Faschismus und Antiziganismus

Fascismo? Non capisco!

Der virulente Antiziganismus in Italien profitiert von dem Umstand, dass die Verfolgung der Roma im Faschismus nie aufgearbeitet wurde.

Antiziganismus besteht wie Antisemitismus aus religiösen, sozialen und »rassischen« Elemen­ten: Roma gelten wie Juden als teuflische Wesen. Roma sollen mit dem Teufel ihre schwarze Gesichtsfarbe gemein und von ihm ihre magischen Fähigkeiten erhalten haben. Juden werden in dem judenfeindlichen Neuen Testament mehr­mals als »Teufelskinder« bezeichnet. Juden wie Roma sollen auch gern stehlen. Vor allem kleine Kinder, die von Juden für rituelle Zwecke geschlach­tet, von den Roma dagegen schlicht und einfach gefressen werden. Roma klauen darüber hinaus, was ihnen in die Finger gerät. Juden haben ihren unermesslichen Reichtum ebenfalls durch betrü­gerische Mittel erworben und von den schwer arbeiten müssenden Christen erpresst. Juden wie Roma gelten als »rassisch minderwertig«, wobei die »Zigeunermischlinge« noch »minderwertiger« sein sollen als die »reinrassigen«. Juden wie Roma können für alle möglichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich gemacht werden und sind daher die idealen Sündenböcke.
Der so definierte und in religiöse, soziale und »rassische« Varianten eingeteilte Antiziganismus hat mit dem Antisemitismus vieles gemein, ist aber heute weiter verbreitet als der offene Antisemitismus. In Deutschland sind heute etwa zwei Drittel der Bevölkerung antiziganistisch und ein Fünftel ist antisemitisch. In Ita­lien dürfte es ähnlich sein, obwohl entsprechende Umfragen nicht vorliegen. In Deutschland hat sich der virulente Antiziganismus mehrmals in pogromartigen Ausschreitungen entladen, so 1992 in Rostock. In Italien war dies letztes Jahr in Rom der Fall. Die diesjährigen antiziganistischen Ausschrei­tungen in Italien sind dagegen nicht mehr nur pogromartig, es handelt sich eindeutig um antiziganistische Pogrome. Weitere sind zu erwarten.

Nachdem Berlusconis Medien eine regelrechte Kampagne gegen »kriminelle Ausländer«, womit vor allem rumänische Roma gemeint sind, geführt hatten, nutzte seine Regierung die so geschaffene Pogromstimmung aus und kündigte ein »Sicherheitspaket« an, das den Behörden »Son­dervollmachten« gewährt und »Eilentscheidungen« ermöglicht. Alles richtet sich vornehmlich gegen die Roma; und alles wird in der italienischen Öffentlichkeit kaum noch kritisiert. Denn die klassische Täter-Opfer-Umkehrung funktioniert.
Der Zorn der Bevölkerung richtet sich nicht gegen die italienischen Täter, sondern die Roma-Opfer. Tatsächliche oder auch nur vermeintliche Übergriffe und Verbrechen einzelner werden »den Roma« zur Last gelegt. Außerdem werden »die Roma« für verschiedene Probleme des Landes ver­antwortlich gemacht. Von der Mafia bis zum Müll, die beide nicht hinreichend bekämpft und beseitigt werden. Doch warum müssen gerade die Roma wieder die Sündenböcke für all das sein? Zunächst einmal, weil sie vom herrschenden politischen Establishment als solche präsentiert werden. Sowohl vom ehrenwerten Silvio Berlusconi als auch von seinem noch ehrenwerteren Kompagnon Gianfranco Fini, der das Erbe der faschistischen Partei Mussolinis und der neo­fa­schis­tischen Almirantes angetreten hat. Dritter im Bunde ist der Rechtsradikale Umberto Bossi. Alle drei haben zur Hatz auf die »kriminellen Ausländer« im Allgemeinen und die Roma im Besonderen aufgerufen – und sind nicht zuletzt deshalb von den Italienern auch gewählt worden.

Damit sind wir bei der auch von vielen Linken so geliebten Bevölkerung. Sie ist aber nicht oder zumindest nicht immer lieb, sondern in großen Teilen antiziganistisch und generell fremdenfeindlich. Daran trägt auch die italienische Linke ein gerüttelt Maß an Schuld. Diese war und ist nicht nur antisemitisch oder – wie das Tarn- und Kosewort lautet – »antizionistisch« eingestellt, sie hat auch absolut nichts gegen den um sich greifenden Antiziganismus getan. Er ist in Ita­lien noch nicht einmal erforscht worden. Einschlägige Arbeiten darüber gibt es nicht. Selbst die Verfolgung der italienischen Roma zur Zeit des Faschismus ist eine einzige große Leerstelle. Überdeckt wurde alles – auch der Antisemitismus in Italien und der Rassenmord in Äthiopien – durch den Resistenza-Mythos. Er kann am besten mit dem Witz verdeutlicht werden, wonach Italien beim Sturz Mussolinis im Jahr 1943 eigentlich 80 Millionen Einwohner hatte. Müsse man doch zu den 40 Millionen Faschisten bis zum Sturz Mussolinis im Jahr 1943 noch die 40 Millionen Italiener hinzuzählen, die Antifaschisten gewesen seien.
Doch wenn wir hier mit dem Finger auf die Italie­ner und die italienischen Linken zeigen, so müssen wir uns bewusst sein, dass dabei mindestens drei Finger auf uns selbst zurückweisen. Was haben denn wir – Deutsche und Europäer, Linke und Liberale – für die Roma und gegen ihre Diskriminierung und Verfolgung bei uns getan? Vor allem im EU-Land Rumänien hat die Verfolgung dramatische Ausmaße angenommen. Um dieser Verfolgung zu entgehen, sind viele Roma nach Italien geflohen, wo sie jetzt von einem Pogrom bedroht sind. Und dies ist mit ziem­licher Sicherheit nicht das Ende der Geschichte.