Rasse und Klasse in den USA

Baumwolle und Blut

Marx, Engels und der Amerikanische Bürgerkrieg.

Bei strömendem Regen marschiert die geschlagene Armee der Sklavenhalter am 4.Juli 1863 zurück nach Süden. Drei Tage lang hatten die Konföderierten bei Gettysburg die Truppen der Union angegriffen. Am ersten Tag hatten die grau uniformierten Soldaten der Südstaaten ihre in Blau gekleideten Gegner auf die Hügel östlich des Städtchens zurückgedrängt. Am zweiten Tag scheiterten sie bei dem Versuch, die Flanken der Unionsarmee zu durchbrechen, und am dritten und letzten Tag endete ihr Frontalangriff im Zentrum in einem Desaster. Von 15 000 Angreifern wurde die Hälfte von den Kanonen und Musketen der Yankee-Armee niedergemäht. »Pickett’s Charge«, benannt nach George Pickett, dem Kommandeur der Division der Konföderierten, entschied in Pennsylvania die Schlacht, die den Wendepunkt des amerikanischen Bürgerkriegs darstellte.
Diese Schlacht, die vor genau 150 Jahren stattfand, ist mit mehr als 50 000 Toten und Verwundeten die blutigste, die je auf amerikanischem Boden ausgetragen wurde. Es ist die erste klare Niederlage, die die konföderierte Armee auf dem östlichen Kriegsschauplatz erleidet. Ihr Oberbefehlshaber Robert E. Lee verliert den Nimbus des Unbesiegbaren, seine Armee die Initiative. Lees Strategie, die Yankees mit einer Offensive zu zermürben, vielleicht gar die Hauptstadt Washington oder Philadelphia zu bedrohen und England und Frankreich zur diplomatischen Anerkennung der Konföderation zu bewegen, ist gescheitert.
Während Lee am Unabhängigkeitstag der USA die geschlagenen Truppen über den Potomac nach Virginia führt, beendet Nordstaaten-General Ulysses S. Grant im Westen den Feldzug gegen Vicksburg, die letzte größere Bastion der Konföderation am Mississippi. Die ausgehungerte Besatzung von 30 000 Mann kapituliert. Strategisch ist es der bis dahin bedeutendste Sieg der Unionsarmee. Wenige Tage später hat der Norden die Kontrolle über den gesamten Fluss, einen zentralen Transportweg, wiederhergestellt, die Konföderation ist geteilt. Mit diesem zweifachen Sieg Anfang Juli 1863 ist der Krieg militärisch vorentschieden.
Der Amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 ist neben dem Kampf um die Unabhängigkeit (1776–1783) das zentrale Ereignis in der Geschichte des Landes und eines der bedeutendsten Ereignisse der Neuzeit. Das Ende des Konflikts bringt rund vier Millionen Afroamerikanern die Befreiung von der Sklaverei, wenn auch nicht von rassistischer Unterdrückung. Ein bürgerlich-demokratisches System, das es zu dieser Zeit sonst nirgendwo in vergleichbarer Form gab, hatte seine schwerste Bewährungsprobe bestanden. Die Einigung des Landes schuf die Voraussetzung dafür, dass die USA das britische Empire als Weltmacht ablösen konnten. Friedrich Engels prognostizierte bereits 1864 den Aufstieg der USA einschließlich des Siegeszugs imperialer Politik. Die neue Armee und Flotte würden, so schrieb er, bald auch Verwendung finden. Hätte der Norden verloren und hätten die USA sich in mehrere Staaten geteilt, wäre die Geschichte des 20. Jahrhunderts anders verlaufen. Schauerlich die Vorstellung, der deutsche »Griff zur Weltmacht« (Fritz Fischer) wäre bereits im Ersten Weltkrieg von Erfolg gekrönt gewesen.
Der amerikanische Bürgerkrieg ist der erste moderne Krieg, mit U-Booten, Panzerschiffen, Heißluftballonen und Massenheeren, die sich auf riesigen Territorien gegenüberstehen. Die Muskete als gebräuchlichste Infanteriewaffe ist zwar ein einschüssiger Vorderlader. Eingesetzt wird allerdings eine verbesserte Variante mit größerer Reichweite und Zielgenauigkeit, die zusammen mit der Artillerie für enorme Verluste der Gegner sorgt, zumal die militärische Taktik der Entwicklung der Waffentechnik hinterherhinkt. Ordentlich in Reih’ und Glied marschieren die Soldaten aufeinander los. Hätte man mit älteren Musketen nur wenige getroffen, mähen die Salven aus verbesserten Waffen ganze Reihen nieder. Zugleich ist der Stand von Medizin und Hygiene oft noch fast mittelalterlich: Viele Soldaten sterben am Wundbrand, den miserablen sanitären Verhältnissen in den Camps fallen mehr Menschen zum Opfer als den Kampfhandlungen.
