Internationale Kritik an Ruandas Präsident Paul Kagame

Kein Held mehr

Die USA und andere westliche Staaten begrüßten die Machtübernahme Paul Kagame nach dem Genozid in Ruanda. Lange Zeit haben sie ihn unterstützt. Doch inzwischen wird Kritik an seinem Regime laut.
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Als »digitaler Präsident« lässt sich Paul Kagame gerne bezeichnen. Der ruandische Staatschef hat den Ausbau des Internet in dem kleinen zentralafrikanischen Land zum Kern seiner Entwicklungsstrategie erklärt. Ein internationales Dienstleistungszentrum, eine »Wissensökonomie«, soll der bislang von kleinteiliger Landwirtschaft geprägte Staat werden. Auf Websites und in sozialen Netzwerken propagiert seine Regierung diese Ideen unermüdlich. »Alles das, was das Land geworden ist, ist seinem aktiven Streben nach wirtschaftlichem Erfolg und seiner Zurückweisung des Divisionismus zu verdanken«, kommentiert begeistert das Technologiemagazin Wired. Als »Divisionismus« gilt der ruandischen Führung die Vorstellung, es gebe verfeindete Ethnien im Land. Dies sei eine Ideologie, mit der 1994 der Genozid legitimiert worden sei. Um dieses ideologische Erbe zu überwinden, wird sogar die bloße Erwähnung ethnischer Gruppen im Land bestraft.
Zuletzt erlitt die Online-Reputation von Präsident Kagame allerdings einen schweren Schaden. Diese Episode begann wie ein gewöhnlicher Streit auf Twitter. Zunächst geriet ein ausländischer Journalist mit einem User mit dem Pseudonym »Richard Goldston« in Streit über frauenfeindliche Kommentare gegenüber einer Kollegin von Radio France International, die kritisch über die ruandische Regierung berichtet hatte. Der Journalist bot »Richard Goldston« ein Telefonat oder einem E-Mail-Austausch an, um die Sache zu klären. »Los geht’s, du Held«, twitterte es zurück, nun allerdings vom offiziellen Account des Präsidenten selbst. »Ich habe noch keine E-Mail gesehen oder mein Telefon läuten hören.« Bald hieß es von Kagames Sprechern, eine Nachwuchskraft im Büro des Präsidenten sei für die unautorisierten Tweets verantwortlich und nun gemaßregelt worden.
Das peinliche Ereignis wirft ein Licht auf die aggressive Stimmung, die offenbar in der Umgebung des Präsidenten herrscht. In der Kommunikation mit internationalen Beobachtern und anderen Staaten sieht sich das Regime immer stärker isoliert.

Dabei waren die Ausgangsbedingungen für das Regime sehr gut. Insbesondere die USA begrüßten die Machtübernahme der Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RFP) unter Paul Kagame, die 1994 den Genozid militärisch beendeten und die génocidaires vertrieben. Der damalige US-Präsident Bill Clinton entschuldigte sich bei Kagame für die Tatenlosigkeit seiner Regierung angesichts der Massenmorde. Auch der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, bedauerte das passive Verhalten seiner Organisation öffentlich, das den génocidaires in die Hände gespielt hatte.
In der Folge flossen aus westlichen Ländern hohe Geldbeträge in die Entwicklungs- und Militärkooperation mit Ruanda. Der wiederholte Einmarsch ruandischer Truppen in die benachbarte Demokratische Republik Kongo, wo einige génocidaires sich verschanzt hatten und wo sie sich nach wie vor aufhalten, die Unterstützung kongolesischer Rebellengruppen und der illegale Raubhandel mit kongolesischen Bodenschätzen wurden zwar kritisiert. Doch bei Abstimmungen im Sicherheitsrat blockierten die Veto-Mächte USA und Großbritannien stets die Verurteilung ihres Verbündeten. Da die internationale Gemeinschaft den Genozid 1994 nicht verhindert hat, so das hinter vorgehaltener Hand geäußerte Argument, habe Kagames Regime nun das Recht, die eigenen Interessen mit allen Mitteln zu verteidigen. Gerade aufgrund des Genozids wurde dem strategisch und ökonomisch unbedeutenden Land mit nur zwölf Millionen Einwohnern weitgehend wohlwollend begegnet.
Die Berichterstattung von Wired und ein ähnlich euphorischer Artikel in der New York Times von Ende März über die wirtschaftlichen Pläne des Regimes spiegeln diese Sichtweise wider. Ähnlich sympathisierend fiel die englischsprachige akademische Debatte etwa über die juristische Aufarbeitung des Genozids durch modernisierte traditionelle Streitschlichtungsverfahren, die sogenannten Gacaca-Prozesse, aus. Der Tenor war, dass eine solche »Justiz ohne Anwälte« zwar rechtsstaatliche Mängel aufweise, aber zur Versöhnung viel mehr beigetragen habe als die schleppenden Verfahren am international organisierten Gerichtshof für Ruanda im tansanischen Arusha.

