Letzte Nacht in Schweden: Wie Konflikte im Stockholmer Stadtteil Rinkeby inszeniert und instrumentalisiert wurden

Wenn die Krawallreporter kommen

Videoaufnahmen von Ausschreitungen im von armen Migranten geprägten Stockholmer Stadtteil Rinkeby dienen US-Rechten als Beispiel für das Scheitern einer liberalen Einwanderungs­politik, wie sie Schweden betreibt. Die Aufnahmen sowie die Krawalle sollen allerdings ­manipuliert worden sein.

Mit dem idyllischen Schweden-Klischee hat der Stockholmer Bezirk Rinkeby nichts gemein. Statt an verträumten Seen gelegenen roten Holzhäuschen bestimmen Wohnsilos im Stil der sechziger Jahre das Bild des Stadtteils, der innerhalb von drei Jahren hochgezogen worden ist. Schnell blieben die Einwanderer dort unter sich. Schon 1988 machten Wissenschaftler einen eigenen vor Ort gesprochenen Soziolekt aus, das rinkebysvenska, das ähnlich wie verlan in den Pariser Banlieues oder straattaal in den Rotterdamer Vorstädten von marginalisierten Migranten gesprochen wird und bei der Jobsuche zum Hindernis werden kann.
Dass sogar Donald Trump Rinkeby kennt, liegt daran, dass es Bilder bot, die das besonders von Rechten schon lange herbeigesehnte Scheitern des angeblichen liberalen Musterstaates zeigten. Oder besser: Ihrer Meinung nach zeigten. Im zu mehr als 90 Prozent von ärmeren Zuwanderern bewohnten Rinkeby hat es für schwedische Verhältnisse am Abend des 20. Februar – erst nach den rätselhaften Bemer­kungen Trumps über »letzte Nacht in Schweden« – heftige Krawalle gegeben, die aber nicht nur der Gewaltbereitschaft einer kleinen Gruppe geschuldet waren, die die friedliche Mehrheit der Bewohner terrorisiert. Die Ausschreitungen nach der Festnahme eines mutmaßlichen Drogendealers waren vor allem durch schwere Fehler der Einsatzleitung begünstigt worden, wie ein der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter vorliegender interner Polizeibericht nun zeigt. Demnach hatten nur zwei von 14 als Verstärkung in Rinkeby eingesetzte Streifenpolizisten eine Ausbildung in SPT. Damit gemeint ist die »Särskild polistaktik«, eine nach den Krawallen beim EU-Gipfel in Göteborg 2001 entwickelte Polizeitaktik, der Forschungsergebnisse über das Verhalten gewalttätiger Massen bei Fußballspielen zugrundeliegen. Über SPT gibt es keine öffentlich zugänglichen Informationen, bekannt ist lediglich, dass es sich um Methoden fried­licher Konfliktregelung wie auch des »physischen Vorgehens« gegen Störer handelt sowie um Techniken der Stressreduktion für die eingesetzten Polizisten.
Aber nicht nur die überforderte ­Polizei trug zur Eskalation bei. Nach Informationen des dänischen Senders »Radio 24« und der schwedischen Zeitung Aftonbladet habe mindestens ein russischer Fernsehsender Jugendlichen in Rinkeby Geld für »Actionbilder« geboten. Ein Junge namens »Mohammed« erzählte beispielsweise, die Jugendlichen hätten sich ganz ruhig mit dem Fernsehreporter unterhalten. Als plötzlich die Polizei erschienen sei, habe dieser gesagt, für Krawall bekäme jeder 400 Kronen (rund 42 Euro). Um welchen Sender es sich dabei handelte, lässt sich nicht mehr eruieren, denn mehrere russische Fernsehstationen waren zu diesem Zeitpunkt vor Ort. 
Wie jetzt herauskam, hatte mindestens einer dieser Sender seine später in Russland ausgestrahlte Reportage mit gefälschten Bildern versehen. Die schwedische Zeitung Nyheter Idag wies in ihrer Ausgabe vom 7. März nach, dass das russische NTV eine 42 Sekunden dauernde Sequenz bei Liveleaks geklaut hatte. Die Aufnahmen zeigten eine Gruppe Jugendlicher, die Molotow-Cocktails auf vorbeifahrende Autos warfen. Diese Bilder stammten jedoch von einem bei Liveleaks am 12. Dezember 2012 veröffentlichten Video von nächtlichen Unruhen im bahrainischen Diraz, die nach dem Tod eines von der Polizei verhafteten 16jährigen ausgebrochen waren.
Auch Tim Pool, bekannt geworden als einer der Videofilmer, die die Proteste von »Occupy Wall Street« per Livestream zu weltweit beobachteten Ereignissen machte, trug zur Besessenheit der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung mit Rinkeby bei. Bezahlt wurde seine Reise nach Schweden von Paul Joseph Watson, einem Mitarbeiter der rechten Verschwörungsplattformen »Infowars« und »Prison Planet«, wie Pool freimütig zugab. Er enttäuschte seinen Finanzier nicht: »Maskierte junge Männer« hätten ihn angebrüllt, twitterte Pool aus Rinkeby am 1. März unter anderem. Dass er sich »massiv bedroht« fühlte, könnte allerdings auch daran gelegen haben, dass Pool weder Schwedisch versteht noch ein Gespür für die Situation in der Stadt hatte – die Polizei stellt die Ereignisse jedenfalls ganz anders dar. Es habe am Tag von Pools Besuch keinerlei Krawalle gegeben, sagte die Sprecherin Frida Nordlöf, die erhöhte Polizeipräsenz sei lediglich dem großen Besucherandrang beim poesiekvällen, dem ­Poesieabend, geschuldet gewesen. Pool habe eine Gruppe Jugendlicher ohne deren Einverständnis gefilmt, woraufhin diese ihre Gesichter mit Schals ­verdeckten. Er sei mitnichten zu seinem eigenen Schutz aus der Stadt eskortiert worden, ihm sei lediglich gesagt worden, dass die schwedische Polizei nicht seine persönliche Bodyguard-Truppe sei und er aufpassen solle, was er tue.
Parachute journalists lautet der englische Begriff für Reporter wie Pool, die ohne jegliches Hintergrundwissen von Krawall zu Krawall reisen. Derzeit ist er unterwegs ins niederländische Rotterdam.