Ruth Achlama im Gespräch über israelische Literatur in Deutschland

»Bücher bieten einen Einblick in die Seele des Landes«

Sie sorgt dafür, dass israelische Schriftsteller auf Deutsch gelesen werden können – ein Gespräch mit der in Israel lebenden Übersetzerin Ruth Achlama.

Sie wurden in Deutschland geboren, leben seit 40 Jahren in Israel und haben in den vergangenen 30 Jahren von Amos Oz über Abraham B. Jehoshua bis Meir Shalev viele bedeutende israelische Schriftsteller ins Deutsche übersetzt. Wie gehen Sie beim Übersetzen vor?
Ich warte nicht, bis mich die Muse küsst, sondern setze mich an den Computer und fange einfach an. Die erste Version kann man nicht lesen, die ist schrecklich. Danach geht es in die lange Phase der Überarbeitung mit oft ausführlichen Recherchen. Dank des Internets ist dieser Teil der Arbeit heute viel komfortabler als früher. Wenn mir trotzdem im Originaltext irgendetwas nicht klar wird, habe ich die Möglichkeit, bei den Autoren nachzufragen. Die meisten leben ja zum Glück noch.
Sie haben einen guten Draht zu den Autoren?
In Israel gibt es ein sehr gutes Verhältnis zwischen Schriftstellern und Übersetzern. Das liegt auch daran, dass die hebräische Sprache keine große Verbreitung hat. Ein Schriftsteller, der auf Hebräisch schreibt, braucht die Übersetzungen. Erstens finanziell und zweitens, um sich in der Welt beweisen zu können. Ich bemühe mich aber, sie nicht allzu oft mit meinen Anfragen zu behelligen. Das Buch sollte ja ohnehin für sich selber sprechen, und bei der Suche nach dem deutschen Wort können sie mir nicht helfen. Mein erster Ansprechpartner ist mein Mann Abraham, der sich für Literatur interessiert, Muttersprachler ist und auch Deutsch spricht.
Sie sind in Mannheim aufgewachsen. Wie kam es zu Ihrer besonderen Beziehung zu Israel?
Schon als Schülerin imponierte es mir, dass dort nach der Shoa etwas ganz Neues entstand. 1969 haben meine Eltern mir als Examensgeschenk den Flug nach Israel geschenkt. Fünf Wochen war ich in einem Kibbuz, zwei Wochen bin ich durchs Land gefahren. Damals habe ich erkannt, dass ich irgendwann konvertieren möchte, was ich später auch getan habe. Mit meinem israelischen Mann, den ich in Heidelberg kennengelernt habe, bin ich 1974 hier angekommen.
Wie sind sie dann Übersetzerin geworden?
Den Beruf fand ich schon immer interessant, dennoch entschied ich mich nach der Schule für ein Jurastudium. In Israel habe ich anfangs als Bibliothekarin gearbeitet, aber meinen Wunsch immer im Hinterkopf behalten. Irgendwann hat mein Mann eine Anzeige in der Haaretz gesehen, da suchten sie für ein Lexikon Übersetzer vom Englischen ins Deutsche. Das Lexikon ist nie erschienen, aber inzwischen hatte ich meine Stelle als Bibliothekarin aufgegeben und suchte nach Übersetzer-Jobs. Es war ein sehr steiniger Weg. Ich übersetzte zuerst Fachbücher und Zeitungsartikel vom Hebräischen ins Deutsche, Anfang der achtziger Jahre bekam ich endlich meine erste literarische Arbeit: Yoram Kaniuks »Wilde Heimkehr«. Anschließend durfte ich Amos Oz übersetzen. Damit lief die Sache. Spät, aber immerhin.
Wo liegen für Sie die besonderen Herausforderungen beim Übersetzen vom Hebräischen ins Deutsche?