Die radikalen, lautstarken ausländischen Kritiker des Regimes, insbesondere Politiker und Wissenschaftler aus Frankreich und Belgien, konnten lange wenig ausrichten. Teilweise in persön­liche und politische Beziehungen mit den génocidaires von 1994 verstrickt, schien ihre Kritik am Regime Kagames vor allem von frankophonem Revisionismus geprägt. Ihr Hauptproblem seit Kagames Machtübernahme scheint die Abwendung des Landes von der vorherigen belgisch-französischen Einflussspäre zu sein. Möglicherweise war es die teils heftige Auseinandersetzung mit diesen Kritikern – von 2006 bis 2009 wurden sogar die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich abgebrochen –, die dazu beigetragen hat, dass die REgierung Kagames gemäß ­einem starren Freund-Feind-Schema wahrgenommen wird.
Doch seit einiger Zeit wendet sich die Stimmung immer mehr gegen das Regime. Vergangenes Jahr veröffentlichten die Vereinten Nationen einen Bericht, in dem Ruanda die Unterstützung der Rebellengruppe M23 im benachbarten Kongo vorgeworfen wird. Die meisten westlichen Staaten, unter anderem die USA, froren daraufhin ihre Finanzhilfen ein. Nachdem die Rebellen von M23 weite Teile des ruandisch-kongolesischen Grenzgebiets unter Kontrolle gebracht hatten, votierten auch die USA und Großbritannien für die Entsendung einer offensiven UN-Brigade, die die Aufständischen mit schweren Waffen zur Kapitulation zwang. Seitdem steht Ruanda – zum ersten Mal seit 1996 – ohne militärische Verbündete im strategisch und ökonomisch wichtigen kongolesisch-ruandischen Grenzgebiet da. Stattdessen patrouillieren dort nun Blauhelmsoldaten aus Tansania und Südafrika. Diese beiden Länder kritisieren Kagame seit längerem und gewähren ruandischen Dissidenten Exil, die oftmals aus dem engsten Führungskreis um Kagame stammen und sich mit ihm zerstritten haben.

Seit Ende 2013 der in Südafrika im Exil lebende ehemalige ruandische Geheimdienstchef unter ungeklärten Umständen ermordet wurde und wenig später ein Anschlag auf den ebenfalls in Süd­afrika lebenden ehemaligen Armeechef misslang, sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern an einem Tiefpunkt angelangt. Ende Februar wies Südafrika drei ruandische Diplomaten aus, denen sie vorwarf, eine Todesschwadron zu organisieren. Ruanda reagierte mit der Ausweisung südafrikanischer Botschaftsangehöriger. »Flüchtige Ruander unternehmen zu Hause weiter terroristische Attacken«, begründete Ruandas Außenministerin Louise Mushikiwabo diesen Schritt. »Trotz wiederholter Versprechen aus Pretoria wurde dieses Problem nicht gelöst.«
Auch unter Akademikern ändert sich die Stimmung. Eine Konferenz der angesehenen School of Oriental and African Studies in London, die als eher aufgeschlossen gegenüber dem Regime gilt, kritisierte insbesondere den hohen RPF-Funktionär Tito Rutaremara, der auf Kritik aus dem Publikum mit persönlichen Angriffen auf die Sprecher antwortete. Die Regierung versuche, eine Teilung in »Gläubige und Ungläubige« zu erzwingen, hieß es von Teilnehmenden. Zwischentöne, die der komplexen Situation angemessen seien, würden als Propaganda denunziert. Offenbar nimmt die Zahl der Gläubigen gerade durch diese Strategie rapide ab.