Sven Plöger und die Wissenschaft vom Wetter

Heiter bis wolkig

Sven Plöger moderiert nicht nur das Wetter im Ersten, er ist auch ein wahrer Aufklärer. Ein nachträglicher Geburtstagsgruß.

Die Wettervorhersage im Ersten kennt man vor allem aus der Tagesschau, deren Erkennungsmelodie von großer Wichtigkeit ist. In Anbetracht ihrer Bedeutung vergaß man, dass die von Hans Carste in sowjetischer Kriegs­gefangenschaft komponierten Fanfare aus der Feder eines Mitglieds der NSDAP stammte. Auch beim Wetter bewies man Vergesslichkeit: Als im Mai 1960 erstmals eine Wetterkarte in Benutzung genommen wurde, die den Wetterbricht der Tagesschau seitdem zu den quotenstärksten 60 Sekunden im deutschen Fernsehen erhob, da war es einem doch glatt entfallen, dass Deutschland seit einiger Zeit nicht mehr in den Grenzen von 1937 existierte. Als man die Karte in den Siebzigern endlich ­änderte, heulten die Vertriebenenverbände auf, als müssten sie abermals umziehen. Dabei war der Wetterbericht lange Zeit geradezu eine Angelegenheit von Nerds. Dies zeigte sich nicht nur am Vokabular. Bis in die Neunziger war ein Morsecode am Ende jeder Sendung zu hören, der fragte: »Wie wird das Wetter?«

Plögers Erklärungen zum Wetter bilden einen Beitrag zur Erziehung zur Mündigkeit. Er entreißt das Wetter und dessen Prognose zumindest versuchsweise dem Dunstkreis des Magischen.

Frischen Wind in die Wetteransage brachte das 1990 von Jörg Kachelmann gegründete Unternehmen Meteomedia. Der einstige Lieblingswetterfrosch der Deutschen, dessen Karriere bekanntlich mittlerweile beendet ist, wusste, dass man das Wetter nicht für Fachkollegen ansagt, sondern für Lieschen Müller – weshalb man schließlich beispielsweise von »Blumenkohlwolken« hörte. Jahrzehntelang hatte ausschließlich der staatliche Deutsche Wetterdienst (DWD) die Daten geliefert, die vom Hessischen Rundfunk für das gesamte öffentlich-rechtliche Fernsehen gestalterisch umgesetzt und präsentiert wurden. Seit 2003 lieferte Meteomedia neben der Moderation auch die Prognose. Die vier Moderatoren Claudia Kleinert, Sven Plöger, Karsten Schwanke und Donald Bäcker wurden schließlich von Cumulus Media abgeworben, einer Tochterfirma der Münchner Bavaria-Film-Gruppe (bekannt unter anderem für die Tele­nova »Sturm der Liebe«).

Von diesen vier war es Sven Plöger, der auf Wunsch von Großanteils­eigner Frank-Bernhard Werner als »neue Galionsfigur für die Firma« erkoren wurde. Seitdem moderiert er aus dem Studio 11 der Bavaria im Süden Münchens. Ursprünglich habe er keineswegs vorgehabt, ins Fern­sehen zu gehen, so Plöger. Die Eingliederung der ganzen DDR-Meteo­rologen kurz vor seinem Studienabschluss habe die Berufsaussichten jedoch etwas getrübt. So schlug er zwei Promotionsangebote aus, begann 1996 als Analyst bei Kachelmann zu arbeiten und präsentierte das Wetter für diesen vorerst im ­Radio und seit 1999 auch im Fernsehen, als Spontanvertretung für Kachelmann – die ­Begründung in den Worten seines Chefs: »Du siehst zwar scheiße aus, aber du kannst reden.«