Nach der Schlacht von Gettysburg agiert der Süden defensiv. Was die Soldaten beider Seiten in den Schützengräben in Virginia im Sommer und Winter 1864 erleben, wiederholt sich später in anderer Konstellation an der Westfront 1914 bis 1918. Die Amerikaner hatten 1861 – wie viele Europäer im Sommer 1914 – geglaubt, die Sache werde nach ein bis zwei Treffen ausgestanden sein, in denen sich Fußvolk mit wehenden Fahnen und schneidige Kavalleristen auf offenem Feld gegenübertreten. Diese Hoffnung erklärt, warum sich zunächst Zehntausende freiwillig zum Kriegsdienst meldeten. Im Norden musste die Regierung unter Abraham Lincoln jedoch später die Wehrpflicht einführen, worüber es zu scharfen Auseinandersetzungen kam.
Die Massenheere und die Massenproduktion von Waffen und Verpflegung erforderten, die Zivilbevölkerung stärker zu mobilisieren als je zuvor. Beide Seiten schlachteten militärische Erfolge propagandistisch aus und versuchten, die Bevölkerung der jeweiligen Gegenseite durch Offensiven zu beeindrucken. Lees Vorstöße nach Maryland im Jahr 1862 und nach Pennsylvania 1863 sollten die Yankees reif für den Frieden machen. Auf dem Marsch durch Georgia und die Carolinas zerstörten Unionstruppen 1864 Bahnanlagen, Fabriken und Ernten, um die Versorgung der Konföderation zu unterbinden und den Durchhaltewillen der Zivilisten zu brechen. Unterwegs schlossen sich Tausende Deserteure der Südarmee und rebel­lische Sklaven den Unionstruppen an.

Rasse und Klasse
Wenn dieser Konflikt im historischen Bewusstsein und in den Geschichtsbüchern der Europäer eine marginale Rolle spielt, dann weil Medien und Schulen jedes Landes sich hier noch immer darauf konzentrieren, Geschichte als erfolgreiche Herausbildung des eigenen Nationalstaates darzustellen. Zudem verhindert in Eu­ropa der Antiamerikanismus jede differenzierte Beschäftigung mit den USA, die vielen weiterhin als Schurkenstaat gelten. Wären Marx und Engels ebenso ignorant gewesen wie manche antiimperialistische und globalisierungskritische Linke von heute, hätten sie vielleicht unter dem Motto »Kein Blut für Baumwolle« Friedensdemonstrationen gegen geldgierige Yankees veranstaltet und damit die rassistische Konföderation der Sklavenhalter gestärkt.
Dabei ist dieser Konflikt für radikale Linke hochinteressant: Klassenverhältnisse und Rassismus waren in ihm untrennbar verknüpft. Aus dieser Diagnose ergeben sich Fragen nach der Bedeutung und dem Verhältnis von »objektiven« ökonomischen und gesellschaftlichen Tatsachen und »subjektiven« handlungsleitenden Einstellungen. Außerdem lassen sich am Ausgang des Krieges die Erfolge und Grenzen von Bündnispolitik beispielhaft veranschaulichen. Der Sieg der Union beruhte auf einer breiten Koalition, in der die Abschaffung der Sklaverei am Anfang nur von einer Minderheit gefordert wurde. Umgekehrt trug der Rassismus der Weißen im Norden zu einer schnellen Versöhnung beider Seiten bei, so dass die Rebellen im Süden bald rehabilitiert wurden und die Großgrundbesitzer ungeschoren blieben. Dagegen wurden die Afroamerikaner nach dem Ende der Periode der sogenannten reconstruction entrechtet und waren bis in die sechziger Jahre hinein einem institutionalisierten Rassismus sowie dem Terror des Mobs ausgesetzt, der Tausende von Schwarzen lynchte.
Religion und Moralvorstellungen waren eine mächtige Triebkraft in dem Konflikt. Die Legitimität der Gesellschaftsordnung im Süden wurde im Norden klassenübergreifend und grundsätzlich untergraben durch Harrriet Beecher Stowes Bestseller »Uncle Tom’s Cabin« (»Onkel Toms Hütte«, 1852), einen rührseligen Kitsch­roman, der die »besondere Institution«, wie die Sklaverei euphemistisch genannt wurde, an ihrem moralisch empfindlichsten Punkt traf, indem er beschrieb, wie Ehegatten, Eltern und Kinder durch den Sklavenhandel auseinandergerissen wurden. Der Abolitionismus wurde getragen von einer protestantischen Bewegung, der Bürgerkrieg galt vielen im Norden als Kampf gegen die Mächte des Bösen, die Union dagegen als Vertreterin der Sache Gottes. John Brown war ein bibelfester Puritaner, der den bewaffneten Kampf predigte und mit aller Härte führte. Sein Versuch, durch die Erstürmung des Armeearsenals von Harper’s Ferry 1859 einen allgemeinen Sklavenaufstand auszulösen, scheiterte. Sein Tod am Galgen aber adelte in den Augen vieler seine Ziele. Als er hingerichtet wurde, läuteten im Norden die Kirchenglocken. Der Song mit dem Refrain »John Brown’s body lays a-mouldring in the grave, but his soul goes marching on« avancierte zum beliebtesten Marschlied der »blauen« Soldaten, ja geradezu zur Hymne der Union.
