Die Ausstellung »This Was Tomorrow«

Reklame für die Gegenwart

Was war es nur, das das Leben so angenehm machte? Das Kunst­museum Wolfsburg inszeniert die Anfänge und die Hochzeit von Pop Art und Popkultur im London der fünfziger und sechziger Jahre.

Eine dezidierte Aufgabe der Kunst, insbesondere der bürgerlichen Kunst, konstitutiv mit der Entfaltung der Moderne verbunden, war von jeher die Herstellung und Stabilisierung der sogenannten nationalen Identität. Dem widersetzte sich die Kunst als moderne, geriet dann als Avantgarde zum Nationalismus ohnehin und schließlich zur Nation überhaupt in Widerspruch. Im Niedergang der Avantgarden, in ihrer Zerschlagung und Vernichtung durch Stalinismus, Nationalsozialismus und Faschismus, ging dieser antinationale Impuls verloren. Allein auf den Barrikaden in Barcelona 1936 wurden die Ideen einer an Internationalität orientierten Kunst ein letztes Mal verteidigt, ein humanistischer Konsens, der dann mit der Niederschlagung der Revolution ebenfalls zerstört wurde. 
Als »international« galt fortan nur noch die Massenkultur, die sich in den dreißiger und vierziger Jahren etablierte und nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorstellung eines allemal besseren Lebens lieferte. Für die Pop Art bildet das einen wesentlichen Ausgangspunkt: Kunst, soll sie auf die Gegenwart und deren menschliche Verbesserung bezogen bleiben, konnte nicht länger als Aushängeschild nationaler Identität operieren, sie musste international sein. Dafür braucht sie auch in ihrer Organisation Unabhängigkeit. Konsequenterweise gründeten Künstlerinnen und Künstler deshalb die Independent Group; dieselben Künstlerinnen und Künstler inszenierten im August 1956 in der Londoner Whitechapel Gallery eine Ausstellung mit dem euphorisch-optimistischen Titel »This Is Tomorrow« und präsentierten ausschließlich Objekte der US-amerikanischen Massenkultur – Illustrierte, Comics, Filme und Plakate –, die eben als »international« galt. 

Bereits in den Siebzigern wird Pop zur ubiquitären, allgültigen Gegenwart überhöht, die jede mögliche Zukunft ebenso wie jede wirkliche Vergangenheit mehr und mehr absorbiert und annektiert – bis der Pop sich in seiner auf Dauer und Ewigkeit eingestellten Wiederholungsschleife endgültig verläuft.

