Protest gegen das umstrittene Überwachungsgesetz in Schweden

Das volle Programm kriegen Sie natürlich über Kabelanschluss

Von 2009 an darf der Geheimdienst FRA die Kommunikation der Schweden überwachen. Eine Koalition von Kritikern versucht, das Schlimmste noch zu verhindern.

Die schwedische Regierung hatte wohl gehofft, in der Sommerpause werde sich die Lage beruhigen, und die vielen Schweden, die im Mai und Juni gegen Überwachung und Eingriffe in ihre Privatsphäre protestiert hatten, würden beim Würstchengrillen oder Campen ihren Ärger vergessen. Noch aber sieht es danach nicht aus. Die Journalistengewerkschaft verteilt weiterhin Flugblätter in der Stockholmer Fußgängerzone, Oppositionspolitiker schmieden Pläne, wie neue Überwachungsmaßnahmen des Staates noch verhindert werden könnten, und die Internet­aktivisten von der Piratenpartei verschenken Bananen – schließlich sei Schweden, wie sie sagen, bald schon eine »Bananenrepublik«.
Kurz bevor die Parlamentsabgeordneten in den Sommerurlaub gingen, verabschiedeten sie am 18. Juni ein umstrittenes Überwachungsgesetz. Das so genannte FRA-Gesetz ermöglicht es dem Geheimdienst Försvarets-Radioanstalt (FRA), einer Behörde vor den Toren Stockholms mit 650 Mitarbeitern, fast die gesamte grenzüberschreitende Kommunikation der Schweden anhand von Suchbegriffen zu durchkämmen.

Die FRA hatte bisher schon das Recht, den Funkverkehr von und nach Schweden abzuhören. Nun wird die Überwachung an moderne Kommunikationsmittel angepasst und, so die Regierung, »technikneutral« gemacht. E-Mails, Faxe und Telefonate – alles, was über Kabel übertragen wird, sowie die Handykommunikation soll von 2009 an ausspioniert werden dürfen. Ab Oktober 2009 müssen Telekombetreiber zu diesem Zweck auch die Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern und auf Verlangen zugänglich machen. Ob E-Mails tatsächlich ins Ausland geschickt werden oder von dort kommen, spielt dabei letztlich kaum eine Rolle. Auch Nachrichten, die innerhalb Schwedens verschickt werden, passieren manchmal die Außengrenzen, wenn Netzbetreiber Server in anderen Ländern haben. Nur der gute alte Brief dürfte ab 2009 noch sicher sein.
Die Piratenpartei, die ursprünglich gegründet wurde, um freies Filesharing im Internet zu ermöglichen, verglich den Beschluss im Parlament mit einem »Staatsstreich«, weil er für schwedische Verhältnisse unter dramatischen Umständen zustande kam. Die bürgerliche Regierungskoalition aus Moderaten (Gemäßigte Sammlungspartei), Zentrumspartei, Liberalen und Christdemokraten hatte bis kurz vor der Entscheidung am 18. Juni um ihre Mehrheit gebangt, denn in allen Parteien hatten sich Abweichler zu Wort gemeldet, die erklärten, sich der Stimme enthalten oder sogar gegen die Überwachungspläne stimmen zu wollen. Um sie auf Linie zu bringen, wurde das Gesetz kurzerhand in den Verteidigungsausschuss zurück­überwiesen und eilig ergänzt, aber am Abend des gleichen Tages noch einmal dem Plenum vorgelegt.
Die Regierung versprach, nach der Sommerpause weitere Details zu verändern, daraufhin wurde das Gesetz mit 143 zu 138 Stimmen angenommen. 67 Abgeordnete erschienen nicht zur Abstimmung, einer enthielt sich. Was genau nun nach der Sommerpause noch passieren soll, ist unklar. Unter anderem ist die Rede von einer neuen Behörde, die die Försvarets-Radioanstalt kontrollieren und sicherstellen soll, dass niemand zu Unrecht im Raster hängenbleibt. Die Überwacher könnten also ihrerseits überwacht werden.
Während Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei inzwischen angekündigt haben, das Gesetz im Fall eines Machtwechsels nach der nächs­ten Wahl 2010 wieder abzuschaffen, haben die Regierungsparteien die Proteste der Überwachungs­kritiker unterschätzt. Viele Schweden hatten im Herbst 2006 für die konservativen und liberalen Parteien gestimmt, weil sie die zuvor regierenden Sozialdemokraten als autoritär und bevormundend empfanden. Nun haben ausgerechnet die als liberaler geltenden Bürgerlichen die Überwachungsmaßnahmen des Staates erhöht und Freiheitsrechte geschmälert. Der Gesetzgeber habe ein »Standbein der Demokratie amputiert«, sagt etwa Rick Falkvinge von der Piratenpartei. »Demokratie setzt voraus, dass die Staatsmacht transparent ist, aber die Bürgers nicht sind.« Nun komme es umgekehrt. Auch die Jugendorganisationen der Regierungsparteien hatten sich gegen das Gesetz ausgesprochen.
Widerstand kommt auch von Journalisten, Herausgebern und Verlegern. Sie weisen darauf hin, dass ihre Quellen nicht länger geschützt sind. Wer sich anonym an eine Zeitungsredak­tion wendet, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, kann künftig im Suchraster des Geheimdiensts landen, seine Identität kann aufgedeckt werden. Damit werde gegen die Pressefreiheit verstoßen, kritisiert Tidningsutgivarna, der Verband der Zeitungsherausgeber. Das FRA-Gesetz untergrabe das Vertrauen der Bürger in die Medien, meint die Vorsitzende Anna Serner. »Aber letztlich sind alle betroffen, denn Informationen, die an die Öffentlichkeit kommen sollten, drohen künftig verborgen zu bleiben, weil man weiß, dass die Anonymität nicht mehr geschützt ist.«
Ähnlich äußerte sich die schwedische Gewerkschaft Journalistförbundet in einem offenen Brief an die Abgeordneten. »Journalisten arbeiten heute immer globaler. Massenweise Tipps, Material und sonstige Angaben werden über nationale Grenzen hinweg an Redaktionen geliefert.« Dies sei jedoch nur dann möglich, wenn Informanten sicher sein können, dass sie nicht enttarnt werden, heißt es in dem Schreiben. »Journalisten und Quellen, die Kontakt zu Redaktionen aufnehmen, verwenden mit Sicherheit Wörter und Begriffe nennen Ereignisse, die gleichzeitig Suchbegriffe sind und deshalb von der FRA abgefangen werden«, sagte die Gewerkschaftsvorsitzende Agneta Lindblom Hulthén. Gemeint sind Ausdrücke wie »Terrorangriff« oder »Bombe«, aber auch subtilere Formulierungen. In ihrem privaten Blog im Internet schrieb Hulthén, das FRA-Gesetz erinnere sie an die Politik der dreißiger und vierziger Jahre.