Marx und Engels haben sich intensiv mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg beschäftigt. Marx trat in Großbritannien vor Antikriegsversammlungen mit Tausenden von Teilnehmern auf, die gegen die Unterstützung der Sklavenhalter durch das Empire protestierten. Zwar ist den vielen Zeitungsartikeln und Briefen, die die beiden über Amerika verfassten, kein Werk wie »Der Bürgerkrieg in Frankreich« gefolgt, in dem Marx die Epoche von der Revolution von 1848 bis zum deutsch-französischen Krieg und der Pariser Commune 1871 analysierte. Dennoch sind Marx’ und Engels’ Schriften zum Amerikanischen Bürgerkrieg aufschlussreich, weil sie zeigen, was Marx meinte, als er im »Kapital« betonte, er wolle das Kapital darin im idealen Durchschnitt darstellen, während der real existierende Kapitalismus in einzelnen Ländern anhand konkreter Gegebenheiten und empirischer Studien zu analysieren sei.
Marx und Engels befassen sich in ihren Schriften zum Bürgerkrieg mit den Ursachen des Konflikts, dem Kriegsverlauf, den Auseinandersetzungen zwischen den politischen Parteien sowie den Klassen der amerikanischen Gesellschaft. Engels als Militärexperte konzentrierte sich auf die Schlachten und Feldzüge. Der »General«, so sein Spitzname, erkannte das Neuartige dieses Kriegs und skizzierte bereits 1862 jene Strategie, die die Kommandeure Ulysses S. Grant und William T. Sherman zwei Jahre später tatsächlich verfolgen sollten, indem die Unionsarmee mit Georgia das geographische Zentrum der Konföderation besetzte, an die Küste von Carolina marschierte und das Gebiet der Konföderation so ein weiteres Mal spaltete.
Bis dahin trieben schwere Niederlagen der Union und die Unfähigkeit vieler ihrer Generäle Engels zur Verzweiflung. »Wir sind im Arsch«, schreibt er im Sommer 1862 an Marx und bekräftigt so seine Solidarität mit der Union. Marx ist vom Sieg der guten Sache, der Befreiung der Sklaven, überzeugt, die für ihn revolu­tionären Charakter hat; irgendwann müsse sich das Übergewicht an Menschen und Ressourcen des Nordens schließlich auswirken. Entscheidend war jedoch für Marx und Engels, ähnlich wie für die radikalen Führer der Schwarzen wie Frederick Douglass, dass die Lincoln-Regierung ihr Zögern aufgab, die Sklavenbefreiung offensiv als Ziel proklamierte und die Schwarzen bewaffnete.

Die Ineffizienz der Sklaverei
Marx hat sich schon früh mit den USA beschäftigt, las das berühmte Buch von Alexis de Toqueville (1835) über die Demokratie in Amerika und erwog 1843 sogar, nach Texas auszuwandern. In der frühen Schrift »Die deutsche Ideologie« (1846) charakterisieren Marx und Engels die Vereinigten Staaten als vollendetes Beispiel eines modernen Staats, der nur um des Privat­eigentums willen existiere. Der religiöse Pluralismus in Amerika diente Marx als Vorbild für die Trennung von Staat und Kirche, für ein Land, in dem Konfession und Religion Privatsache sind. 1849 lobte Marx in der Neuen Rheinischen Zeitung die demokratischen Traditionen und Institutionen in den USA, die dem bürokratisch-autoritären Preußen vorzuziehen seien. Im Londoner Exil schrieb er ab 1852 als Korrespondent für die New York Tribune über den Krimkrieg und die italienische Einigung, die Weltwirtschaftskrise von 1857, die britische Innen- und Weltpolitik, die Opiumkriege in China und den Aufstand indischer Sepoy-Soldaten gegen die Kolonialherrschaft.
Insgesamt schrieb Marx rund 350 und Engels etwa 125 Beiträge für das Blatt, das als Organ des liberalen Bürgertums galt und im ganzen Land gelesen wurde. Der Chefredakteur, Charles Dana, hatte Marx 1848 in Köln besucht und zur Mitarbeit aufgefordert, im Bürgerkrieg arbeitete Dana dann als Staatssekretär im Kriegsministerium. Der Herausgeber des Blattes, Horace Greely, war ein linksliberaler Reformer und Abolitionist und mit Lincoln befreundet. Selbstverständlich berichtete die Tribune umfassend über den Bürgerkrieg, braucht dafür aber keinen ausländischen Korrespondenten. Im März 1862 verlor Marx den Job, immerhin über Jahre hinweg eine seiner Haupteinnahmequellen, auch wenn er oft klagte, dass Honorare nicht einträfen oder seine Beiträge verstümmelt worden seien.
