig?

Zunächst hatte Hitler die Autobahn gar nicht gebaut, auf jeden Fall nicht allein und auch nicht als erster, denn in den USA gab es highways und in Italien führte schon 1922 eine autostrada von Mailand zu den oberitalienischen Seen. Die erste deutsche Autobahn war die allseits bekannte Berliner Avus, mit deren Bau 1913 begonnen wurde. Fertiggestellt wurde sie 1921. 1932 kam die Autobahn Köln-Bonn hinzu. Ihre Verlängerung nach Norden zu den Hanse­städten und nach Süden über Frankfurt nach Basel wurde zur gleichen Zeit vom Verein zur Vorbereitung der Autostraße Hansestädte-Frankfurt-Basel geplant und von eben dieser HaFraBa auch bereits projektiert. Die Trassen waren fertig, und der Bau konnte beginnen.

Das geschah am 23. September 1933 mit großem propagandistischen Aufwand. Hitler selbst tat nicht nur den ersten Spatenstich, sondern schaufelte vor laufender Kamera wie ein Berserker. Außerdem verkündete er, wie immer großtuerisch, dass die vierspurigen »Straßen des Führers« eine Gesamtlänge von mindestens 6 000 und maximal 20 000 Kilometer haben sollten. Erreicht wurde noch nicht einmal die Hälfte. Bis zum Kriegsausbruch waren 3 000 Streckenkilometer fertiggestellt. Bis zum »Untergang« kamen noch ganze 800 Kilometer hinzu. Mit dem Bau der geplanten Autobahnen Berlin-Riga-Leningrad und Berlin-Kiew-Rostow hatte man noch nicht einmal begonnen. Von Berlin-Stalingrad war gar nicht erst die Rede gewesen.

Das war auch nicht nötig. Die »Reichsautobahn« hatte ihren vornehmlich propagandistischen Zweck erfüllt. Auch als Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung, um die Arbeitslosen von der sprichwörtlichen Straße zu holen, war sie nicht mehr nötig. Dies, d. h. die viel gerühmte »Überwindung der Arbeitslosigkeit«, besorgten schon Aufrüstung und Rüstungsindustrie. Viele der dann wieder erwerbstätigen Arbeiter wurden aber von ihren Arbeitsstellen weggeholt und marschierten als Soldaten auf einspurigen und – insbesondere im Herbst – verschlammten Straßen gen Osten. Panzer und Nachschub wurden mit der Eisenbahn transportiert. Handfesten militärischen Nutzen hatten die deutschen Autobahnen allein für die Sieger. Gefangene deutsche Soldaten trotteten über die Autobahn in die entsprechenden Lager – allerdings, wie es sich für deutsche Soldaten gehört, in Reih und Glied. Und diese Bilder waren die letzten, die von den »Straßen des Führers« blieben.

Nach dem »Untergang« und der angeblichen »Stunde null« kam das »Wirtschaftswunder«. Es ermöglichte den Bau des »Volkswagens«, der, anders als sein Vorgänger, der »Kraft-durch-Freude-Wagen«, auch an das kaufkräftige Volk ausgeliefert wurde und es dem einfachen Mann ermöglichte, »Hitlers Autobahn« nicht nur auf Propagandaplakaten zu bestaunen, sondern auch zu befahren. Das empfundene Glück darüber war groß, und die Nachwirkung der nationalsozialistischen Propaganda noch größer. Der »schöne Schein« des Dritten Reichs strahlte vor allem nach dessen Ende besonders grell, jedenfalls was die Autobahn anbelangt.

Geflissentlich übersehen wurde, dass es sich hier gar nicht mehr nur um die nationalsozialistischen, sondern schon auch um die neuen »demokratischen« Autobahnen handelte. 1980 bereits hatte die Bundesrepublik Hitlers Fernziel erreicht. Das bundesdeutsche Streckennetz hatte eine Länge von fast 8 000 Kilometern. In der DDR waren es dagegen nur magere 1 600 Kilometer. Die BRD hatte damit den Autobahn-Systemvergleich haushoch gewonnen und ließ keine Gelegenheit aus, dies auch entsprechend zu feiern. Jeder noch so kleine neue Strecken­abschnitt wurde mit großem propagandistischen Tamtam eröffnet, wobei es sich der jeweilige Verkehrsminister nicht nehmen ließ, eigenhändig mit einer silbernen Schere – zunächst war sie sogar golden – irgendwelche Bänder zu zerschneiden. Meister im Bänderzerschneiden war der langjährige Verkehrsminister unter Adenauer, Hans-Christoph Seebohm.

