Das Asylrecht wurde weiter eingeschränkt

Verschärfte Willkommenskultur

Der Plan der Bundesregierung geht auf: Gegen das am Donnerstag voriger Woche vom Bundestag beschlossene Haftregime für Flüchtlinge protestierte fast niemand.

Schweinsköpfe vor einer künftigen Asylbewerber­unterkunft in Mengerskirchen, Brandanschlag in Meißen, Pogromstimmung in Freital – und der Bundestag beschließt ein Gesetz, dass die antirassistische Szene etwas vereinfachend »Asylrechtsverschärfung« nennt: Die Nachrichten der Woche klangen schwer nach den frühen neunziger Jahren. Aber so einfach ist es nicht. Denn eines muss man der Bundesregierung lassen: Sie macht ihre Sache im Vergleich zu damals diskreter – aber nicht weniger zielstrebig. Allein bis Mai 2015 wurden rund 126 000 Asylerst­anträge gestellt – angesichts der rund 60 Millionen Flüchtlinge weltweit eigentlich ein Klacks. Aber die Bundesregierung sieht sich zum Handeln gedrängt. Und zwar gar nicht so sehr von »besorgten Bürgern«. Es sind vor allem die Kommunen, die vor rund zehn Jahren aufgrund der damals niedrigen Flüchtlingszahlen ihre Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen reduzierten – und jetzt auf schnellere Abschiebungen drängen.
Eine pauschale Politik der Abschottung, Abschreckung und Abschiebung, wie die Bundesregierung sie 1993 verfolgte, träfe allerdings heute wie damals auf großem Widerstand. Denn die Empathie für Flüchtlinge aus Staaten wie Syrien oder Eritrea ist groß: Medien und Kulturschaffende reißen sich um ihre Schicksale, Fluchtgeschichten laufen überall. Sogar die Asylentscheider im Bundesamt erkennen mehr Schutzgesuche an als in den Jahren zuvor. Das nun verabschiedete Gesetz zur »Neubestimmung von Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung« zielt unter anderem auf eine Erhöhung der sogenannten Dublin-Abschiebungen – egal ob die Betroffenen in Italien auf der Straße landen, in Ungarn im Knast oder in Bulgarien unter den Schlagstöcken prügelnder Polizisten. Deutschland stellte 2014 ganze 35 115 »Übernahmeersuchen« von »Dublin-Überstellungen« an andere EU-Staaten, in erster Linie an die genannten drei Länder. Dem folgten insgesamt »nur« 4 772 Abschiebungen. Um das zu ändern, führt das neue Gesetz mehrere beliebig anwendbare Haftgründe ein: Inhaftiert werden kann jeder Flüchtling, der aus einem anderen EU-Staat eingereist ist, bevor dort über seinen Asylantrag entschieden wurde. Das zielt exakt auf die Opfer des Dublin-Systems, die das Flüchtlings­elend in den EU-Randstaaten zur Weiterflucht zwang.
Dass das Gesetz am Donnerstag voriger Woche ohne großes Aufsehen durch den Bundestag ging, liegt nicht nur an dem geschickten Zug von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), die neuen Haftregeln mit dem Bleiberecht zu vermengen, sondern auch an einer Zivilgesellschaft, die es mit ihrer Willkommenskultur ein bisschen hält wie mit den Lichterketten in den neunziger Jahren: Angesichts des hässlichen Mobs in Freital oder Dresden vergewissert sie sich gern, auf der guten Seite zu stehen. Und für die Repräsentation des guten Deutschlands wird ihr von Amts- und Würdenträgern kräftig auf die Schulter geklopft. Auch wenn die seit 2013 überall aus dem Boden schießenden lokalen Initiativen Flüchtlinge oft nicht nur im Alltag unterstützen, sondern sie auch tapfer gegen Abschiebungen in Schutz nehmen: Gegen die Verstümmelung des Asylrechts hat die neue »Willkommenskultur« politisch bislang so gut wie gar nicht aufbegehrt.