Das Ur-Hebräisch ist die Sprache der Bibel. Wenn man also Literatur aus dem Hebräischen übersetzt, muss man ein Gefühl dafür haben, welche Begriffe einen biblischen Bezug haben könnten. Viele davon sagen den meisten deutschen Lesern zwar ohnehin nichts, aber ich muss an der Stelle dann ein höherstehendes Wort verwenden. Einen Einfluss auf meine Arbeit hat auch die Tatsache, dass Hebräisch jahrhundertelang keine Sprache der Frauen und keine Sprache des Arbeitslebens war. Juden sprachen in ihren Berufen entweder die jeweilige Landessprache oder eine jüdische Abwandlung davon. Das heißt, es gibt zum Beispiel bei Begriffen aus der Handwerkersprache im Deutschen oft fünf Worte, wo es im Hebräischen ein einziges gibt. Das macht es mir nicht immer leicht. Das heißt nicht, dass die hebräische Sprache arm wäre. Sie hat dafür auf anderen Gebieten mehr zu bieten als das Deutsche. Zum Beispiel wenn es um Gerüche geht. Oder beim Philosophischen, da legt die hebräische Sprache richtig los.
Gibt es ein Thema, das Sie vor besonders große Schwierigkeiten stellt?
Hier in Israel spielt das Militär eine große Rolle, deshalb kommt auch in fast jedem Buch irgendwann etwas Militärisches vor. Da fährt jemand nach Hause, der gerade beim Reservedienst war, da kennen sich zwei Freunde von der Grundausbildung. Es war lange Jahre ein großes Problem für mich, die passenden deutschen Begriffe aus der Militärwelt zu finden. Beim Blick in die deutschen Wörterbücher hätte man meinen können, dass Deutschland noch nie einen Krieg geführt hat. Mittlerweile ist das ein bisschen einfacher geworden, weil sich die deutsche Literatur mehr mit solchen Themen beschäftigt und das Vokabular Einzug in die Wörterbücher gehalten hat.
Wie sorgen Sie dafür, in Israel nicht den Anschluss an die deutsche Sprache zu verlieren?
Das ist natürlich ein sehr wichtiger Aspekt für mich, deshalb umgebe ich mich so viel es geht mit der deutschen Sprache. Ich lese Bücher, schaue Filme auf Deutsch, besuche Veranstaltungen im Goethe-Institut. Es gibt viele Möglichkeiten.
Das moderne Hebräisch ist eine sehr dynamische Sprache. Es gibt ständig Neuschöpfungen, Wörter bekommen wechselnde Bedeutungen verpasst. Wie bleiben Sie da am Ball?
Das passiert fast automatisch. Hebräisch ist ja die Sprache, in der ich lebe, ihre Neubelebung nach mehr als 2 000 Jahren fasziniert mich immer noch. Die Sprache scheint mir heute angenehm geerdet zu sein, im Alltag wird ein schnoddriger Slang gesprochen, den ich sehr hübsch finde. Um auch die neuesten sprachlichen Entwicklungen mitzubekommen, höre ich im Radio gern den Armeesender. Der ist sehr jung – und er hat zum Glück keine Werbeunterbrechungen.
Beim Übersetzen geht es ganz einfach gesagt darum, die Originale so treffend wie möglich in eine andere Sprache zu übertragen. Verbinden Sie noch mehr mit Ihrem Beruf?
Im Vordergrund steht für mich erstmal die Kunst. Ich möchte, dass diese Bücher in Deutschland von allen gelesen werden können, die sich für Literatur interessieren. Ein schöner Nebeneffekt ist sicherlich, dass die Bücher es dem Leser ermöglichen, ein realistisches Bild vom Leben in Israel zu bekommen. Sie bieten einen Einblick in die Seele des Landes.
Da ist bei vielen Deutschen Hopfen und Malz verloren. Laut einer aktuellen Umfrage setzen 35 Prozent der Deutschen die israelische Palästinenserpolitik mit der Verfolgung der Juden durch die Nazis gleich.
Ob Menschen, die eine solche Meinung vertreten, für Literatur überhaupt empfänglich sind, weiß ich nicht. Es regt mich sehr auf, wenn Menschen in ihren sicheren Häusern sitzen und mit dem Finger auf Israel zeigen. Diese Leute hätten in den Wochen vor dem letzten Gaza-Krieg nur mal 14 Tage in Sderot verbringen sollen, dann würde ihr Urteil heute vermutlich differenzierter ausfallen.