Nicht zerschnitten, sondern gefestigt hingegen wurde der Mythos Autobahn. Der verklärende Ausdruck »Aber Hitler hat doch die Autobahn gebaut« machte weiterhin die Runde und wurde zum festen Bestandteil eines jeden Stamm­tischgesprächs zwischen Flensburg und Rosenheim. Dies fand natürlich nicht den Beifall der Achtundsechziger, die ausgeprägte Antipathien gegen Hitler hatten. Die aus der Achtundsechziger-Bewegung entstandenen Grünen hatten sogar prinzipiell etwas gegen Autobahnen. Autobahn ging wirklich nicht – oder nicht mehr.

Außerdem hatten die deutschen Historiker mit der ihnen eigenen historischen Verspätung inzwischen herausgefunden, dass es im Dritten Reich abseits der Autobahn auch noch andere Dinge gegeben hatte: zum Beispiel Auschwitz. Die Entdeckung des Holocausts, 1979 durch die Ausstrahlung der gleichnamigen vierteiligen US-Fernsehserie in Deutschland ausgelöst, führte zu einem Perspektivwechsel. Fortan standen die Verbrechen des Dritten Reichs im Mittelpunkt des historiographischen Interesses – und nicht länger sein »schöner Schein«.

Doch in den neunziger Jahren meldeten sich einige Sozialhistoriker zu Wort und wiesen auf angeblich »moderne«, ja »revolutionäre« Züge des NS-Staates hin, die bei seiner angemahnten »Historisierung« zu beachten seien. Allein oder im Bündnis mit einigen neurechten Ideologen wollten sie mit dieser »Modernisierung« und »His­torisierung« der NS-Zeit aus dem »Schatten dieser Vergangenheit« heraustreten, damit das wiedervereinte Deutschland »wieder Großmacht« sein und eine ebensolche Politik betreiben könne.

Die gegenwartspolitischen Implikationen einer Modernisierung und Historisierung des Dritten Reichs waren offensichtlich und wurden dem­entsprechend kritisiert. Scharf zurückgewiesen wurde ihre historische Begründung. Eindringlich wurde wieder einmal darauf hingewiesen, das Dritte Reich habe keine guten Seiten gehabt und auch keine »progressive Sozialpolitik« betrieben. Zu Opfern der Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen »Rassen­staates« seien Millionen von »Rassefremden« und keineswegs nur, wie Zitelmann und Co. behaupteten, eine »Minderheit von rassisch Ausgegrenzten« und »andere Randgruppen« geworden.

Die These vom Rassenstaat schien sich gegenüber der Modernisierungs-These durchzusetzen. Auch deshalb, weil sich einige jüngere Historiker endlich mit dem Massenmord beschäftigten, der außerhalb der deutschen Reichsgrenzen weit im Osten stattgefunden hatte. Damit wurde die verbrecherische Dimension des Dritten Reichs in räumlicher und quantitativer Hinsicht noch deutlicher – gar nichts war »gut«.

Eine etwas andere Meinung hat dann Götz Aly in seinem viel beachteten Buch »Hitlers Volksstaat« vertreten. Das Dritte Reich sei kein »autoritär durchgeformter Führerstaat«, sondern eine »Gefälligkeitsdiktatur« gewesen. Zum Beweis dieser – problematischen – These wies Aly auf die vielen sozialpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten hin, die von der Bundesrepublik fortgesetzt worden seien. Bewusst übersehen wurde dabei, dass die vorgeblich sozialpolitischen Maßnahmen in einem rassenpolitischen Kontext standen. Daher ist es schlicht falsch zu behaupten, dass die »Konturen« des »bundesrepublikanischen Sozialstaates« bereits im Dritten Reich gelegt worden seien.

