Indonesische Islamisten protestieren gegen den Gouverneur von Jakarta

Politik der Identität

In der indonesischen Hauptstadt Jakarta gehen die Gouverneurs­wahlen in die zweite Runde, deren Ausgang als Indikator für die Präsidentschaftswahlen gilt. Konservative Muslime und Islamisten agitieren seit Monaten gegen den derzeitigen Gouverneur, da er der chinesischen und christlichen Minderheit angehört.

Lokale Wahlen ziehen für gewöhnlich wenig internationale Aufmerksamkeit auf sich. Doch die zweite Runde der Gouverneurswahl in Jakarta am 19. April gilt als Belastungsprobe für Indonesiens Demokratie. Nicht zuletzt weil konservative Muslime und islamistische Bürgerwehren immer entschiedener versuchen, den religiösen Pluralismus und Säkularismus zu untergraben. Der Umgang mit der Frage, ob nichtmuslimische Politiker ein mehrheitlich muslimisches Land regieren können, nimmt dabei besorgniserregende Züge an. Unabhängig davon, wer letztlich die Wahl in der indonesischen Hauptstadt gewinnt, gilt vielen die Gouverneurswahl zudem als Indikator für die nächste Präsidentschaftswahl 2019.

In der Vergangenheit war das Amt des Gouverneurs nicht sonderlich bedeutend, es wurde aber mit einem deutlich gestiegenen Budget wichtiger. Zudem gilt die Position seit dem Aufstieg des früheren Gouverneurs von Jakarta, Joko Widodo, zum Präsidenten als Karrieresprungbrett in der indonesischen Politik. Nach Widodos Wechsel ins Präsidentenamt 2014 übernahm sein Stellvertreter Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, den Gouverneursposten. Er gehört als Christ und Indonesier chinesischer Abstammung gleich zwei Minderheiten an. Im Februar stellte er sich zur Wahl, konnte aber in der ersten Runde mit 43 Prozent der Stimmen nicht die notwendige absolute Mehrheit erzielen. Anfangs waren die Chancen für Ahok sehr hoch, da seine Politik bei der Bevölkerung Jakartas bisher gut angekommen war. Ahok hat sichtliche Erfolge in der Korruptionsbekämpfung, aber auch bei der Verhinderung von Überschwemmungen während der Regenzeit erzielt.

Kritisiert werden jedoch die unter ihm veranlassten Räumungen in Armenvierteln wie Bukit Duri und auch ein von ihm befürwortetes Projekt zur Landgewinnung in der Bucht von Jakarta, das nicht nur sehr teuer wäre, sondern auch negative Folgen für die Umwelt und die lokale Fischerei hätte. Umfragen zu seiner Amtstätigkeit bescheinigen dennoch eine hohe Zufriedenheit der Bevölkerung Jakartas mit dem Gouverneur. Ahok taucht unangekündigt in Verwaltungsstuben und an öffentlichen Orten auf, um den Meinungsaustausch zu suchen. Er ist bekannt für seine direkte Art und soll kein Blatt vor den Mund nehmen. Anders als die meisten indonesischen Politiker beschönigt er nichts.

Es kursieren unzählige »fake news« in den sozialen Medien über angebliche Missetaten von Angehörigen der chinesischen 
und der christlichen Minderheit.