Für die Wiener Zeitung Die Presse schrieb Marx seit 1861 mehr als 50 Artikel, in etlichen Beiträgen versuchte er, den europäischen Lesern die Ereignisse jenseits des Atlantik zu erklären. Dieses Engagement endete ebenfalls 1862, weil seine Ansichten der Redaktion zu radikal erschienen. Zu berücksichtigen ist bei den Schriften über den Bürgerkrieg, dass Marx selbst nie in den USA war, Engels reiste erst im Sommer 1888 nach Nordamerika. Beide waren für ihre Studien auf Zeitungen und Briefe von Freunden angewiesen. Viele ihrer alten Kampfgenossen aus der Revolution von 1848 waren in die USA emigriert und kämpften dort in den Reihen der Republikaner und der Unionsarmee gegen die Sklaverei, darunter Joseph Weydemeyer. Marx besuchte, um sich zu informieren, in London ein amerikanisches Kaffeehaus, in dem Zeitungen aus dem Norden und Süden auslagen, Engels wartete in Manchester auf Schiffe, die Depeschen mit den neuesten Nachrichten aus Amerika brachten. Erst 1866 konnte beim zweiten Versuch das erste Seekabel verlegt werden, das eine einigermaßen sichere Telegrafenverbindung zwischen Amerika und Europa herstellte.
Trotz dieser schwierigen Arbeitsbedingungen beschreibt Marx präzise die Ursachen und Auslöser des Kriegs. Für ihn steht fest, dass sich die Sklaverei ausbreiten müsse, um profitabel zu sein und zu überleben. Dabei argumentiert er ökonomisch und politisch. Die Sklaverei brauche fruchtbaren Boden, der nur einfache Tätigkeiten nötig mache. Intensive Landwirtschaft widerspreche dem System, denn der Sklave sei kaum motiviert, qualifizierte Arbeit sorgfältig zu leisten. Die extensive Wirtschaft aber lauge den Boden aus, so dass ständig neues Land gewonnen werden müsse. Das Argument ist ein wenig schwach, weil die amerikanischen Pflanzer Dünger hätten einsetzen können wie auf Kuba. Stichhaltiger und offensichtlich war jedoch, dass die Sklavenhalter den Staatsapparat nur dominieren konnten, wenn neue Bundesstaaten, in denen Sklaverei herrschte, in die Union aufgenommen würden. Für die Verteilung der Sitze im Repräsentantenhaus waren und sind die Bevölkerungszahlen ausschlaggebend. Dort gewannen die Abgeordneten aus freien Staaten eine immer größere Mehrheit, weil der damalige Nordwesten, der heutige mittlere Westen, immer dichter besiedelt wurde. Die Bevölkerung des Nordwestens sei 1860 alleine schon so stark wie die des Südens, bemerkt Marx. Der gesamte Norden hatte mehr als 20 Millionen Einwohner, der Süden rund zwölf Millionen, von denen ein Drittel Sklaven waren. Nach dem Kompromiss der Gründerväter wurde jeder Sklave bei der Zuteilung von Sitzen im Repräsentantenhaus nur mit drei Fünfteln gewichtet, was den Anteil der Sklavenhalter weiter schmälerte. Nur im Senat, wo ­jeder Staat unabhängig von seiner Größe und Bevölkerungszahl zwei Sitze innehatte, konnte der Süden eine Vetomacht behalten, vorausgesetzt, dass nicht nur freie, sondern auch neue Sklavenstaaten in die Union aufgenommen werden.
Die These von Marx lautete, dass die Sklavenfrage zentral sei, »nicht in dem Sinne, ob die Sklaven innerhalb der bestehenden Sklavenstaaten direkt emanzipiert werden sollten oder nicht, sondern ob die 20 Millionen Freien des Nordens sich länger einer Oligarchie von 300 000 Sklavenhaltern unterordnen sollten«. Darum, so Marx, wollten die Sklavenhalter nicht bloß ihre bisherigen Staaten vereinen, sondern ihre Macht auf das ganze Territorium der USA ausdehnen. Sie führten einen »Eroberungskrieg zur Ausbreitung und Verewigung der Sklaverei«.

Der »Racencharakter« und das Kapital
Bereits 1619 war das erste Schiff mit Afrikanern in der Kolonie Virginia eingetroffen. Im 18.Jahrhundert schufteten schwarze Sklaven und weiße Zwangsarbeiter in den englischen Kolonien in Nordamerika. Manchmal flüchteten oder rebellierten sie gemeinsam, manchmal kämpften sie zusammen mit Indianern gegen ihre Herren. Eine solche Kooperation suchten Kolonialmacht und Plantagenbesitzer zu verhindern. Den weißen Zwangsarbeitern, deren Dienst ohnehin zeitlich begrenzt war, wurden als Freie gewisse Rechte gewährt, etwa das Recht, Waffen zu tragen. Gleichzeitig wurden von Massachusetts im Norden bis South Carolina im Süden Ehen zwischen Weißen und Schwarzen verboten. So entstand jene color line, wie der sozialistische Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois es nannte, Rassismus als Herrschaftsinstrument einer weißen herrschenden Klasse, den die armen Weißen als Einstellung ebenfalls verinnerlichten. Immerhin genossen diese im Unterschied zu den Schwarzen Grund- und Bürgerrechte, wenngleich manche Südstaaten sie etwa durch ein Zensuswahlrecht beschränkten.