Durch Alys inkorrekte und nunmehr auf den Bereich der Sozialpolitik begrenzte Kontinuitätsthese fühlten sich viele Teilnehmer an der Herman-Diskussion in ihrer völlig falschen Auffassung bestätigt, im Dritten Reich habe es doch »gute Seiten« gegeben. Dazu wurde dann auch die »Autobahn« gezählt. Letztgenanntes hatte Aly zwar nicht behauptet, wurde ihm aber unterstellt. So von Henryk M. Broder, der Eva Hermans Hinweis auf »Hitlers Autobahn« für richtig, ja sogar für den »einzig richtigen« Satz in der »Kerner«-Show gehalten hat. Broder erhielt deshalb von vielen ihm sonst nicht wohlgesonnenen Rechten und selbst von Rechtsextremisten Beifall.

Geradezu hymnisch gefeiert wurde Broder von den »dankbaren« Autobahn-Fans unter den Bild-Lesern: »Danke, Henryk M. Broder«, »Danke«, »großartig, wie Broder das seziert hat«, »Broder spricht mir aus der Seele«, »Henryk M. Broder hat absolut recht«, »er trifft den Nagel auf den Kopf« – hieß es hier immer wieder und jedes Mal im Zusammenhang mit »Hitlers Autobahn«. Die Wertschätzung Broders war nicht selten mit der Anmerkung verbunden, dass es sich hier um einen »jüdischen Publizisten« handelte, der sich vorteilhaft von »Herrschaften wie Knobloch und Friedman« unterscheide. Ein Bild-Leser stimmte Broder auch in anderer Beziehung zu: »Man sollte lieber mal über die Islamisierung nachdenken!«

Broders, gelinde gesagt, verquere Argumentation ist, wie bereits erwähnt, von Clemens Heni in der wenig bekannten Internetzeitschrift Die Achse des Guten scharf zurückgewiesen worden. In einigen Blogs wurden dagegen weitere Plädoyers für »Hitlers Autobahn« gehalten, wobei in nicht ungeschickter Weise auf die erwähnten Thesen einiger Sozialhistoriker über das ach so moderne Dritte Reich verwiesen wurde – alles natürlich sehr zur Freude der Rechten, die sich hier in völliger Übereinstimmung mit der Meinung der schweigenden Mehrheit sahen und auch sehen konnten.

Die Bild-Zeitung veröffentlichte am 12. Oktober unter der Überschrift »Darum ist es so gefährlich, Hitlers Autobahn zu loben« ein Interview mit mir, in dem ich die Unsinnigkeit dieses Stammtisch-Arguments, das »nicht in eine öffentlich-rechtliche Talkshow« passe, nachzuweisen suchte.

Unter den Lesern rief das einen Sturm der Entrüstung hervor. Fast jeder vierte der (insgesamt 2 000) Leserbriefschreiber meinte, die Bild-Zeitung und mich darauf hinweisen zu müssen, dass die »Autobahn nun einmal im Dritten Reich« gebaut worden sei. Viele nannten sie ohne Wenn und Aber »Hitlers Autobahn«. Sie sei nicht »schlecht«, sondern im Gegenteil ein »riesiger Fortschritt« gewesen. Außerdem wurde immer wieder betont, dass wir auf »Hitlers Autobahn« führen, weshalb teilweise von der »Reichsautobahn« oder von den »Straßen des Führers« die Rede war. Ein Bild-Leser meinte gar: »Das größte Denkmal in Deutsch­land, das an Hitler erinnert, sind die Autobahnen – egal ob alt oder neu, und ich freue mich immer wieder, wenn ich eine befahren darf, und danke Hitler für diese großartige Leistung.« Ein anderer sprach die antisemitisch konnotierte Befürchtung aus: »Wenn man schon die Autobahnen nicht mehr beim Namen nennen darf«, werden wir »den jüdischen Kalender anwenden« müssen.

Die beiden letzten Zitate sind nicht repräsentativ, wohl aber die übrigen. Auch wenn einige darauf hinwiesen, dass mit dem Bau der Autobahn schon vor Hitler begonnen worden war und dass sie dann auch für militärische Zwecke genutzt worden sei – für nahezu alle stand schlichtweg fest: Wir fahren auf »Hitlers Autobahn«! Man müsse anerkennen und zugeben, dass im Dritten Reich »eben nicht alles schlecht« gewesen sei. Auschwitz kommt gegen die Autobahn einfach nicht an.

