Wissensproduktion im Postkapitalismus

Vom Wissen lernen?

Die Idee der »Commons« lehnt sich an alte bäuerliche Eigentumsformen ebenso wie an Formen digitaler postindustrieller Wissensproduktion an. Aber läßt sich aus den verschiedenen Konzepten von »Commons« wirklich eine einheitliche hoffnungsvolle Vision der postkapitalistischen Vergesellschaftung gewinnen?

Die Theorie des »Empire« versprach einen Begriff von Herrschaft, der neben der Macht der Nationalstaaten auch die von Staatenbünden und internationalen Organisationen berücksichtigt. Das Konzept der »Multitude« versprach eine revolutinäre Subjektivität, die nicht als Klassenkollektivität gedacht werden muss. Und die »Commons«? Sie versprechen eine neue Art, die Verfügung über die Mittel des Lebens und Produzierens zu denken.
Dabei spannt der Entwurf der »Commons« einen weiten Bogen – von bäuerlichen bis zu digitalen Produktions- und Distributionsverhältnissen. Die bäuerliche Selbstverwaltung der natürlichen Ressourcen inklusive des Managements von Wasservorräten und der Zuteilung von Feldern ist der Herkunftsbereich des Begriffs, aber auch heute gehören die Kämpfe von bäuerlichen Landlosen noch zum Diskurs um die »Commons«. In den industrialisierten Regionen erscheinen die »Commons« dagegen vor allem deshalb bedeutsam, weil hier unter diesem Begriff auch die einst staatlich verwaltete – und oft bereits privatisierte – Infrastruktur verstanden werden kann: Stromnetze, Bahnlinien, Autobahnen und Glasfaserkabel. Ist der Begriff einmal so ausgeweitet, werden unter »Commons« heute oft allgemein die Grundlagen des sozialen und individuellen Lebens gefasst, so dass schließlich die Gesundheitsfürsorge oder gar »das Klima« im Diskussionskontext der »Commons« auftaucht.
Ein zentraler Punkt der nicht immer begriffsscharfen Debatte um die »Commons« ist das Wissen. Als sozial geschaffene Voraussetzung der Entwicklung von Gesellschaft und Individualität gilt Wissen als Allgemeingut – insbesondere seit es sich dank der digitalen Revolution zumindest theoretisch beliebig reproduzieren und verteilen lässt. Während die einen sich deshalb um das »geistige Eigentum« sorgen, glauben andere hier das neue Paradigma für »Commons« zu erblicken. Mit dem gesamten Komplex der immateriellen Güter – vom Wissen über die kommunikative Steuerung von Beziehungen bis zu den diversen Kulturprodukten – ist schließlich auch der Bogen von der bäuerlichen Selbstversorgung zur postindustriellen Produktionsweise unserer Gegenwart gespannt. Kein Wunder, dass sich in der Welt der Altermondialisten, die sich einerseits oft gern auf das bäuerliche Leben rückbesinnen, andererseits ihre globale Vernetzung der digitalen Revolution verdanken, viele auf den Kampf für die »Commons« einigen können.

Dies provoziert die Frage, ob der thematische Bogen, der mit dem »Commons«-Begriff geschlagen wird, nicht zu weit gefasst ist. Denn was heißt es, in all diesen Fällen für die »Commons« zu kämpfen? Nur die Negativbestimmung ist klar. Das Regime des Eigentums soll überwunden werden. Ob südamerikanischer Regenwald oder mp3, der Ausschluss von Nutzerinnen und Nutzern durch den exklusiven Anspruch Einzelner auf ein Stück Land oder auf eine Melodie soll der gemeinsamen Nutzung aller Interessierten weichen. Für eine antikapitalistische Haltung ist eine solche Negativbestimmung ausreichend, denn ohne das Eigentum einzelner über die Mittel der Produktion und ihre Ergebnisse kann der Kapitalismus nicht existieren. Die tatsächliche Überwindung der kapitalistischen Ordnung müsste aber darüber hinausgehen. Mit den »Commons« müsste sich eine Vorstellung davon verbinden, wie die Reproduktion der nicht-kapitalistischen Gesellschaft organisiert werden soll. Aber was heißt es, die »Commons« gemeinsam zu nutzen und zu mehren?
Auf diese Frage gibt es ganz unterschiedliche Antworten, die den scheinbar allgemeinen Begriff der »Commons« in verschiedene Konzepte zerfallen lassen. Im Falle des gemeinschaftlich bewirtschafteten Bodens etwa gab es das Modell der alten russischen Gemeinden, in denen der Boden an die einzelnen Familien im regelmäßigen Turnus neu verteilt wurde – unter Berücksichtigung der Größe der Familien und der unterschiedlichen Bodenqualität. Eine Art der Allmende, bei der die Arbeiten vor allem von vereinzelten Familien geleistet wurden, bei der aber zufällige Vorteile bei der Landverteilung nicht zum dauerhaften Nachteil anderer werden konnten.
Dieses Modell der Neuverteilung von Besitz ist – wenn auch unbewusst – bis heute der Hintergrund der Besetzungen der Landlosen. Die Situation der Armut und Besitzlosigkeit soll aufgebrochen werden, indem die Existenzgrundlage – das Land – unter allen verteilt wird. Unter kapitalistischen Bedingungen sind solche Aufteilungen zu gleichen Teilen oft nicht von Dauer. Wer aufgrund von Naturkatastrophen, Unglücksfällen oder Fehlinvestitionen in der allgemeinen Konkurrenz unterzugehen droht und hohe Schulden hat, kann zum Verkauf seines Landes gezwungen werden. Die permanente Drohung, durch das Marktgeschehen die Existenzgrundlage zu verlieren, kann nur aufgehoben werden, wenn die Landverteilung periodisch stattfindet. Ergebnis wäre ein Kapitalismus auf Sparflamme, in dem der allgemeine Produktivitätsfortschritt eher gehemmt als gefördert würde und das Elend der individualisierten Produktion erhalten bliebe. Das »Common« der regelmäßigen Neuverteilung ist ein Eigentum auf Zeit, das einige seiner Funktionen verliert – es kann nicht verkauft, verschenkt, vererbt oder beliehen werden –, aber einer gemeinsamen Organisation von Produktion und Reproduktion steht es weiterhin im Weg.