Konzentriert drückte Richard Hamilton das auf einem Plakat für die Ausstellung aus. Er staffierte als Collage unter dem Titel »Just what Is it that Makes Today’s Homes so Different, so Appealing?« ein Wohnzimmer mit allerhand Annehmlichkeiten und Errungenschaften des modernen Alltags aus, Fernseher, Tonbandgerät, Staubsauger und so weiter, möbliert mit einer wuchtigen, roten Couchgarnitur und exotischer Zimmerpflanze: die Gegenwart als Zukunft. Hier war dann auch das Wörtchen »Pop« das erste Mal im Kunstkontext zu lesen: auf einem Dauerlutscher – ein großes Stückchen Süßigkeit, ein Konsumartikel, Naschkram, ein Massenprodukt. Wenige Monate später definierte Hamilton in einem Brief an Peter und Alison Smithon, was Pop Art ist: »Pop Art ist: Populär (entworfen für ein Massenpublikum). Vergänglich (Kurzzeitlösungen). Verbrauchbar (schnell vergessen). Niedrige Kosten. Massenproduziert. Jung (an die Jugend gerichtet). Witzig. Sexy. Trickreich. Glamourös. Big Business.«
»This Is Tomorrow« ist nun in Teilen rekonstruiert, gleichsam als Wiederholung, im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen, kuratiert von Ralf Beil und Uta Ruhkamp unter dem klugen Titel »This Was Tomorrow«. War »This Is Tomorrow« noch mit futurologischen Ambitionen auf die Zukunft und ihren Vorschein ins Heute gerichtet, so ist die Wolfsburger Ausstellung »This Was Tomorrow« retrospektiv: »Der Bogen der Ausstellung spannt sich von Eduardo Paolozzis frühen Pariser Collagen von 1947 bis zum Höhe- und Endpunkt des ›Swinging London‹ rund um Robert Fraser, Stargalerist und Pop-Netzwerker par excellence, 1968«, sagt Beil. Doch warum endete das Morgen, das 1956 anvisiert wurde, schon knapp eineinhalb Jahrzehnte später? Und wieso kann heutzutage wieder so unumwunden auf dieses Morgen rekurriert werden?
Der visionäre Zugriff auf eine andere Zukunft verlor sich nach 1968 nicht nur in der Pop Art, sondern auch in der mittlerweile allgemein und gewöhnlich (»ordinary«) gewordenen Popkultur. In den Siebzigern, Achtzigern, schließlich Neunzigern wurde Pop zur ubiquitären, allgültigen Gegenwart überhöht, die jede mögliche Zukunft ebenso wie jede wirkliche Vergangenheit mehr und mehr absorbiert und annektiert hatte – bis der Pop sich in seiner auf Dauer und Ewigkeit eingestellten Wiederholungsschleife endgültig verläuft, wie es mittlerweile scheint.
Es ist freilich der brisante Clou der Wolfsburger Ausstellung, den Titel »This Was Tomorrow« keineswegs als banales Wortspiel zu setzen. Das energische Insistieren auf einer Zeit des Pop, die eigentlich abgeschlossen ist, gleichwohl aber gerade als Pop noch immer – und sei es nur symbolisch – an Unabgegoltenem, Uneingelöstem übersättigt ist, verwandelt schon im Konzept die Retrospektive zur Aktualisierung, die derart auch das politische Moment der britischen Pop Art wieder in Kraft setzt.
In das in der Ausstellung präsentierte vergangene Morgen zurückversetzt wird man gleich zu Beginn durch die begehbare Rauminstallation »Fun House« von Richard Hamilton, die »in allen sinnlichen Details inklusive Jukebox und Erdbeerduft rekonstruiert« ist, wie Kurator Beil hervorhebt. Die Pop-Ästhetik sprengte die bis dahin gültige Engführung der bildenden Kunst auf das Visuelle, war synästhetisch erweitert, zugleich aber auch künstlerisch vereinfacht: Pop hatte das Bildende der Kunst neu definiert, nicht zuletzt allein dadurch, dass damals in London Massenprodukte der als trivial geschmähten Alltagskultur ausgestellt wurden. Filmplakate, Comics, Science-Fiction, Illustrationen aus wissenschaftlicher Fachliteratur, Zeitschriftenseiten gehören ebenso dazu wie Fotografien, Skulpturen, Collagen, Malerei, schließlich auch Musik und Architektur. Da sind etwa Modelle und Entwurfszeichnungen von Peter und Alison Smithson für ihr »House of the Future«, ein futuristisches Projekt, das den Brutalismus sowohl überwindet als auch weitertreibt. 