Schon 2010 wurde Plöger auf dem Ex­tremwetterkongress zum »Besten Wettermoderator Deutschlands« ­gekürt. Bis zu zehn Fernsehauftritte absolviert er pro Tag. Der wichtigste ist jener bei den Tagesthemen, obwohl das Wetter auch hier keine zweieinhalb Minuten abbekommt. Plöger verwendet weder Teleprompter noch vorgefertigte Manuskripte – der Wetterbericht ist ein komplett freier Vortrag. Neben einer Eloquenz, die sich an den dümmsten Überleitungen immer wieder neu beweisen muss, zeichnet Plöger ein gehöriges Maß an fachlicher Kompetenz aus. So hielt er während seines unfreiwilligen Auftritts in der stumpfsinnigen Sendung »Verstehen Sie Spaß?«, in der das Team ihm in einer fingierten Live-Schaltung ein ebenso fingiertes ­Unwetter vorspielte, auf seine Daten vertrauend sein Urteil aufrecht und schloss sogar richtig auf einen riesigen Ventilator, der für den unmöglichen Sturm verantwortlich sei. Dagegen weigerte er sich lange und streng, das Wetter für Ostern zu prophezeien.

Das Ressentiment gegen Wetter­bericht oder vielmehr -prognose, das sich in solch absurden Bezeichnungen wie »Meteorolügie« Bahn bricht, hat uralte Wurzeln. Es beruht zu weiten Teilen auf der historischen Verwandtschaft von Wettervorhersage und Magie, Wahrsagerei und Religion. Die aktive Beeinflussung des Wetters ist einer der grundlegenden Menschheitsträume; sei es durch Gebet, Zauber oder »Wolkenimpfen«. Die tatsächliche Entwicklung der Meteo­rologie in ihren scholastischen Grundzügen fiel nicht zufällig zusammen mit der europäischen Wiederentdeckung des Aristoteles. Dieser hatte  die Meteorologie als Einzelwissenschaft gestiftet. Aristoteles bezog sich zwar vor allem auf die Lehre der vier Elemente, erkannte jedoch schon in Grundzügen den Wasserkreislauf in seinen zyklischen und von der Sonne abhängigen Bewegungen. Er bezeichnete die Wolken als meteoros – »hoch im Himmel« – und schied die Meteorologie von der Kosmologie und damit das Irdische vom Überirdischen. Ein wirklicher Fortschritt ließ jedoch noch Jahrhunderte auf sich warten und setzte ernsthaft erst mit der Aufklärung und der damit einhergehenden Erfindung und Anwendung technischer Messgeräte ein.

Eine magische Geheimlehre ist die Wetterforschung und -vorhersage nicht mehr, aber eine sehr komplexe Fachwissenschaft, die nur Spezialisten verstehen oder gar anwenden können. Korrekt heißt sie: synoptische Meteorologie. Der Wetterbericht für den Durchschnittszuschauer ist dabei ein ähnliches Abfallprodukt wie die Teflonpfanne, dessen Material aus der Weltraumforschung stammt. Versicherungen, Landwirtschaft und Transportwesen sind die weitaus gewichtigere Kundschaft, die sich jedoch kaum mit dem Wetter im Ersten begnügen.

Plögers ungewohnt umfassende Begründungen beziehungsweise Er­klärungen der Urteile über das kommende Wetter bilden einen wenn auch äußerst bescheidenen Beitrag zur Erziehung zur Mündigkeit, indem er das Wetter und dessen Prognose zumindest versuchsweise dem Dunstkreis des Magischen entreißt. Es ist ein sympathischer Eingriff in einer Zeit, in der der schärfer werdende Konflikt zwischen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und individueller Allgemeinbildung bewusstlos zugunsten der Ersteren entschieden wird. Weder geht es darum, am längst vergangenen Ideal vom Universalgelehrten festzuhalten, noch darum, dass jeder ein Wetterexperte wird – ein Fünkchen Hoffnung liegt in Plögers Weigerung anzuerkennen, dass sein Fach eh niemand verstehen wird.