Wenn dies wirklich die Meinung der schweigenden Mehrheit ist, wofür vieles spricht, dann haben wir es mit einem Rückfall in die fünfziger Jahre zu tun, als die Vergangenheit schon einmal als bewältigt galt und man sich nur dankbar an »Hitlers Autobahn« erinnerte. Für diese Rückfall-These spricht auch die überaus große Zustimmung, die Eva Hermans Lobpreisung der nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik erhielt.

»Mutterkreuz«

Schon bei der Diskussion über Eva Hermans Bücher tauchte der Begriff »Mutterkreuz« auf. Gebraucht wurde er aber nicht von Herman selbst, sondern von ihren Kritikerinnen, die ihr vorwarfen, einen »Mutterkreuzzug« zu führen. Diese Kritik traf Herman jedoch nicht, jedenfalls noch nicht, denn ihr damaliges Eintreten für eine konservative Frauen- und Familienpolitik hatte und konnte eigentlich nichts mit der nationalsozialistischen zu tun haben. Warum? Beginnen wir gleich mit dem von Hitler gestifteten Ehrenkreuz der Deutschen Mutter.

Verliehen wurde es an kinderreiche Mütter, die – und diese Bedingungen sind wichtig – politisch zuverlässig, »rassisch« einwandfrei, »erb­gesund« und nicht »asozial« gewesen waren. Auch die gesamte Frauen- und Familienpolitik der Nazis ist vor diesem politischen und rassistischen Hintergrund zu sehen, genauer: der Rassenzucht und Rassenvernichtung im nationalsozialistischen »Rassenstaat«. Beides war verbrecherisch und kann nicht ernsthaft auf Zustimmung stoßen.

Doch dies haben viele Zeitgenossen anders gesehen, und es ist auch noch nach 1945 anders beurteilt worden. Verantwortlich dafür war nicht nur die nachwirkende NS-Propaganda, sondern auch die Tatsache, dass einige der familien- und frauenpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten fortgesetzt wurden. Allerdings in einem anderen, einem konservativ-katholischen und eben nicht mehr rassistischen Kontext.

In den Genuss von Kindergeld, Krediten und steuerlichen Erleichterungen kamen und kommen bis heute alle kinderreichen Familien. Diese und andere familienpolitische Maßnahmen waren und sind primär sozial- und nicht mehr rassenpolitisch motiviert. Das gilt natürlich auch für die damit verbundene bevölkerungspolitische Komponente, die einen rein quantitativen Sinn und Zweck hat. Der übrigens wenig erfolgreiche Versuch, das weitere Absinken der Geburtenrate zu verhindern, hat rein gar nichts mit der Förderung der Geburt von »erbgesunden« oder gar »rassisch wertvollen« Kindern zu tun.

Auch die Ähnlichkeiten zwischen der nationalsozialistischen und der Frauenpolitik in der Bundesrepublik, zumindest in der Ära Adenauer, sind nur scheinbare. Gemeint ist vor allem die Verdrängung von Frauen aus höherqualifizierten Berufen. Das hat es tatsächlich noch in den fünfziger Jahren gegeben, geschah aber mehr aus arbeitsmarktpolitischen und konservativ-katholischen Motiven. Natürlich war dies antifeministisch, aber nicht mehr wie noch im Dritten Reich rassistisch. Die Verdrängung der Frauen aus höherqualifizierten Berufen hatte in der NS-Zeit ein primär rassenpolitisches Ziel. Frauen sollten sich ihrer »arteigenen« Beschäftigung widmen, die darin bestand, Mütter von möglichst vielen und »gutrassigen« Kindern zu werden. Daran hat man bis zum Schluss festgehalten. Weitgehend revidiert wurden die damit verbundenen antifeministischen Momente in der Politik und noch mehr der Propaganda des Dritten Reichs. Spätestens nach Ausbruch des Krieges wussten die Nazis, dass sie die Frauen brauchten, um den Krieg gewinnen zu können. Erstens als Arbeitskräfte, zweitens als Stabilisatoren der Heimatfront. »Einen November 1918 darf es nie wieder geben« – hatte Hitler schon in »Mein Kampf« erklärt und damit die vornehmlich von Frauen durchgeführten Streiks und Hunger­revolten gemeint, die schon 1917 ausbrachen und tatsächlich maßgeblich zur Revolution vom November 1918 beigetragen hatten. Auch am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Sprüche laut wie »Wenn alle Frauen sich zusammentäten, hätte der Wahnsinn bald ein Ende«.