Die Sklaven mussten in Virginia, North Carolina und Kentucky Tabak, in South Carolina Reis und später im tiefen Süden Baumwolle anbauen. Viel Geld ließ sich dadurch aber erst seit der Industrialisierung verdienen. Die Erfindung der Baumwollentkörnungsmaschine (1794) steigerte die Produktivität enorm, für einen weiteren Schub sorgte deren Antrieb durch Dampfmaschinen. Die entsprechende Nachfrage enstand dank der englischen Textilfabrikanten. »King Cotton« regierte bald den Süden. Die Sklaverei verschwand keineswegs, wie manche Gründerväter gemeint hatten. Im Gegenteil, die Zahl der Sklaven verzehnfachte sich zwischen 1790 und 1860 auf vier Millionen. Und die Sklavenhalter diktierten die Außenpolitik der jungen Republik. Thomas Jefferson hatte die schönen Worte von Leben, Freiheit und Streben nach Glück in der Unabhängigkeitserklärung formuliert. Im Laufe seines langen Lebens besaß Jefferson als Plantagenbesitzer auch Hunderte von Menschen. Er ließ sie auspeitschen und verkaufte einige in den Süden, um die anderen einzuschüchtern. Als Präsident signalisierte Jefferson Kaiser Napoleon, dass er eine Invasion Haitis durch die frühere französische Kolonialmacht billigen werde. Die Schwarzen auf der Insel hatten mit ihrer erfolgreichen Revolte, bei der sie französische und spanische Truppen besiegten, den Sklavenhaltern in den USA einen Schrecken eingejagt. Die US-Pflanzer fürchteten, das Beispiel könnte Schule machen. Nur der zweite Präsident der Vereinigten Staaten, John Adams, aus Massachusetts stammend und nur vier Jahre im Amt, unterstützte die junge Republik Haiti.
Auch in den sogenannten Seminolen-Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts ging es um die Sklaverei. Die Seminolen waren eine Gruppe von Indianern, entflohenen Schwarzen und unzufriedenen Weißen. Aus der Perspektive der Sklavenhalter ging es dabei darum, einen gefähr­lichen Widerstandsherd zu zerschlagen, der durch Rassismus erzeugte Spaltungen überwunden hatte. Der Krieg gegen Mexiko 1846/47 sowie die Annexionen von Texas und dem Südwesten, die Engels seinerzeit als historischen Fortschritt gerechtfertigt hatte, weil er die Mexikaner für unfähig hielt, die kapitalis­tische Entwicklung zu befördern, dienten in Wahrheit der Ausbreitung der Sklaverei. Mexiko hatte sie nach der Unabhängigkeit von Spanien offiziell verboten. Die Invasionen amerikanischer Abenteurer in Kuba und Zentralamerika in den Jahren vor dem Bürgerkrieg wurden von den Südstaaten und ihrem poli­tischen Personal in Washington unterstützt, um die Sklaverei auszudehnen.
Der Protest gegen diese Expansionspolitik, dem sich etwa Lincoln als junger Abgeordneter 1848 anschloss, war zwar durch die Ablehnung der Sklaverei motiviert. Diese Haltung war aber nur bei wenigen Ausdruck einer prinzipiellen Gegnerschaft, noch seltener einer Sympathie für die Schwarzen oder gar einer antirassistischen Haltung. Die meisten Arbeiter, Bauern und Handwerker im Norden vertraten lediglich ihre materiellen Interessen. Sie fürchteten um den Wert ihrer selbständigen oder lohnabhängigen »freien« Arbeit in der Konkurrenz mit der Sklaverei, aber auch mit freien Schwarzen. Marx machte sich darüber keine Illusionen. Die Wahlsiege der Demokratischen Partei 1862 im Norden erklärte er mit einer Propaganda, die Vorurteile schürte: Die Iren sähen die Schwarzen als Konkurrenz an und die Bauern im Nordwesten hassten sie »in zweiter Linie nach dem Sklavenhalter«. Die demokratische Presse verbreite täglich Schreckensmeldungen, denen zufolge nach einem Sieg der Republikaner die »Nigger« ihre Territorien überschwemmen würden. Das rassistische Schimpfwort setzte Marx in Anführungszeichen. Die Demokratische Partei der USA, die heute mit Barack Obama den ersten schwarzen Präsidenten stellt, war damals in ihrer Mehrheit für die Sklaverei und blieb rassistisch bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts.
