Trotz des Friedensabkommens nimmt die Zahl politischer Morde in Kolumbien ­wieder zu

Unsicherer Frieden

Vergangene Woche unterzeichneten Vertreter der Guerilla Farc und der kolumbianischen Regierung ein neues Friedensabkommen. Doch die Zahl der Morde an Menschenrechtlern und Mitgliedern sozialer Bewegungen steigt wieder.

Nur einen Steinwurf vom Parlament in Bogotá entfernt befindet sich das Teatro Colón. In dem prächtigen Gründerzeittheater haben am Donnerstagvormittag vergangener Woche die Führung der Guerilla Farc um Rodrigo Londoño alias Timoleón Jiménez und Kolumbiens Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos feierlich das überarbeitete Friedensabkommen unterzeichnet. Dessen Neuverhandlung war nach der Ablehnung des ersten Abkommens im Referendum am 2. Oktober nötig geworden. Das neue Abkommen enthält einige Änderungen, die auf die Kritik der vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez geführten Kampagne zurückgehen, die für ein »No«, die Ablehnung des Abkommens beim Referendum, geworben hatte. Doch die Änderungen reichen dem erzkonservativen Milieu noch nicht, das vor allem von Großgrundbesitzern und Unternehmern dominiert wird. Carlos Ardila Lülle etwa, der Besitzer des Limonadenkonzerns Posto­bón, der die mit Fehlinformationen gespickte »No«-Kampagne maßgeblich finanziert hat.
Menschenrechtsanwälte gehen davon aus, dass die Gegner des Abkommens einiges zu befürchten hätten. »Die Übergangsjustiz könnte sich auch für die Finanziers der Paramilitärs interessieren«, sagt Bayron Góngora von der Corporación Jurídica Libertad in Medellín. Der 44jährige Jurist befürchtet, dass die Gegner das Abkommen mit ihrer Blockadehaltung weiter verwässern könnten. »Wir haben in den vergangenen Monaten die Erfahrung gemacht, dass die Anhänger des ›No‹ um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez immer neue Bedingungen stellen. Ich hoffe, dass das Abkommen nicht im Kongress weiter modifiziert wird«, so Góngora.
Diese Befürchtung ist bei Vertretern der Opfer des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts weit verbreitet. Sie wollen die Wahrheit wissen und endlich erfahren, wer die Verantwortlichen für die Massaker und die bis zu 90 000 Verschwundenen sind, und haben in den vergangenen Wochen mit Veranstaltungen auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz Bogotás, um den herum sich das Parlament, der Justizpalast, die Stadtverwaltung und die Kathedrale Bogotás befinden, auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht: etwa mit einer Installation von Stühlen in leuchtendem Orange, auf denen Fotos junger Frauen platziert waren, im Hintergrund ein Transparent mit dem Slogan »Sin Olvido« (Kein Vergessen). »Ich sehe die Opfer mehr und mehr in einer Rolle, in der sie Gerechtigkeit einfordern, aber auch Beweise erbringen müssen, um gehört zu werden. Die Rechte der Opfer werden beschnitten«, kritisiert Góngora.
Außerdem gibt es wieder mehr Gewalttaten im Land. Zwar hat der Friedensschluss dafür gesorgt, dass die Zahl der Toten durch Gefechte zwischen Armee und Guerilla deutlich zurückgegangen ist. Das gilt aber nicht für politische Morde. 70 solcher Morde hat die Nichtregierungsorganisation »Somos Defensores« (Wir sind Verteidiger) bis zum 25. November registriert und damit bereits sieben mehr als im vergangenen Jahr. Besonders gefährlich sei die Lage in Verwaltungsbezirken wie Cauca, Antioquia und dem Chocó, der im Norden an Panama grenzt, so Carlos Guevara, der Koordinator von »Somos Defensores«. Die Organisation wird vor allem aus Skandinavien unterstützt und ist international sowie von der kolumbianischen Regierung anerkannt. Ihre Informationen bezieht sie von einem landesweiten Netzwerk, sie berät und unterstützt auch Opfer von Verfolgung und vermittelt im Notfall Kontakte für eine Ausreise. Selbst die Nationale Schutzbehörde UNP und die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft greifen auf Angaben von »Somos Defensores« zurück.
