Florencia Lemos im Gespräch über die Legalisierung von Cannabis in Uruguay

»Aus den Schwierigkeiten bei uns können andere lernen«

Florencia Lemos studiert Politikwissenschaften und ist Mitgründerin des Cannabis-Clubs CLUC (Cultivando la Libertad Uruguay Crece). Die 25jährige arbeitet bei Proderechos zum Thema Cannabis. Das politische Kollektiv wurde 2006 in Uruguay von mehreren Verfechterinnen und Verfechtern der Cannabis-Legalisierung zunächst unter dem Namen »Prolegal« gegründet. Heute arbeitet Proderechos auch zu Themen wie sexueller Vielfalt und der Aufarbeitung der Militärdiktatur.

Uruguay ist ein Land, das auch früher schon für eine vergleichsweise liberale Drogenpolitik bekannt war. Hat das Cannabisgesetz, das seit gut zwei Jahren in Kraft ist, im Alltag konkret etwas geändert?
Der Konsum von Drogen ist bereits seit 1974 entkriminalisiert, das heißt, in der Öffentlichkeit konnte man sie ­seitdem konsumieren. Kauf und Verkauf blieben hingegen verboten. Um etwas zu tun, das legal ist, musste man also zunächst etwas Illegales machen. Polizei und Gerichte legten willkürlich aus, ob die Menge, die jemand bei sich trug, als für den Eigenkonsum oder für den Verkauf bestimmt galt. Je nach Aussehen oder dem Viertel, in dem man kontrolliert wurde, konnte man mit zehn Gramm als Drogenhändler gelten oder mit 20 Gramm und einem guten Anwalt als Konsument. Dieser juristische Widerspruch ist ­zumindest bei Cannabis nun beseitigt.
Wie beurteilen Sie die bisherige Umsetzung des Gesetzes?
Das Gesetz hat viel Potential, weil es das Thema Cannabis ganzheitlich behandelt und den persönlichen, medizinischen und industriellen Gebrauch ­reguliert. Individueller und gemeinschaftlicher Eigenanbau in Cannabis-Clubs finden bereits statt, während die anderen Bereiche noch nicht so weit fortgeschritten sind. Der Verkauf in Apotheken soll frühestens ab August beginnen. Voriges Jahr hat die Regierung zwei Lizenzen an Unternehmen vergeben, die bereits auf staatlichem Ackerland anbauen.
Woran liegt es, dass sich der Verkaufsstart immer wieder verzögert hat?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Regierung geht die Umsetzung sehr gründlich an, sie will zeigen, dass der Verkauf in Apotheken funktioniert. Die Lizenzvergabe hat zu einem langen bürokratischen Prozess geführt. Es musste untersucht werden, woher die Unternehmen das Geld haben und welche Personen involviert sind. Das Regulierungsinstitut IRCCA hatte bis ­Anfang vorigen Jahres noch keine eigenen finanziellen Mittel und kaum ­Personal, weil der Staatshaushalt bereits verabschiedet worden war, als das ­Gesetz 2014 in Kraft trat. Die meisten Apotheken waren zwar für den Verkauf, die dahinterstehende Pharmaindustrie lehnte ihn jedoch ab. Mittlerweile konnten sich die verschiedenen Akteure aber einigen. Nun werden zunächst vier Tonnen Marihuana pro Jahr produziert. Für uns ist das aber viel zu wenig. Hier könnten kleinere, ländliche Produzenten mit ins Boot geholt werden, die dann auch an den Staat verkaufen. Durch die Verzögerungen beim Verkauf in Apotheken sind es bisher die Cannabis-Clubs, die in größerem Umfang produzieren können.
Wie ist ein Cannabis-Club intern strukturiert?
Laut Gesetz muss es einen Verantwortlichen für den Anbau und einen für die Finanzen geben. Dazu eine Leitung, die von der Versammlung gewählt wird. Sowohl von Proderechos als auch unserem Cannabis-Club aus arbeiten wir gerade daran, einen Zusammenschluss aller Clubs ins Leben zu rufen. Bisher sind aber erst 20 registriert oder stehen kurz davor. Von vielen weiß ich, dass sie einen partizipativen Ansatz haben. Das heißt, abgesehen von dem monatlichen Beitrag, den sie zahlen, arbeiten und entscheiden die Mitglieder gemeinsam. Diese Clubs haben am Ende auch erschwinglichere Beiträge, da sie die Arbeit gemeinsam machen und nicht jemanden dafür bezahlen. Durch die große Produktion wird der Preis in der Apotheke am niedrigsten sein. Das ist eine Herausforderung für die Clubs.