Zur Zeit des Bürgerkriegs war der Rassismus als Ideologie in Europa und Nordamerika enorm verbreitet. Auch wenn sich Wissenschaftler und Schriftsteller nicht einig waren, welche und wie viele Rassen es gebe, wie man sie vonein­ander abgrenzen könne, ob Rassen durch Blut, Boden oder »geistig« bestimmt seien, stimmten sie darin überein, dass sich alle Menschen auf diese Weise klassifizieren ließen. Eigenschaften und Fähigkeiten von Menschen galten als angeboren und durch die jeweilige Rasse determiniert, es gebe Herren- und Sklavenrassen. Marx übernimmt die rassistische Kategorie der Rasse, etwa wenn er im dritten Band des »Kapital« einen »angebornen Racencharakter« unterstellt und behauptet, dieselbe ökonomische Basis von Gesellschaften bringe »unend­liche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung« hervor, die »zahllos verschiedene empirische Umstände, Naturbedingungen, Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche Einflüsse« verursachen. Berüchtigt sind seine Schimpftiraden, etwa die Beleidigung Ferdinand Lassalles als »jüdischen Nigger«, in der antisemitisches und rassistisches Vorurteil zusammenkommen.

Die Ursachen des Bürgerkriegs
Gleichwohl ist die Marxsche Theorie frei von jedem systematischen Bezug auf irgendwelche Rassenlehren. In seinen Schriften zum US-Bürgerkrieg distanziert sich Marx von der rassistischen Doktrin, wonach nur bestimmte Rassen der Freiheit fähig, die anderen aber zum Arbeiten geboren seien, darunter »die Neger im Süden und die Deutschen und Iren im Norden«. Das lehnt Marx ab. Er warnt, dass, gestützt auf diese Lehre, im Falle eines Sieges der Sklavenhalter auch die weißen Arbeiter im Norden auf das »Niveau des Helotentums« gedrückt würden. Dass Marx die Kategorie der Rasse übernimmt und Rassismus als wirkmächtigen Faktor gesellschaftlicher Entwicklungen ausblendet, hat jedoch Folgen für seine Analyse. Das Handeln sowohl der armen Weißen des Südens als auch der Mittelschicht und der Arbeiter des Nordens ließ sich nämlich aus ökonomischen und sozialen Faktoren nicht vollständig ableiten.
Erklärbar war, dass ein Teil der freien Bauern, Handwerker und Arbeiter der Südstaaten zur Union hielt, was sich am Widerstand gegen die Sezession in Teilen von Tennessee und vor allem Virginia zeigte, wo es zur Abspaltung von West Virginia kam. Schwieriger wurde es mit der Masse der armen Weißen im Süden, die von den Sklavenhaltern als white trash, als weißer Müll, diffamiert wurden. Marx vergleicht sie mit den Plebejern im alten Rom. Sie würden mit der Aussicht, selbst einmal zu Sklavenhaltern aufzusteigen, »gekirrt«, was ein weiteres Motiv für die Expansionspolitik darstelle. In einem anderen Text nennt Marx sie »geborene Filibuster«, also Freibeuter, wie sie Mitte des 19.Jahrhunderts auf Kuba und in Nicaragua einfielen, die einen Bandenkrieg im Süden führen könnten. Im Mai 1862 postulieren Marx und Engels in einem gemeinsam verfassten Artikel einen Gegensatz zwischen der Masse der Weißen im Süden und der Sklavenhalteroligarchie. Sie behaupten, die Bevölkerung würde sich am Krieg kaum beteiligen. Tatsächlich kämpften und starben Zehntausende von weißen Südstaatlern, die keine Sklaven hatten, in den Reihen der Konföderation, weil sie wie ihre Herren davon überzeugt waren, dass die Sklaverei rassisch gerechtfertigt sei, aber auch für die Idee einer ländlich geprägten Gesellschaft, mit wenig Staat und niedrigen Steuern, in der man auf riesigen unbebauten Ländereien jagen und sein Vieh weiden konnte.
Viele Bauern besaßen damals nur ein paar Sklaven oder Familien einige Hausdiener. Um 1850 lebte die Hälfte der Sklaven auf Farmen mit weniger als 20 Sklaven, insgesamt gab es etwa knapp 400 000 Sklavenhalter. Ein prominentes Beispiel für die Ambivalenz kleiner Leute aus dem Norden in Hinblick auf die Sklaverei ist Ulysses S. Grant, der als Oberkommandeur die Union zum Sieg führen und als Präsident später entschieden gegen den Ku-Klux-Klan vorgehen sollte. Grant war zwar kein Abolitionist, stammte aber aus Ohio, wo eigene, harte Arbeit als Tugend und die Sklaverei als ihr Gegensatz und somit als unvereinbar mit republikanischen Prinzipien galt, weshalb Grant diese Institution eigentlich ablehnte. Seine Frau stammte aus Missouri, einem Sklavenstaat, ihr Vater besaß Feldsklaven, sie selbst brachte Haussklaven in die Ehe mit. 1854 brach Grant seine militärische Karriere ab und bewirtschaftete eine Farm in Missouri. In Sklavenstaaten war jedoch harte Arbeit auf dem Feld ein Makel, dazu waren allein Schwarze und white trash verdammt. Grants Ansehen bei den Nachbarn sank, weil er selbst auf seinem Land ackerte, einen Lohnarbeiter konnte er nicht anheuern und kaufte schließlich selbst einen Feldsklaven. Die Farm blieb unrentabel, die Wirtschaftskrise 1857 sorgte für einen Preisverfall, schließlich erkrankte Grant an Malaria und gab die Landwirtschaft auf.