Man könne sich im Zusammenspiel von Form und Funktion nicht mehr wie Walter Gropius an Getreidesilos oder Le Corbusier an Flugzeugen orientieren. »Heute sammeln wir Werbeanzeigen«, schrieben die Smithsons in einem kleinen Manifest 1956, denn es sei die »Reklame der Massenproduktion, nach der sich die Muster unserer gegenwärtigen Lebensweise bilden«. Schon 1954 hatte der Kunstkritiker Lawrence Alloway die kulturelle Bedeutung von Reklame angepriesen; ob er allerdings im Zusammenhang mit Werbeanzeigen in Hochglanzmagazinen, Plakaten vor den Kinos, Prospekten oder Flugblättern tatsächlich schon von Pop Art sprach, ist umstritten.
Bekanntes und Unbekanntes werden geboten. Cedric Price und das »Archigram«-Projekt, Fotografien von Nigel Henderson, die »Bunk!«-Collagen von Eduardo Paolozzi, Peter Blakes und Jann Haworths Cover-Artwork des Beatles-Albums »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band«, Arbeiten von Pauline Boty und David Hockney, ferner Filme (»Blow Up«) und Musik (The Rolling Stones, The Who) und so weiter. Zudem gibt es zeithistorische Dokumente, die Einblick in das Alltagsleben – nicht nur in London – der Fünfziger und Sechziger geben.
Was die Pop Art inspirierte, war der »Triumph der Reklame«, in den Theodor W. Adorno und Max Horkheimer die Kulturindustrie münden sahen. In ihrer Gemeinschaftsarbeit »Dialektik der Aufklärung« formulierten die beiden zum Schluss des Abschnitts über die Kulturindustrie: »Personality bedeutet kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen.« Das Subjekt der Popkultur ist demzufolge der Konsument, ein Pseudoindividuum.
Die »Dialektik der Aufklärung« erschien 1947. Mutmaßlich im selben Jahr klebt Eduardo Paolozzi eine Collage zusammen, die genau das zeigt: »I Was a Rich Man’s Plaything«. Blickfang der Collage ist die Titelseite einer Ausgabe des Magazins Intimate Confessions, auf der sich ein Pin-up Girl lasziv darbietet. Oberhalb der jungen Frau hat Paolozzi einen Revolver geklebt, der gerade einen Schuss abfeuert – »Pop« steht auf der Schmauchwolke vor der Mündung. Ralf Beil nennt das »eine der Urszenen des Pop«.
Paolozzi lebte damals für einige Wochen in Paris, war fasziniert von der Stimmung dort, die der Existentialismus ebenso prägte wie der amerikanische Jazz. Hier regte sich eine erste postfaschistische Jugendkultur. GIs versorgten Paolozzi mit US-amerikanischen Illustrierten. Er sammelte Seiten, Fotos, Schnipsel, Klebebildchen und klebte sie in sein Skizzenbuch. Wieder in London, präsentiert Paolozzi im Kreis der Independent Group seine Sammlung: Wunschbilder der Überflussgesellschaft, die allerdings im Londoner Alltag, der immer noch von den Folgen des Krieges bestimmt war, disparat wirkten. Der Fotograf Nigel Henderson hielt das in einigen Bildern fest, fotografierte etwa eine Gruppe von Frauen, die sehnsüchtig eine Schaufensterauslage mit Nylonstrümpfen bestaunten. In der Kunst dann auf die Segnungen der Konsumkultur der an- und aufbrechenden Überflussgesellschaft zu verweisen, war auch eine politische Provokation – für die britische bürgerlich-aristokratische Hochkultur ohnehin, aber auch für die proletarische Populärkultur.
Der Katalog zur Ausstellung ist, wie die Ausstellung selbst, fulminant, seine Gestaltung eine Fortsetzung und Ergänzung des kuratorischen Konzepts; verantwortlich zeichnen hier als Herausgeber und Redaktion Ralf Beil, Uta Ruhkamp und, assistierend, Lisa Grolig. Beiträge renommierter Autorinnen und Autoren wie Anne Massey und John-Paul Stonard ergänzen die Studien jüngerer Autorinnen und Autoren. Der Katalog beginnt mit sechs seitenfüllenden Arbeiten von Eduardo Paolozzi aus seiner »Bunk!«-Serie: Es sind »Collagen«, was als Bezeichnung ebenso vage bleibt wie die Allgemeinbezeichnung »Arbeiten«, denn als Collage fungieren mitunter einzelne, abgerissene Titelseiten wie etwa die einer Ausgabe von Radio-Electronics, Dezember 1951, mit Bastelanleitung für ein »light-sensitive electronic beast«, sowie »in this Issue« etwa »measuring distortion« oder, so auch der von Paolozzi gewählte Titel, »New Life for Old Radios«. Es ist die bunte Welt der Illustrierten und Special-Interest-Magazine, eine Welt, in der das soziale Leben der Celebrities mit den technischen Neuerungen für Hobby und Haushalt ebenso verschmilzt wie mit der Beiläufigkeit fotografisch inszenierter Kriegs- und Katastrophenberichtserstattung.