Aufklärung ist immer auch ein gewisser alltäglicher (Selbst-)Zwang, solange die Entzauberung der Welt nicht abgeschlossen ist (Wetter) und sich oft sogar in ihr Gegenteil verkehrt (Technik). Zusammen kommt beides in den Wetter-Apps, die nur unzureichende Daten auswerten, während gute Meteorologen ihr Urteil anhand einer großen Datenmenge bilden und erhebliche Fortschritte erzielt haben: »Heute ist die Prognose für den dritten Tag so gut wie 1985 für den Tag von morgen«, sagte Plöger einmal. Um den Restbeständen magischen Denkens und ebensolchen Erwartungen zu begegnen, erstellten Plöger und andere die »Hamburger Erklärung der Meteorologen zum Thema langfristige Wetterprognosen«, in der es heißt: »Deutlich genauere Aussagen für Wochen oder gar Tage und für einzelne Orte sind aus Sicht der Unterzeichner meteorologisch und wissenschaftlich nicht haltbar und schaden dem Ruf aller seriös arbeitenden Meteorologen.«

2002 begann Plöger mit seiner Vortragsarbeit und verfasste zudem ­einige populäre Sachbücher, wobei anzumerken ist, dass er nur ein Buch zum Wetter, hingegen zwei zum Klima und dessen Wandel verfasst hat und auch seine Vorträge zum Klimathema tendieren. Dies wäre unproblematisch, aber man muss wahrlich keine Klimawandelskeptikerin sein, um in dem fiktiven Wetterbericht für den 7. August 2050, den er 2014 in seiner Funktion als ARD-Wetterfrosch ablieferte, eben jenen alarmistischen Beitrag zum Klimawandel zu sehen, den er in seinen Büchern gerade ablehnt. Hierbei wäre energisch auf dem Unterschied von Wetter und Klima zu beharren. In seinem Buch »Klimafakten« bricht Plöger die Begriffe auf das Gröbste herunter: »Wetter ist hier und jetzt, Klima ist immer und überall.«

Die Differenz in der Beurteilung ist, dass die Entwicklung des Wetters »prognostiziert«, jene des Klimas hingegen »projiziert« wird. Hinsichtlich der jeweiligen Erkenntnisse besteht ein gewisses Transferproblem: Ein Wetterexperte ist nicht automatisch Klimaexperte. Auch Plöger forscht nicht über Klima, sondern schreibt und redet darüber. Er mag das gut und richtig tun, trotzdem ist es eine Kapitulation vor der meist ­beschädigten Nachfrage und eine Preisgabe der eigenen Fachautorität. Das Wetter interessiert halt so gut wie niemanden über die Prognose hinaus, das Klima und sein Wandel hingegen sind der Renner. Wer hingegen etwas von Plöger über das Wetter erfahren möchte, lese »Wo unser Wetter entsteht – Eine meteorologische Reise« oder schaue die gleichnamige Dokumentation.

Plögers Interesse für das Wetter, das er selbst als »pathologisch« bezeichnet, richtet sich meist auf die Schönheit des Wetters oder eher des Unwetters. Immanuel Kant spricht hier vom »Erhabenen«, vergisst aber zu erwähnen, dass die Anwendung dieser Kategorie erst auf dem damaligen Stand der Produktivkräfte überhaupt möglich war. Man braucht ­einen gewissen Abstand und Schutz, um Naturgewalten erhaben zu finden, denn niemand wird einer Wüste, die sich in alle Richtungen erstreckt, etwas abgewinnen können, wenn er gerade darin verdurstet. In Kants ­eigenen Worten: »So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist grässlich; und man muss das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist.«

Plöger hingegen sucht gerade die Extreme. Sein größter Traum: »Mit dem Flugzeug ins Auge des Orkans!« Seinen Kindheitsberufswunsch – Pilot – konnte er sich mit Segelflugzeug und Gleitschirm, also im wahrsten Sinne als Light-Version, verwirk­lichen und blieb dem Traum auch dahingehend treu, dass er lange Piloten meteorologisch ausbildete. Am 2. Mai wurde der gebürtige Bonner Sven Plöger 50 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch nachträglich.