Worauf es beim Voguing ankommt

Fake it!

Voguing entstand im Underground der New Yorker LGBT-Szene. Wie verändert sich die Performance von Geschlecht und Ethnizität im Kontext einer weißen, heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft?

Dem Anschein nach ist es ganz einfach: Man schreite auf einer gedachten Linie möglichst geradlinig durch den Raum und beginne dabei jeden Schritt auf dem Ballen des Fußes. Diese Art des Auftretens wird die Körperhaltung in einer Art und Weise beeinflussen, die in konventionellen Geschlechterordnungen als feminin gilt: Indem das Becken nach vorne und die Schultern zurückgekippt werden, verändert sich auch ein Hüftschwung, auf dessen Exaltiertheit es beim Voguing besonders ankommt. Viele Stars des Voguing wurden dennoch nicht als Frauen geboren. Bis in die kleinsten Bewegungen ihres Körpers hinein haben sie gelernt, sich wie die Supermodels der Modewelt zu bewegen. Die Credibility ihrer Arbeit stand mit jeder Ballroom-Performance erneut auf dem Prüfstand: Konnten sie glaubwürdig als Frauen durchgehen, wurden sie zu gefeierten Stars der Szene; mit der Aufforderung »Work it again!« mussten sie das Spiel von vorne beginnen.
Dass der von Homophobie, Transphobie, Sexismus und rassistischer Diskriminierung geprägte Alltag in den Ghettos von New York härter sein kann als jede Bühne, zeigte Jennie Livingston 1990 mit ihrem Dokumentarfilm »Paris Is Burning«. In ihrer soziologisch angelegten Milieustudie über die Ballroom-Szene entscheidet die Realness einer Performance nicht bloß über den Respekt aus den eigenen Reihen; das Passing, das »Durchgehen« als Angehöriger des Wunschgeschlechts, entscheidet im Alltag oft über Leben oder Tod. So wurde die junge Mann-zu-Frau-Transsexuelle Venus Xtravaganza gegen Ende der Dreharbeiten ermordet. Im Verlauf des Film spricht sie mehrmals davon, auch deshalb eine »richtige« Frau werden zu wollen, weil sie oft mit transphoben Übergriffen auf dem Straßenstrich konfrontiert sei. Der Ballroom-Szene wird Venus auch ohne geschlechtsangleichende Operation in Erinnerung bleiben: Eine Theatergruppe in New York hat ihr Leben für das Theaterstück »The Murder of Venus Xtravaganza 1988« dramatisiert.
Wo Livingstons im Zuge des einsetzenden Gender Trouble entstandene Doku endet, setzt Wolfgang Buschs Fernsehfilm »How Do I Look« von 2006 an. Zu Wort kommen darin fast ausschließlich die Stars einer Szene, die seit Mitte der neunziger Jahre vom Mainstream kooptiert wurden. Es scheint, als ob die Runaway-Kids der Post-Stonewall-Ära ihren Platz in der Gesellschaft längst gefunden hätten. Einige unter ihnen arbeiten sogar für die Kosmetikmarken, nach denen sie sich in ironischerweise benannt haben. Die, die nicht an den Folgen von Aids starben, sind heute erfolgreich als Designer, Make-up-Artists, Models und DJs in der Schönheits- und Kulturindustrie. Jose und Luis Xtravaganza, Mitglieder des 1982 gegründeten »House of Xtravaganza«, die im Musikvideo »Vogue« von 1990 zu sehen sind, berichten sogar davon, dass Madonna ihnen nach jedem Auftritt die Füße küsste.
Was im Schatten steht, sieht man nicht. Gleißend hell ist das Licht im Theater im »Aufbau-Haus«, wo am Freitag vergangener Woche das Abschluss-Event des dieses Jahr zum dritten Mal stattfindenden Berliner Voguing-Festivals über die Bühne ging. Am Vortag wurden zwischen den Wettbewerben zumeist die Kleidungsstücke von Jungdesignern präsentiert, Schuhe verlost und Sponsoren gedankt, darunter auch einem umsatzstarken russischen Wodkaproduzenten. Es waren zumeist weiße, heterosexuelle Frauen aus Westeuropa, die in den Kategorien »best dressed«, »sex siren«, »butchqueen up in pumps« und »pose you payette« gegeneinander antraten und bei ihren Drei-Minuten-Performances zu den House-Tracks von Vjuan Allure und Jan Kedves auf das Repertoire akrobatischer Tricks des New-Way-Voguing zurückgriffen. Im Gegensatz zum Old-Way-Style, bei dem Habitus und Auftreten von besonders wichtig waren, kommt es beim Voguing neueren Stils vor allem auf die Beweglichkeit der Körper an.
Auf dem langen Weg der Ballroom-Szene von der New Yorker Bronx nach Berlin-Kreuzberg ist die nicht selten mit Parodie und Überschreitung verbundene Inszenierung von Race, Class und Gender in den Hintergrund getreten. Stilelemente aus Jazzdance, Ballett, Breakdance und Rhythmischer Sportgymnastik bestimmen fortan eine Ausdrucksform, die unter der Parole »Fake it to make it« begann. Kategorien wie jene des »businessman«, des »lawyer« und der »opulent lady« wurden von den Voguern und Voguerinnen der ersten Stunde gerade deshalb für sich reklamiert, weil eine rassistische Gesellschaft es ihnen verweigerte, diese Rollen im Alltag zu verkörpern. Beim »Far East Ball« in Berlin wurden die Zumutungen einer gestörten Geschlechterordnung jedoch mehrheitlich naturalisiert; unter Afro-Perücken und Geisha-Kostümen wurde Konsumierbarkeit ethnischer Differenz gefeiert. Verzichteten die wenigen Transfrauen dennoch auf geschlechtliche Vereindeutigung, wurden sie von der afro-amerikanisch-schwul dominierten Jury reichlich mit Trophäen überhäuft: in der Kategorie »Vogue Fem« konnte sich eine schwarze Geisha durchsetzten, die als Frau mit Eiern alle weiteren Geschlechterzuordnungen in Frage stellte. Nach einer Frau, die sich auf High Heels wie ein Mann bewegt – nichts anderes sieht die Kategorie »butchqueen« für Männer vor –, hielt man im Verlauf des Abends jedoch vergeblich Ausschau.
Bell Hooks hat darauf hingewiesen, dass es weiße Masken sind, die sich eine schwarze Subkultur beim Voguing zu eigen macht, und Judith Butler hat in ihrer Auseinandersetzung mit »Paris Is Burning« betont, dass ein weißes Mädchen wie Jennie Livingston sich hinter der Kamera insgeheim zum Objekt des Begehrens schwarzer Transfrauen gemacht hat. Geleugnet werden kann es keineswegs, dass der forcierte Narzissmus beim Voguing auch eine Reaktion auf sozialen Ausschluss und rassistische Diskriminierung darstellt. Auch ohne die Warenfetische der Modeindustrie kann aus einem House of Shame dennoch ein House of Fame werden. Am ersten Abend des diesjährigen Voguing-out in Berlin hat die New Yorker Legende Archie Burnett unter Beweis gestellt, dass man als schwarzer, schwuler Mann in Low Fashion besonders glaubwürdig voguen kann. Allein durch die Art seines Auftretens hat er aus einer Jute-Tüte eine Handtasche gemacht, die auf den Laufstegen von Paris noch nie mit so viel Stolz präsentiert wurde.