Treffender als die Überlegungen zu den armen Weißen des Südens war Marx’ Urteil über die Ursachen des Bürgerkriegs, die er allein in der Sklaverei ausmachte, ähnlich den meisten Zeitgenossen in den USA. In England taten jedoch die Freunde der Konföderation, als ginge es um Zölle und die Rechte der Einzelstaaten. Manche Liberale sprachen gar vom Recht auf Selbstbestimmung, zumal die Sezession ja von den Parlamenten der Südstaaten beschlossen worden war. Marx zerpflückte die Rechtfertigungen britischer Kriegstreiber: Der Süden habe keine Skrupel gehabt, in die Rechte der Einzelstaaten einzugreifen, als es darum ging, entflohene Sklaven im Norden gefangenzunehmen, und der Zuckerrohranbau in Louisiana werde auch durch Zölle geschützt.
Später, nach dem Ende der reconstruction, übernahmen in den USA ehemalige Konföderierte und ihre Unterstützer im Norden die Deutungshoheit. Sie verbreiteten die Legende vom Kampf des Südens um seinen Lebensstil und um die Selbstbestimmung der Einzelstaaten, die erst im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung wieder in Frage gestellt wurde. Allerdings suggeriert selbst Howard Zinn in seinem linken Standardwerk »People’s History of the United States« (1995), die Elite der Nordstaaten habe lediglich Schutzzölle für ihre Industrieprodukte, einen freien Markt, eine staatliche Zentralbank, freies Land und freie Arbeitskräfte angestrebt. Das ist nicht falsch, spielt aber die Bedeutung der Sklavenfrage herunter. Klassenübergreifend wurde im Norden die Sklaverei als Hindernis für die weitere Entwicklung angesehen. Tatsächlich scheiterte Mitte des 19. Jahrhunderts der Versuch, den Süden zu industrialisieren, an den Plantagenbesitzern, die ihr Kapital lieber in Land und Sklaven investierten. So blieb der Süden eine unterentwickelte Exportökonomie, mit geringer Infrastruktur und hohem Analphabetismus auch unter den Weißen.
Noch heute wird der Bürgerkrieg in der Reenactment-Szene und in einigen populären Büchern und Filmen glorifiziert und enthis­torisiert. Südstaaten-Generäle, allen voran Lee, dazu »Stonewall« Jackson, ein fundamentalistischer Christ, und der Kavallerieoffizier Jeb Stuart erscheinen als ritterliche Gentlemen und geniale Feldherren. Nach bürgerlichen Maßstäben waren sie Landes- und Hochverräter, die gegen ihren Eid als Offiziere der Union verstießen. Konföderierte Soldaten folterten und ermordeten gefangene schwarze Unionssoldaten und deren weiße Offiziere gnadenlos. Berüchtigt sind Massaker wie jenes von Fort Pillow, als Südstaatler ihre besiegten schwarzen Gegner an Zeltrahmen kreuzigten und verbrannten. Marx und Engels erkannten zwar die militärischen Fähigkeiten der Südstaaten-Generäle an, aber sie vergaßen nie, wozu diese dienten.
Kenntnisreich analysierte Marx die politische Entwicklung hin zum Bürgerkrieg. Infolge der Westexpansion musste bei jedem neuen Bundesstaat (aber auch schon beim Territorialstatus) entschieden werden, ob es ein Sklaven- oder freier Staat werden sollte. 1820 fand der Kongress einen Kompromiss: Missouri wurde Sklavenstaat, aber alle Gebiete westlich und nördlich sollten frei bleiben. Die Vereinbarung hatte bis zu den Annexionen nach dem Mexiko-Krieg Bestand, als der Konflikt offen ausbrach. Im Streit um die Zukunft Kaliforniens und New Mexicos drohten Südstaatler erstmals mit der Sezession. 1850 sorgte das sogenannte Sklavenfluchtgesetz, das die Behörden im Norden verpflichtete, geflohene Sklaven an ihre Eigentümer auszuliefern, für starke Proteste im Norden. Freie Schwarze, Abolitionisten und ganze Kirchengemeinden leisteten Widerstand gegen die Häscher, sogar gegen Polizei und Militär. Frederick Douglass plädierte für den bewaffneten Kampf. Allerdings war der Rassismus im Norden ebenfalls virulent: Die »freien« Staaten Illinois, Indiana und Iowa verboten den Zuzug von Schwarzen.
Der Nebraska-Kansas-Act teilte 1854 ein riesiges Gebiet im Westen in einen freien und ­einen Sklavenstaat, kündigte im Interesse der Sklavenhalter frühere Kompromisse auf, spal­tete das Land und führte zu einem blutigen Bürgerkrieg zwischen »Freiländern« und dem Mob der Sklavenhalter in Kansas. Aus dem Konflikt entstand die Republikanische Partei, deren Ziel es zwar nicht war, die Sklaverei abzuschaffen, die jedoch deren weitere Ausbreitung verhindern sollte. Schon diese Position genügte jedoch, wie Marx erkannt hat, um einen Bürgerkrieg auszulösen, sobald die Partei die Macht in Washington übernehmen würde, was mit der Wahl Lincolns zum Präsidenten im November 1860 dann auch geschah.

