Brandanschläge auf Kulturzentrum Cyclopen und Gewerkschafter

Die Mordbrenner sind los

In Stockholm sorgen die Brandanschläge auf linke Gewerkschafter und das Kulturhaus »Cyklopen« für Aufsehen. Die schwedische Polizei hat Nazis im Verdacht. ­Diese marschierten am Wochenende erneut durch die Ortschaft Salem.

Es muss ein erschreckender Vorgang gewesen sein: Am Montag vor einer Woche bemerkten eine 24jährige Stockholmerin und ihr 27jähriger Partner, wie jemand zunächst eine brennbare Flüssig­keit durch den Briefschlitz ihrer Wohnungs­tür kippte und dann entzündete. Kurz darauf standen bereits der Flur und die Küche der Wohnung in Flammen. Das Paar flüchtete sich auf den Balkon und reichte seine zweijährige Tochter zu ­einem Nachbarn hinunter. Danach kletterten die beiden selbst aus dem brennenden Stockwerk. Alle drei kamen ohne körperliche Verletzungen davon, aber die Wohnung brannte aus.
Die Stockholmer Polizei ermittelt nun wegen eines Delikts, das im Schwedischen »Mordbrand« heißt, also wegen Brandstiftung und versuchten Mordes. Sie vermutet Nazis als Täter. Vor zwei Monaten waren Fotos des Paars auf der einschlägigen Internetseite »info14.com« veröffentlicht worden. Die beiden sind Mitglieder der syndikalistischen Gewerkschaft »Sveriges Arbetares Centralorganisation« (SAC). Schwedische Nazis stellen umfangreiche Karteien politischer Gegner ins Internet, häufig mit Fotos. Die SAC gehört zu einer Reihe von Organisationen in Schwed­en, die sich gegen Rassismus und Nazis engagieren. Neben der SAC zählen dazu auch das »Netzwerk gegen Rassismus« (»Nätverk mot rasism«), ein landesweiter Zusammenschluss antirassistischer und antifaschistischer Gruppen, die Stiftung »Expo.se«, die rechtsextreme Bewegungen beobachtet, oder auch der Jugendverband der schwedischen Linkspartei »Ung Vänster« (Junge Linke).

Seit 1981 wurden in Schweden 21 Menschen von Nazis ermordet. Im Mai 1999 raubten drei Nazis eine Bank aus und erschossen in der Ortschaft Malexander zwei Polizisten, von denen sie verfolgt wurden. Im Juni desselben Jahres wurde in einem Vorort von Stockholm ein Bombenattentat auf einen Journalisten verübt, der kritisch über Nazis berichtet hatte. Er wurde schwer verletzt, überlebte aber. Im Oktober 1999 wurde der Gewerkschafter Björn Söderberg erschossen, das Attentat sorgte auch im Ausland für Schlagzeilen.
In den Jahren danach wurde es ein wenig ruhiger, unter anderem weil die schwedische Nazi-Bewegung in teilweise miteinander konkurrieren­de Kleingruppen zerfiel. Eine der größeren von ihnen, die noch immer durch Gewaltakte von sich reden macht, ist die »schwedische Widerstandsbewegung« (»Svenska Motståndsrörelsen«). Sie spricht sich für einen bewaffneten Kampf gegen die verhasste multikulturelle Gesellschaft aus, rich­tet ihre Angriffe derzeit aber seltener gegen Einwanderer als vielmehr gegen Personen, die sie für den Multikulturalismus in Schweden verantwort­lich macht – Linke, Politiker und Gewerkschafter. So griffen im September vergangenen Jahres Mitglieder der »Widerstandsbewegung« einen jungen Linken im Zentrum Stockholms an und stachen ihm mit einem Messer in den Nacken. Der junge Mann wurde lebensgefährlich verletzt. Im August 2007 überfielen und verprügelten etwa 20 Nazis die Besucher eines von der Jungen Linken veranstalteten Konzerts. Auch in diesem Fall bekannte sich die »Widerstandsbewegung« zu der Tat.
Im Spätherbst 2008 scheint sich nun ein neuer Höhepunkt nazistischer Gewalt abzuzeichnen. Zwei Tage vor dem Brandanschlag auf die Gewerk­schafter stand bereits das linke Kulturhaus »Cyklopen« im Stockholmer Viertel Högdalen in Flam­men. Die Polizei vermutet, dass in beiden Fällen dieselben Täter am Werk waren. Das »Cyklopen« war seit seiner Gründung im vergangenen Jahr ein Treffpunkt der linken Szene. Am Abend des Brandanschlags sollte ein Fest stattfinden, auf dem auch zu einer Demonstration gegen Nazis aufgerufen werden sollte. Die Veranstaltung wur­de jedoch abgesagt, zum Zeitpunkt der Attacke stand das Haus deshalb leer. Einige Tage zuvor war im »Cyklopen« eingebrochen worden. Dabei verschwanden Wertsachen ebenso wie zwei Gasbehälter, die zum Heizen benutzt wurden. Das autonome Kulturprojekt hatte weder Strom noch eine Heizung.