Folglich hatten die Nazis gerade gegen Ende des Zweiten Weltkriegs fast alles getan, um die Frauen dazu zu bewegen, die »Heimatfront« zu halten und durch ihren Einsatz in der Rüstungs­industrie zum »Endsieg« beizutragen. Beides war nicht sehr erfolgreich. Der prozentuale Anteil der arbeitenden Frauen konnte nicht wesentlich gesteigert werden und erreichte niemals die Werte, die in anderen westlichen Ländern erzielt wurden, obwohl die Nationalsozialisten jetzt nahezu alle Berufe für Frauen öffneten. Nur Richterinnen und niedergelassene Ärztinnen hat es auch am Schluss nicht gegeben. Dennoch haben sich einige der so umworbenen und vom Einsatz in der Rüstungsindustrie weitgehend freigestellten Frauen (ihren Platz mussten die »Fremdarbeiter« einnehmen) auch gegen den Nationalsozialismus gewandt und sich am Widerstand beteiligt.

All das ist mit einiger Verspätung in den siebziger und achtziger Jahren von männlichen und von noch mehr weiblichen Historikern gründlich erforscht und aufgearbeitet worden. Dabei ist es zu wechselseitigen Beeinflussungen durch die neue Frauenbewegung gekommen. Einige ihrer Aktivistinnen haben dann aber in ihrem grundsätzlich berechtigten und anerkennenswerten Kampf für eine vollständige Emanzipation der Frauen und gegen den immer noch weit­verbreiteten Antifeminismus die Unterschiede zwischen der faschistischen und der konservativen Frauen- und Familienpolitik leicht verwischt. Ihr Gegner war das Patriarchat, das in Demokratie und Diktatur in beinahe identischer Gestalt auftrete. Opfer seien immer »die Frauen« gewesen. Dabei wurde zum einen geflissentlich übersehen, dass es in der NS-Zeit auch weibliche Täter gegeben hat, und zum anderen von der Tatsache abgelenkt, dass Jüdinnen, Romni, Sintezzas und andere »fremdvölkische« Frauen nicht ihres Geschlechts, sondern ihrer vermeintlichen Rasse wegen verfolgt und ermordet wurden.

Diese und andere im feministischen Übereifer gemachten Fehlschlüsse sind zwar inzwischen revidiert worden, einige von ihnen tauchten aber in der Debatte über die antifeministischen Thesen Eva Hermans wieder auf. So wurde der, wie sie dann mehr als polemisch bezeichnet wurde, »Eva Braun« schon sehr frühzeitig eine geistige Nähe zum faschistischen Frauen- und Familienideal unterstellt. Dies war etwas voreilig, ging aber nicht völlig an der Sache vorbei, da Eva Herman bereits in ihren Büchern auch auf die NS-Zeit eingegangen ist. Offen und zustimmend äußerte sie sich dann auf der Pressekonferenz vom 6. September 2007, auf der sie die nationalsozialistische Frauen- und Familienpolitik gelobt hat. Obwohl ihr dies die Entlassung beim NDR einbrachte, hat sie sich von dieser fehlerhaften Äußerung inhaltlich nicht distanziert – schon gar nicht während der Talkshow am 9. Oktober. Folglich stand die nationalsozialistische Frauen- und Familienpolitik auch mit im Mittelpunkt der daraufhin einsetzenden Kontroverse.

In der Öffentlichkeit wurde Eva Herman von kaum jemandem verteidigt. Anders war es in einigen Blogs. In »dieGesellschafter.de« stimmte Peter Großmann Hermans Lob der nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik ausdrücklich zu, um sich gleichzeitig gegen den »Neoliberalismus« zu wenden, der sein »häss­liches Grinsen« gezeigt habe. Mit beiden ebenso falschen wie abstrusen Behauptungen erntete er viel Zustimmung bei den Diskutanten. Ähnlich war es in einem anderen Blog, wo die vorgeblich positive Frauen- und Familienpolitik mit Hinweisen auf revisionistische Literatur begründet wurde.