Derzeit sei die Situation extrem brisant, so Guevara. Das habe verschiedene Gründe: »Zum einen hat es den Anschein, dass sich die Paramilitärs neu strukturieren, zum anderen gibt es auch Anzeichen, dass die Menschenrechtler im Kontext der Friedenseuphorie leichtsinniger waren als zuvor.« Mitglieder sozialer Bewegungen hätten zum Beispiel ohne Sicherheitsvorkehrungen an Demonstrationen teilgenommen. Am vergangenen Wochenende gab es allein sieben Attentate auf Bauernvertreter in mehreren Verwaltungsbezirken des Landes, wobei fünf Menschen getötet wurden, einer wurde schwer verletzt und ein weiterer entkam mit knapper Not unverletzt. Nur einen Tag vor der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens in Bogotá erschossen drei sicarios, bezahlte Killer, ein Mitglied der Landarbeitervereinigung aus dem Valle del Cauca vor dessen Haus. In der Provinz mit der Hauptstadt Cali wird vor allem Zuckerrohr angebaut, unter anderem für die Erzeugung von sogenanntem Biosprit.
Auch in der benachbarten Provinz Cauca ist Zuckerrohr ein wichtiges Anbauprodukt. Die starke Landkonzentration sorge dafür, dass Kleinbauern oft auf weniger als einem Hektar Fläche anbauen müssten und Schwierigkeiten hätten, genug zum überleben zu erwirtschaften, sagt Andrés Antonio Almendras, ein Repräsentant des Consejo Regional Indígena del Cauca (CRIC), des indigenen Rats der Provinz, in dem elf indigene Gruppen vertreten sind. Die Lage sei schwierig, so Almendras. »An der Pazifikküste, rund um die Stadt Guapi, ist es sehr riskant für unsere Leute. Deshalb war auch gerade ein Soldat hier. Es ging darum, Maßnahmen abzustimmen«, sagt der Vertreter der größten indigenen Gruppe im Cauca, der Nasa. »Die bacrim sind dabei, unsere Leute zu vertreiben, und wir vermuten, dass die Bevölkerung dieser Region im Interesse internationaler Bergbaukonzerne vertrieben werden soll«, so Almendras. Bacrim ist ein Akronym für bandas criminales, kriminelle Banden, die unter anderem mit transnationalen Drogenkartellen zusammenarbeiten. In der Region werden Gold-, Platin- und Coltanvorkommen vermutet, außerdem haben Kraftwerksbetreiber Interesse an den Wasserressourcen. Wie so oft geht es um die Verteilung der Reichtümer des Landes, und wie in anderen Regionen soll das Eindringen paramilitärischer Gruppen die gewaltsame Umverteilung vorbereiten. Aber auch kleine Bergbauunternehmen dringen in indigene Territorien ein und verschmutzen den Boden und die Wasserquellen mit Quecksilber, das für die Trennung von Geröll und Gold eingesetzt wird.
Spannungen und gewaltsame Aus­ein­andersetzungen, die immer wieder Tote fordern, sind die Folge. 16 der 70 ermordeten Mitglieder sozialer Organisationen entfallen laut »Somos Defensores« auf den Cauca. Eine Statistik des CRIC zählt bereits 68 ermordete Personen, die im Cauca auf Gemeindeebene engagiert waren, darunter viele indigene Anführer, die meist außerhalb der resguardos, der Reservate, ermordet wurden. »Innerhalb der resguardos wachen die guardias indigenas«, sagt Almendras. Die Mitglieder dieser indigenen Wachen nehmen Polizeifunktionen wahr, haben aber auch soziale Aufgaben und gehören zur indigenen Selbstverwaltung. Diese ist längst nicht überall gern gesehen und auch Almendras wurde bereits bedroht. Gegen die Einschüchterung gibt es nun landesweit Appelle und auch die Farc haben vor wenigen Tagen vor neuen Massakern an Mitgliedern sozialer Bewegungen und Bauernrechtlern gewarnt. Das ganze Land erinnere sich daran, so die Erklärung der Farc, dass Präsident Santos die Verantwortung des Staates für die Ermordung von etwa 4 000 Mitgliedern der Unión Patriótica in den achtziger Jahren anerkannt hat. Die Unión Patriótica galt anfangs als politischer Arm der Farc und wurde erst 2013 wieder als Partei zu Wahlen zugelassen, spielt aber in den meisten Regionen politisch kaum eine Rolle. Damit sich die Tragödie nicht wiederhole, sei ein engagierteres Vorgehen der Regierung notwendig, so der Menschenrechtler Iván Cepeda, ein Senator der linken Partei Polo Demócratico Alternativo.