»In diesem Haus steckte wahnsinnig viel Arbeit. Jetzt wollen wir eine Kampagne in Gang bringen, um es wieder aufbauen zu können«, sagte ein Sprecher des »Cyklopen« nach dem Anschlag der Zeitung Arbetaren. Die Betreiber hoffen auch auf öffentliche Hilfe. Die Stockholmer Linkspartei tritt dafür ein, dass der Wiederaufbau des Kul­turhauses mit Geld der Stadt Stockholm bezuschusst wird. Der Veranstaltungsort sei »eines von wenigen freien und spannenden Kulturhäusern« gewesen. Die Betreiber hätten einen »unglaublichen Einsatz« geleistet, sagte Anna-Margarethe Livh, eine Kommunalrätin der Linkspartei. Die Forderung nach staatlicher Hilfe dürfte sich im von konservativen Parteien beherrschten Stadtrat Stockholms jedoch kaum durchsetzen lassen.
Die Vermutung der Polizei, Nazis hätten den Brandanschlag verübt, wird dadurch erhärtet, dass auf »info14.com« besonders früh über das Feuer berichtet wurde. »Kommunistische Festung in Flammen«, meldete die Website bereits vier Stunden nach dem Anschlag. »info14.com« ist ein wichtiges Informationsportal für Nazis in Skandinavien. In den vergangenen Monaten wurde dort unter anderem für einen Fackelzug geworben, der seit 2001 jedes Jahr im Stockholmer Vorort Salem stattfindet.
Am 9. Dezember 2000 war dort ein 17jähriger Nazi-Skinhead von einer Jugendgang nach einem Streit zu Tode getreten worden. Seither nutzen rechtsextreme Gruppen den Todestag als Anlass, nach Salem zu fahren und gegen »schwedenfeind­liche Gewalt« zu demonstrieren. 2003 kamen rund 1 500 Nazis zusammen, seither gehen die Teilnehmerzahlen langsam zurück. Am vergangenen Samstag fanden sich immerhin aber zwischen 600 und 700 Nazis ein, nicht nur aus Schweden, sondern auch aus Dänemark, Deutschland und Norwegen. Während sie von den Behörden die Erlaubnis bekamen, wie gewohnt mit Fackeln durch Salem zu ziehen, eine Kundgebung abzuhalten und Kränze an dem Ort niederzulegen, an dem es im Jahr 2000 zu dem Todesfall gekommen war, wurden antifaschistische Gegendemonstranten mit einem faktischen Demonstrationsverbot belegt. Statt einem Umzug wurde dieses Jahr nur eine Kundgebung erlaubt, und selbst diese kam nur in Ansätzen zustande.

Bereits zur Mittagszeit hatten sich Gegendemonstranten an der Bahnstation Rönninge eingefunden, um die Anreise der Nazis zu behindern. Dort hielt die Polizei sie jedoch fest. Nach Medienangaben wurden etwa 200 Antifaschisten nach und nach aus dem Bahnhofsgebäude nach draußen gelassen, 186 aber in Busse verfrachtet und in andere Teile Stockholms transportiert. Andere wurden – teilweise gewaltsam – dazu gebracht, wieder in einen Vorortzug zu steigen und wegzufahren. Insgesamt wurden etwa 500 Personen vorübergehend festgenommen.
Als die Nazis bei Einbruch der Dunkelheit in Salem eintrafen, waren somit fast keine Gegendemonstranten mehr an Ort und Stelle, der Fackelzug konnte ungestört ablaufen. »An diesem Tag war das Demonstrationsrecht nur den Nazis vorbehalten«, schrieb das »Netzwerk gegen Rassismus« später verbittert auf seiner Internetseite. Lediglich das örtliche Salemer Bündnis »Stoppt den Nazismus – aktive Gewaltfreiheit« durfte sich entlang der Marschroute aufstellen. Die Teilnehmer hielten Plakate mit den Namen von Personen hoch, die von Nazis ermordet worden waren.