Fast ungeteilte Zustimmung erhielt Eva Hermans Lob der nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik bei vielen Bild-Lesern. Das veranlasste die Redaktion, den an mich gerichteten Interviewfragen auch die nach Hitlers Familienpolitik und der Lage der deutschen Frau hinzuzufügen. Natürlich verneinte ich die Aussage, dass »Werte wie Mutterschaft und Familienzusammenhalt« im Dritten Reich »hochgehalten« worden seien. Und zwar mit folgender Begründung, die ich hier deshalb zitiere, weil gerade sie erneute und besonders heftige Reaktionen hervorrief: »Die Familienpolitik unter Hitler war nicht gut, weil sie ein rassenpolitisches Ziel verfolgte: Rassenvernichtung und Rassenzucht. Sozialleistungen wie Kindergeld, Ehestandsdarlehen wurden nur an ›erbgesunde‹, ›rassisch reine‹ Paare gezahlt.« Auf die anschließende Behauptung, dass »die deutsche Frau (…) damals noch geehrt« wurde, erklärt ich: »Frauen wurden erniedrigt, auf ihre biologische Funktion als ›Muttertier‹ reduziert. Aus höher qualifizierten Berufen (Akademikerinnen, Richterinnen, Ärztinnen) wurden sie gezielt verdrängt. Später wurde ihre Arbeitskraft zum Beispiel in Rüstungsbetrieben für den ›Endsieg‹ missbraucht.«

Diese Antworten waren zwar keine historiographische Meisterleistung, aber auf jeden Fall nicht falsch und sind heute in jedem Schulbuch zumindest der Sekundarstufe II auch so nachzulesen. Umso erstaunlicher waren die Kritiken:

Ein Bild-Leser gab immerhin zu, dass die »Mütter von den Nazis missbraucht« worden seien, aber deswegen sei das alles »nicht schlecht« gewesen. Auch sonst wurde die damalige Familienpolitik allgemein gelobt. Meist im Zusammenhang mit »Hitlers Autobahn«, aber auch mit der angeblich schon von ihm eingeführten »Krankenversicherung im Rentenalter«. Die »Familienwerte« seien im Dritten Reich hochgehalten worden. Damals hätten »Anstand, Zucht, Ehre und Ordnung« geherrscht. Heute hingegen wären wir Zeugen einer »Verluderung unserer Gesellschaft von A bis Z«. Damals hätten »Kinder und Frauen noch unbeschwert auf die Straße gehen« können. Sicher sei Hitler ein »Verbrecher und Massenmörder« gewesen, aber Tatsache sei auch, »dass er sehr viel für Mütter und Kinder getan hat, z. B. Sammlungen fürs Müttergenesungswerk, Müttererholungsheime etc.« Und ein Herr des Jahrgangs 1933 meinte unter Berufung auf die »Mütter-Tagesstätten und Kinderhorte« (sowie die »geringe Kriminalität«, die »Ordnung auf den Straßen« und natürlich die »Autobahnen«) kurz und knapp: »Es war eine glückliche Zeit«.

Diese offene Zustimmung zur nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik hat mich mehr als verblüfft. Entsetzt war ich von den Lobpreisungen in einigen Blogs, die wiederum mit scharfen Angriffen auf die heutige Familienpolitik verbunden waren, in deren Genuss doch ohnehin nur die viel zu zahlreichen und sich noch dazu ungeheuerlich vermehrenden Ausländer vornehmlich muslimischer Konfession kämen. Dies geschah teilweise in einem unverfälschten Nazi-Deutsch und war Rassismus pur, der dem nationalsozialistischen in nichts nachstand.

Zu diesem Thema liegen zwar noch keine genaueren Umfragen vor, doch eins scheint sicher zu sein: Zu den angeblichen »guten Seiten« des Dritten Reichs wird ganz offensichtlich nicht nur die Autobahn, sondern auch seine rassistische Frauen- und Familienpolitik gezählt. Auch hier scheint bei der Vergangenheitsbewältigung einiges falsch gelaufen zu sein – zumindest bei der schweigenden Mehrheit, die sich davon unberührt zeigt und im Unterschied zur redenden Elite offen rassistisch denkt. Diese ihre rassistische und profaschistische Einstellung artikuliert sie zugleich in einer offenen Frontstellung gegen die Meinungsmacher »da oben«, die der schweigenden Mehrheit verbieten würden, »frei und offen« über all das zu reden.