Für uns bedeutet der gemeinschaftliche Anbau aber mehr. Man hat eine Verbindung zu der Pflanze und schafft etwas Kollektives. Darüber hinaus können die Clubs Konsumenten zusammenbringen und zu Räumen werden, in denen sie sich nicht nur austauschen, sondern auch die Umsetzung des ­Gesetzes begleiten und verbessern können.
Was gäbe es zu verbessern?
Ein Club darf zwischen 15 und 45 Mitglieder haben. In der Praxis ist dies aber eine relative kleine Anzahl, denn die Fixkosten sind hoch. Damit die Mitglieder am Ende also nicht zu hohe Beiträge zahlen müssen, sollten sich möglichst viele Leute zusammenschließen dürfen. Und generell muss noch viel Aufklärung betrieben werden. Zum Beispiel, wenn Richter auf Anzeigen wegen Cannabispflanzen in Privat­häusern hin eine Durchsuchung anordnen, anstatt zu überprüfen, ob die Person registriert ist. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass man sich nur für einen Zugang entscheiden kann, das heißt, wer individuell anbaut, kann nicht in der Apotheke kaufen oder gleichzeitig einem Club beitreten.
Schreckt es nicht viele Kifferinnen und Kiffer ab, dass sie sich erst offiziell registrieren lassen müssen, bevor sie legal anbauen oder Marihuana kaufen können?
Ja, einige sind misstrauisch, sich beim Staat als Drogenkonsumenten zu regis­trieren. Sie haben Angst, stigmatisiert zu werden. Aber die Daten sind vertraulich und gesetzlich geschützt, das Re­gulierungsinstitut IRCCA darf sie nicht weitergeben. Ich glaube, wenn die ­Leute sehen, dass das System gut funktioniert, werden sie ihr Misstrauen ­ablegen. Natürlich wirkt die Idee der Registrierung paternalistisch, als Kontrollinstrument des Staates. Vor allem in den marginalisierten Vierteln, wo die Menschen den Staat nur als repressiv wahrnehmen, erschwert der Registrierungszwang die Umsetzung des Ge­setzes. Ich denke, die Registrierung war als Gegenleistung nötig, um das Gesetz zu verabschieden. Später kann sie möglicherweise abgeschafft werden.
Ein maßgebliches Ziel des Gesetzes ist die Beseitigung des illegalen Schwarzmarkts. Kann dies angesichts der Verzögerungen beim Apothekenverkauf und des Ausschlusses von minderjährigen Konsumentinnen und Konsumenten überhaupt gelingen?
Der Schwarzmarkt ist dadurch, dass mehr Menschen anbauen oder jemanden kennen, der anbaut, bereits geschrumpft. Es gibt einen sogenannten grauen Markt, auf dem Leute ihre Quote nicht ausreizen und Gras an Freunde verschenken, was legal ist. ­Davon profitieren aber eben nicht die Drogenhändler und die Qualität des Marihuanas ist auch besser. Das ist auch ein möglicher Zugang für Minderjäh­rige. Oder sie bauen selbst an und landen dafür nicht mehr im Gefängnis, sondern begehen nur noch eine Ordnungswidrigkeit.
Auf internationaler Ebene wird mittlerweile verstärkt über die negativen Folgen der Prohibition diskutiert. Was kann Uruguay zur Debatte beisteuern?
Uruguay hat mit etwas begonnen, ohne viele Vorkenntnisse zu haben. Aus den Schwierigkeiten bei uns können andere lernen. Lateinamerika leidet am meisten unter den Konsequenzen des Krieges gegen die Drogen und kann eine wichtige Rolle in der Legalisierungsdiskussion einnehmen. In Chile, in Costa Rica und Mexiko gibt es bereits interessante Änderungen. Ich glaube, langsam wird klar, dass andere Wege ausprobiert werden müssen. Die kommende Debatte wird sein, wie wir aus der Prohibition herauskommen. Geht es dann um eine Marktliberali­sierung oder eine staatliche Regulierung mit Partizipation sozialer Organisationen und Konsumenten? In Uru­guay haben wir uns für letzteres entschieden. Das ist positiv, denn es steckt keine Industrie dahinter und der Staat verfolgt nicht das Ziel, den Konsum auszuweiten.