Fortschrittliche Republikaner
Die Republikanische Partei repräsentierte ein breites Bündnis aus Mittelschicht und herrschender Klasse, das die Sklaverei als Hemmschuh, aber auch als moralisches Übel ansah. Zu ihrer Attraktivität bei Habenichtsen trug bei, dass sie eine Landverteilung versprach. 1863 verabschiedete die republikanische Mehrheit im Kongress den Homestead Act: Jeder durfte sich fortan auf unbesiedeltem Land niederlassen, 64 Hektar bewirtschaften und nach fünf Jahren rechtmäßiger Eigentümer werden. Die Abolitionisten stellten die Minderheit in der Partei, selbst unter den Gegnern der Sklaverei gab es etliche Rassisten. Lincoln ist durchaus typisch für die Mehrheit der Partei. Als Bauernsohn durch harte Arbeit aufgestiegen, vertrat er als Anwalt große Eisenbahngesellschaften, als Politiker das Big Business und plädierte für die Einrichtung einer Zentralbank. Die Gleichstellung von Weißen und Schwarzen hielt er für nicht praktikabel, weil er von der Existenz unterschiedlicher Rassen ausging. Noch 1862 wollte er ehemalige Sklaven in Afrika oder Lateinamerika ansiedeln und wehrte sich dagegen, Schwarze in die Armee einzuberufen. Die Sklaverei lehnte er zwar ab, betonte aber als Präsident am Anfang des Bürgerkriegs, könnte er die Union retten, ohne die Sklaven zu befreien, würde er dies tun.
»Old Abe« wage sich nur vorwärts, wenn die Umstände und die öffentliche Meinung ein Zögern verbieten, notierte Marx im Februar 1862. Im Sommer desselben Jahres glaubte Marx, der Übergang zur revolutionären Kriegsführung sei eingetreten: Die Regierung schaffte die Sklaverei in der Hauptstadt und den Territorien ab, in West Virginia stufenweise. Sklaven wurden frei, sobald sie die Linien der Union erreichten, und wurden überdies militärisch organisiert. Engels polemisierte indessen gegen die »Feigheit in Regierung und Kongress«, Lincoln verklausuliere jede »Scheinmaßregel«, und ein General agiere dümmer als der andere. Der Norden werde am Ende siegen, auch wenn der Kampf sich in die Länge ziehe, war die felsenfeste Überzeugung von Marx: »Es scheint mir, dass Du dich a little too much durch den militärischen aspect der Dinge bestimmen lässt«, antwortet er dem Freund.
»Die Vernunft siegt doch in der Weltgeschichte«, schrieb Marx, als im Herbst 1862 der Vorstoß Lees nach Maryland zurückgeschlagen wurde und Lincoln die Sklavenbefreiung ankündigte. »Er tut das Bedeutendste immer in der möglichst unbedeutendsten Form. (…) Zögernd, widerstrebend, unwillig singt er die Bravour-Arie seiner Rolle, als ob er um Verzeihung bäte, dass die Umstände ihn nötigen, Löwe zu sein«, urteilte er über den Präsidenten. Erst aufgrund der hohen Kriegsverluste akzeptierten Politiker und Wähler im Norden die Argumente von Abolitionisten und Radikalen wie Marx: Die Befreiung der Sklaven werde den Norden stärken, den Süden schwächen und die Unterstützung der Konföderation durch Frankreich und England verhindern. Insgesamt flüchteten während des Kriegs etwa eine halbe Million Schwarze von den Plantagen, rund 200 000 Schwarze kämpften schließlich in der Unionsarmee. Vermutlich hatte Lincoln ein Gespür für den richtigen Moment, weil seine Haltung gegenüber der Sklavenfrage die ambivalente Meinung der Bevölkerung widerspiegelte. So bezog sich seine Proklamation der Sklavenbefreiung, die 1863 in Kraft trat, nur auf die Menschen in den feindlichen Territorien der Konföderation, schloss also jene aus, die in den vier Grenzstaaten lebten, die sich nicht der Konföderation angeschlossen hatten. Als Schwarze in die Armee aufgenommen wurden, konnten sie nicht zu Offizieren aufsteigen und bekamen einen geringeren Sold als die weißen Soldaten, die ihnen vielfach mit offenem Rassismus begegneten.
Nach der Ermordung Lincolns am 14. April 1865 kondolierte Marx im Namen der Internationale: »Er war einer der seltenen Männer, denen es gelingt, groß zu werden, ohne dass sie aufhören, gut zu sein.« Nach der Schlacht von Gettysburg wäre der Präsident dagegen fast ausgerastet: Wieder einmal hatte ein Feldherr der Union eine Chance nicht genutzt. Die geschlagenen Konföderierten konnten ungehindert abziehen. Der Krieg zog sich noch fast zwei Jahre hin. Den Kampf für die bürgerliche Gleichstellung mussten die Afroamerikaner noch 100 Jahre länger führen.