Entscheidend ist, wie Lucy Lippard schon vor 50 Jahren konzedierte, dass der Pop in London wie dann in New York, in Europa wie in Amerika, von einer »Entschlossenheit« bestimmt war, »der zeitgenössischen Welt gegenüber nicht die ›zeitgemäß‹ negative, sondern eine positive Haltung einzunehmen … nirgends (war) Pop eine nihilistische Strömung«. 
Der Nihilismus kam erst viel später, durchkreuzte diesen Positivismus zunächst zynisch (»fröhlicher Positivismus«), etwa – wieder in London – im Punk der von Vivienne Westwood und Malcolm McLaren gecasteten Sex Pistols (»No Future«) der Siebziger oder im Pop-Hedonismus der aufstrebenden postbürgerlichen Kulturzirkel der Neunziger, die sich längst als hegemoniale Allgemeinkultur etabliert haben, in einer neuen Form eines, wenn man so will, affirmativen Nihilismus. Das heißt: Der Nihilismus kam durchaus als Pop und mit dem Pop, aber zugleich auch mit dem Niedergang der Popkultur, den sie selbst, mittlerweile ökonomisch zum globalen, allgegenwärtigen kulturindustriellen Medienverbund ausgebaut, eben nicht als Niedergang, sondern ganz im Gegenteil als Aufstieg feierte, als sei jedes Popwarenprodukt schlussendlich nun doch die Erfüllung der reklamierten Glücksversprechen.
Das charakterisiert heutzutage die paradoxe Allgegenwärtigkeit des Pop, die sinnlos und bedeutungsvoll zugleich zwischen beiden Parolen changiert: »Alles Pop!« und »Ende des Pop!« Wo Pop daraufhin selbstkritisch reflektiert wird, ergibt sich die politisch-pessimistische Diagnose, die in den vergangenen Jahren etwa von Mark Fisher in Umlauf gebracht wurde: »Kapitalistischer Realismus … : das weitverbreitete Gefühl, dass der Kapitalismus nicht nur das einzig gültige politische und ökonomische System darstellt, sondern dass es mittlerweile fast unmöglich geworden ist, sich eine kohärente Alternative dazu überhaupt vorzustellen.« So wird unablässig eine idealisierte Vergangenheit, von allen Schrecken gereinigt, wiederholt: Simon Reynolds kommentierte das vor einigen Jahren mit dem Stichwort einer »Retromania«: Pop kommt von seiner Vergangenheit nicht los. 
Auch das gehört zur Aktualisierung des Ausstellungsprojekts »This Was Tomorrow«; im Katalog bekommt entsprechend David Greene, Mitbegründer der Architektengruppe Archigram, das erste Wort, das als Motto den Einleitungstext des Katalogs eröffnet: »Bob Dylan behauptete neulich, dass alles, was heute passiert, ein Recycling der Sechziger ist. Wollen wir’s nicht hoffen, denn das schließt auch die Schweinebucht und Vietnam mit ein.«
Pop erweitert die Kulturindustrie. Ihr Prinzip, nach dem alle Kultur zur Ware wird, vollendet sich im Pop in der Umkehr, wonach die Ware zur Kultur verabsolutiert wird; im Pop erscheint Gesellschaft »als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln«, wie Guy Debord schrieb. »Alles, was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen.« Das Ungeheure sorgte damals, zu Beginn und zur Hochzeit des Pop, noch für den ästhetischen Reiz, der – im entsprechenden Klima der sozialen Revolte – politisch als Subversivität verwendet werden konnte. Mit der Integration des Pop in gesellschaftliche Normalverhältnisse, wonach jede und jeder sich mit den entsprechenden Accessoires einen Lebensstil basteln kann, verliert sich die Ungeheuerlichkeit des Warenspektakels. Der Niedergang des Pop ist durch die fortschreitende Banalisierung seines auch ästhetischen Reichtums charakterisiert: eine Verklärung des Gewöhnlichen, die alle Dinge, ob »Kunst« oder nicht, in ihrer Egalisierung insignifikant macht.
Einst war der Ausblick auf ein Morgen im Heute mit ästhetischer Transzendenz aufgeladen; Pop Art wusste solchen Vorschein eben als Pop Art zu verwenden. Sukzessive wurde dieser Schein ästhetizistisch verkürzt, Pop wurde zur Reklame für die Welt, wie sie ist – und war nicht länger die Utopie einer besseren.

Die Ausstellung »This Was Tomorrow« ist noch bis zum 19. Februar 2017 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.

Ralf Beil und Uta Ruhkamp (Hg.): This Was Tomorrow. Pop Art in Great Britain: Die Erfindung der Pop Art in Großbritannien. Wienand-Verlag, Köln 2016, 420 Seiten, 49,80 Euro