Weitere Proteste kamen von Internetanbietern und IT-Unternehmen. Schweden habe einen guten Ruf als offene Gesellschaft und »führende Wissens- und IT-Nation«, schrieben acht Manager und Firmenchefs in einem Debattenartikel in der Zeitung Dagens Nyheter. Wenn Schweden ein Abhörgesetz einführe, das weiter geht als in anderen Ländern, bestehe die Gefahr, dass IT-Firmen abwanderten, sich erst gar nicht in Schweden ansiedelten oder dass Kunden Anbieter wählten, die keine Server in Schweden haben. Der staatliche Telekomkonzern Telia-Sonera habe auf Verlangen finnischer Kunden bereits einige Internet- und E-Mail-Server aus Schweden abgezogen, so die Unternehmer. Die Internetfirma bahnhof.se erklärte sogar, sich nicht an das Gesetz halten zu wollen. Man ist überzeugt, dass die neuen Befugnisse der FRA einer juristischen Prüfung nicht standhalten und gegen Schwedens Grundgesetz verstoßen.
Die von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt geführte Regierung betont unterdessen fortwährend, es gehe ihr nicht darum, brave Bürger zu kontrollieren, die Pressefreiheit einzuschränken oder die IT-Branche zu verprellen. Ihr Ziel sei vielmehr, »äußere Gefahren für unser Land zu erkennen, zu verstehen und abzuwenden«, sagte Verteidigungsminister Sten Tolgfors. Dass Internetanbieter Schweden verlassen könnten, bezeichnete er als unrealistisch. Auch andere Länder hätten Abhörsysteme, etwa die USA, China, Großbritannien und Deutschland. »Der Unterschied ist nur, dass wir in Schweden eine offene Diskussion darüber haben«, meint Tolgfors.
Försvarets-Radioanstalt will nach Angaben der Zeitung Svenska Dagbladet vor allem Spiona­ge­aktivitäten Russlands nachspüren können. Unter Berufung auf eine anonyme Quelle schrieb das Blatt kürzlich, 80 Prozent der russischen Kommunikation mit dem Rest der Welt würden durch Kabel in Schweden übertragen. Regierung und Militär in Schweden wollen der Quelle zufolge besser darüber Bescheid wissen, was die russische Regierung im Schilde führt, und diese Informationen mit befreundeten Staaten austauschen.

Angesichts der bislang kaum nachlassenden Proteste ist zu erwarten, dass sich der Verteidigungsminister nach der Sommerpause bemühen wird, das FRA-Gesetz nachträglich um einige Regelungen zu ergänzen, die den Schweden vorgaukeln, ihre persönliche Integrität bleibe geschützt. Selbst wenn ihm das gelingt, dürfte das liberale Image der Regierung dauerhaft Schaden genommen haben.
Auch bürgerliche Zeitungen wie Dagens Nyheter, die der Regierung positiv gegenüberstehen und deren Wahlsieg vor zwei Jahren geradezu herbeigeschrieben haben, vergleichen die Abhörambitionen des Staates mit Stasi-Methoden. Die neun Millionen Schweden sind es zwar gewöhnt, dass Behörden mit Hilfe von Personennummern an ihre persönlichen Daten gelangen und dass Verwaltungsakte, z.B. Steuerbescheide, die in anderen Ländern Privatsache sind, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mit dem FRA-Gesetz scheint nun aber eine kritische Grenze erreicht zu sein. Viele wollen den Kontrollwahn nicht mehr hinnehmen.