Ganz anders sieht es aus, wenn es nicht mehr um die bäuerlichen Reproduktionsverhältnisse geht, sondern um die Infrastruktursysteme der Industriegesellschaft. Deren periodische Um- und Neuverteilung ist unmöglich, solange es sich um Großstrukturen handelt. Nun gibt es die Vorstellung einer Gesellschaft, in der etwa die Energieversorgung von Großanlagen auf kleinere Einheiten umgestellt wird, die dann in dörflicher Manier betrieben werden können. Wo das aber nicht gelingt oder nicht sinnvoll ist – etwa im Gesundheitssystem oder bei Verkehrs- und Kommunikationsnetzen –, bezeichnet der Begriff »Commons« schlicht eine nicht besonders innovative Form von Verstaatlichung.
Denn die Verstaatlichung einer kapitalistischen Produktionseinrichtung ändert an deren Charakter nur, dass die Entscheidungen über die Entwicklung und Ziele der Produktion auch durch politische Mandate beeinflusst werden können. Wenn die Strompreise steigen, ist die Regierung verantwortlich. Die Art dagegen, wie produziert wird, also welche Produktions- und Managementmethoden angewandt werden, dass Lohnarbeit stattfindet und die Ergebnisse als Waren verkauft werden, all das ändert sich nicht. Die Verstaatlichung führt – mit Marx gesprochen – zum »Kommunismus des Kapitals«, zu einer gesellschaftlichen Form der Produktion, die ihre Gesellschaftlichkeit unter der Form des Eigentums entwickelt. Bürokratie und Technokratie sind ihr Resultat.

Weil die Idee staatlicher Großbetriebe als allgemeines Zukunftsversprechen dann doch genauso unattraktiv ist wie die regressive Vorstellung dörflicher Selbstversorgungskartelle, soll eine dritte Version des Gedankens Abhilfe schaffen. Die wird aus der immateriellen Produktion entwickelt, in der es außer ein paar Laptops keiner materiellen Produktionsmittel bedarf. Die neuen postindustriellen digitalen Produktionsverhältnisse der kommunikativen und kreativen Berufe zeichnet zudem aus, dass in ihnen die Organisation der Produktion vielfach schon selbst Teil des Produzierens ist. Freie Softwareentwicklerinnen, die sich die Arbeit an einem Projekt teilen, gelten als paradigmatisch für eine Zukunft, in der Antonio Negri und Michael Hardt zufolge die Arbeitenden niemanden mehr für die Managementaufgaben brauchen. Eine Idee, die an Lenins Vorstellung erinnert, die Organisation der Fabriken könne nach der Revolution von den Arbeitenden einfach nebenbei mit erledigt werden. Wer lesen, schreiben und rechnen könne, könne ja auch die Produktion organisieren.
In der postindustriellen Produktion, von der Negri und Hardt ausgehen, steckt zwar ein höheres Maß an Wissen über die Prozesse der Produktion. Aber heißt das schon, dass das Hindernis, an dem Lenins Idee in der Praxis scheiterte, nämlich der besondere Charakter der zur Produktion erforderlichen Organisations- und Koordinationsleistung, beseitigt ist? Lässt sich die industrielle Produktion von Gütern, der jede Gesellschaft bedarf, die nicht auf das Maß dörflich-bäuerlichen Lebensstandards zurückfallen will, tatsächlich wie ein Softwareprojekt in viele kleine Module zerlegen, die von digitalen Dorfkommunen übernommen werden? Es liegt nahe zu vermuten, dass das technoide Romantik ist. Der Bogen, den das Konzept der »Commons« von der bäuerlichen zur digitalen Produktion schlägt, um eine Vision der postkapitalistischen Gesellschaft hervorzubringen, scheint doch reichlich überspannt.