»Nicht reden kann«

»Ich muss einfach lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten«, erklärte Eva Herman kurz vor ihrem Abgang in der »Kerner«-Show am 9. Oktober 2007: eine unfassbare und völlig unbegründete Behauptung. Denn wer soll sie und andere in Gefahr bringen – diejenigen, die sich mit Hitler und der NS-Diktatur beschäftigen? Hitler ist tot, und wir leben nicht in einer Diktatur, sondern in einer Demokratie. In ihr herrscht die in der Verfassung geschützte Forschungs- und Meinungsfreiheit. Wer etwas anderes behauptet, hat ein Problem mit dieser Verfassung oder weiß einfach nicht, wovon er spricht.

Eva Herman jedenfalls wusste es nicht. Daher war es richtig, dass Kerner nicht mehr mit ihr reden wollte. Doch die meisten Medien sahen dies völlig anders und sprachen von »Tribunal« und »öffentlicher Hinrichtung«. Einige Kommentatoren meinten sogar, eine Gefährdung der Meinungsfreiheit wahrgenommen zu haben. Dieser Unsinn wurde umgehend von der Rechten aufgegriffen und ausgenutzt. Die Junge Freiheit und selbst die rechtsradikale Na­tio­nal-Zeitung schwangen sich groteskerweise zu Apologeten der Meinungsfreiheit auf. Denn schließlich waren es immer die Rechten, die als erste die Meinungs- und andere Freiheitsrechte mit Füßen getreten haben.

Tatsächlich wurde mit dem ebenso unbegründeten wie unverantwortlichen öffentlichen Gerede von »Hinrichtung« und »Tribunal« den Rechten eine Steilvorlage geliefert, um sich einmal mehr über den fürchterlichen »Meinungsterror« der allgemeinen »Political Correctness« zu erregen, deren Opfer Eva Herman geworden sei. Dies war in Teilen der öffentlichen Medien und verstärkt noch in den Blogs und Internetforen der Fall. Hier sowie in den zahlreichen Briefen und Mails an die Fernsehstationen und Zeitungsredaktionen brachte die schweigende Mehrheit ihr Mitgefühl für die »arme Eva« und ihre Abscheu vor der »gleichgeschalteten Presse« zum Ausdruck.

Das Mitgefühl für den vermeintlichen Underdog Herman war mit dem Hass auf die Mei­nungs­macher »da oben« verbunden, die anders dächten und handelten als »wir da unten«, die jetzt nämlich laut, deutlich und drohend sich äußernde schweigende Mehrheit. Insofern hatte Herman Recht, wenn sie in der Talkshow in einem ebenfalls drohenden Unterton auf die »da draußen« hinwies, die ganz anders dächten als die »gleichgeschaltete Presse« und ihr das auch schrieben.

Auch diejenigen, die es in der öffentlichen Diskussion wagten, Kerner zu verteidigen und Herman anzugreifen, wurden bedroht. Vor allem dann, wenn sie als Linke und »Achtundsechziger« geoutet oder verdächtigt wurden, Juden zu sein oder ihnen als »Knechte« zu dienen. Ersteres wurde bei Kerner vermutet, letzteres wurde unter anderem mir unterstellt.

Weitaus schlimmer traf es die wirklichen Juden, die sich an der Diskussion beteiligt oder gar gewagt hatten, Herman zu kritisieren. Sie galten als die »Drahtzieher« der gegen Herman und andere gute Deutsche gerichteten »Verschwö­rung« und waren in der Regel die Adressaten, wenn es hieß, man könne heute über die NS-Zeit »nicht frei und offen reden«. In der Debatte wurde so ein solides Fundament für Judenhass offenbar.

Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Wolfgang Wippermann: Autobahn zum Mutterkreuz. Historikerstreit der schweigenden Mehrheit. Rotbuch Verlag, Berlin 2008. 128 Seiten, 9,90 Euro. Das Buch erscheint dieser Tage.