Starken Schaden nahm sein Ansehen aber aufgrund eines Gerichtsprozesses gegen ihn wegen Gotteslästerung. Im September 2016 hatte er bei einer Kundgebung seine politischen Gegner kritisiert, da sie sich auf Koranverse bezogen, die sich angeblich gegen die Wahl von nichtmuslimischen Führern aussprechen. Deshalb wurde er wegen Gotteslästerung angeklagt. Zudem kam es im November und Dezember vergangenen Jahres in Jakarta zu islamistischen Massendemonstrationen, bei denen gegen Ahok Stimmung gemacht und seine Inhaftierung gefordert wurde.
Der Ausgang des Gerichtsverfahrens ist noch unklar, allerdings kam es in jüngster Vergangenheit häufiger zu Verurteilungen als zu Freisprüchen bei vergleichbaren Fällen. Die Höchststrafe beträgt fünf Jahre Gefängnis. Die relevanten Paragraphen 156 und 156a des indonesischen Strafgesetzbuches und das Gesetz zu elektronischer und Informationsdatenübertragung von 2008 lassen vielerlei Interpretationen zu. Dieser allzu große Spielraum wird von konservativen Gruppen immer häufiger genutzt, um gegen politische Kontrahenten vorzugehen, die sich wiederum mit Gegenanzeigen wegen Verleumdung zu wehren wissen. Derzeit liefern sich die Gegner und Unterstützer Ahoks einen endlosen Schlagabtausch von Klagen und Gegenklagen. Viele Beobachter fürchten, die Justiz könnte aus Furcht, die politische Unterstützung konservativer Kreise zu verlieren, Ahok verurteilen.

Obwohl ein Blasphemievorwurf in einem säkularen Staat wie Indonesien keine ausschlaggebende Rolle spielen sollte, bleibt er doch unter den derzeitigen Umständen in den Händen der Gegner Ahoks ein wirksames Mittel, um gegen ihn und seine vergleichsweise progressive Politik vorzugehen. Indirekt zielt der Angriff auch auf Präsident Joko Widodo, der bis 2014 Ahoks Vorgesetzter war. Beide Politiker stehen für eine Politik der Erneuerung, die auf good governance, Transparenz und Säkularismus setzt und die sich so von den klientelistischen Machenschaften der alteingesessenen Politikerdynastien absetzt. Letztere fürchten um ihren Einfluss und ihren Zugriff auf öffentliche Kassen, so dass sie sich nicht zu schade sind, konservative muslimische Gruppen und sogar radikale islamistische Bürgerwehren für ihre Machtspiele einzuspannen.
Bei der bevorstehenden Stichwahl treffen Ahok und sein Vizekandidat Djarot Saiful Hidayat auf Anies Baswedan, den ehemaligen Bildungsminister, und dessen Partner Sandiaga Uno, einen Geschäftsmann. Das dritte Kandidatenpaar, bestehend aus Agus Harimurti Yudhoyono, dem Sohn des vorherigen Präsidenten, und der Bürokratin Sylviana Murni, wird nicht mehr antreten, da es in der ersten Runde weniger als 18 Prozent der Stimmen erzielte. Wie sich dieses Stimmen nun auf die beiden übrigen Paare verteilen werden, ist schwer vorauszusagen. 

Bisher dominierte in den Wahlkampagnen die Identitätspolitik. Ahoks Kontrahenten betonten ihre religiöse Pietät und suchten die öffentliche Nähe von muslimischen Klerikern und Verbänden. Die eigentlich wichtigen Probleme, die dringend notwendigen Neuerungen in Bereichen wie Stadt- und Verkehrsplanung, Stauverringerung, Müllbeseitigung und im Umgang mit Bewohnern informeller Siedlungen kommen viel zu kurz. Statt sachlicher Argumente werden Gerüchte verbreitet. Es kursieren unzählige fake news in den sozialen Medien über angebliche Missetaten von Angehörigen der chinesischen und der christlichen Minderheit. Erstere gehörte zu den Opfern der antikommunistischen und antichinesischen Massaker in Indonesien in den Jahren 1965 und 1966. Das kollektive Trauma sitzt immer noch tief und auch die Erinnerungen an die antichinesischen Pogrome von 1997 und 1998 sind noch nicht verblasst.

Auch muslimische Unterstützerinnen und Unterstützer Ahoks werden das Ziel von Hetze. In mehreren Stadtteilen Jakartas verkündeten einige Tage lang Banner vor Moscheen, dass Bestattungsdienste für muslimische Befürworter Ahoks nicht zur Verfügungen stünden. Die Behörden reagierten umgehend und ließen diese Banner entfernen.