Die Privatisierung der Rente geht weiter

In die Armut riestern

Die Privatisierung der Renten geht weiter. Heutzutage geht dies, anders als noch vor 15 Jahren, ohne große öffentliche Diskussion vonstatten.

Die gesetzliche Rente wird weiter geschwächt. Das ist das Ergebnis einer Sitzung des Bundestags, bei der die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD Anfang Juni ein Gesetzespaket verabschiedete, das einige schwerwiegende Veränderungen mit sich bringt. Eines dieser Gesetze ist das sogenannte ­Betriebsrentenstärkungsgesetz. Allzu große öffentliche Aufmerksamkeit gab es dafür nicht, obwohl die Altersarmut dadurch weiter zunehmen dürfte.

Betriebsrenten gelten als zweite Säule der Alterssicherung. Die beiden anderen Säulen sind die klassische umlagefinanzierte gesetzliche Rente (»erste Säule«) und die private Rente (»dritte Säule«) einschließlich der »Riester­rente«. Bei der Betriebsrente gab es bisher fünf verschiedene Varianten. Diese ­erstrecken sich von der direkten Zuständigkeit des Arbeitgebers für die Rente über betriebsübergreifende Pensionsfonds bis hin zu arbeitgebervermittelten Verträgen mit privaten Versicherungsgesellschaften. All diesen ­Finanzierungsmodellen ist gemeinsam, dass der Arbeitgeber für die Gewährleistung und vor allem für eine garantierte Höhe der Rente verantwortlich ist.

Das neue Gesetz fügt jetzt eine sechste Finanzierungsform hinzu. Sie nennt sich »Sozialpartnermodell«. Das Besondere daran ist, dass der Arbeitgeber hier, anders als bei den anderen Varianten der Betriebsrente, keine bestimmte Höhe der späteren Renten­zahlung mehr garantieren muss. Diese Garantie hat bisher viele Firmen davon abgehalten, überhaupt eine Betriebsrente anzubieten. Die Arbeitgeber haften nämlich bei den anderen Varianten, wenn die zugesagte Rentenhöhe nicht erwirtschaftet werden kann, und müssen gegebenenfalls aus eigenen Mitteln zuzahlen. Diese Haftung entfällt bei dem neuen Modell. Hier gibt es nur eine sogenannte Zielrente – das ist eine ­angestrebte Rentenhöhe, die aber nicht garantiert werden muss.

Zwei weitere wichtige Änderungen betreffen alle sechs Finanzierungsmodelle der Betriebsrente. Zum einen können Arbeitnehmer künftig einen doppelt so hohen Anteil ihres Bruttoeinkommens steuerfrei der betrieblichen Altersvorsorge zuführen. Bisher waren es bis zu vier Prozent, künftig dürfen es bis zu acht Prozent sein. Noch höhere Anteile sind – wie zuvor schon – möglich, müssen dann aber versteuert werden. Zum anderen, und das ist viel gravierender, werden Geldbeträge, die in eine Betriebsrente eingehen, künftig nicht mehr auf die ­gesetzliche Rente angerechnet. Bisher musste hierfür, wie auf alle Lohnanteile, ein Beitrag von 18,7 Prozent an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt werden. Der gesetzlichen Rentenversicherung wird dadurch viel Geld entzogen. Die von ihrem Beitrag »befreiten« Arbeitnehmer erhalten später entsprechend weniger gesetzliche Rente. So werden Rentengelder unmerklich von der öffentlichen in private Rentenkassen umgeleitet. Insbesondere Geringverdiener sind dann noch stärker dem Risiko einer niedrigen Altersrente ausgesetzt, da mit der unsicheren »Zielrente« jede Garantie für eine künftige Mindestrente entfällt. Die ­Arbeitgeber müssen künftig zwar bei den Betriebsrenten 15 Prozent drauf­legen, aber das ist weniger als der Arbeitgeberanteil, den sie zuvor an die gesetzliche Rentenversicherung abführen mussten. Im Fall der neuen Finanzierungsform des »Sozialpartnermodells« profitieren sie sogar noch stärker, denn hier winkt ihnen außerdem ein staatlicher Förderzuschuss, bei dem ­ihnen bis zu 30 Prozent ihrer Zuzahlungen vom Staat erstattet werden.

Nicht zuletzt sollen alle Formen privater Rentenversicherungen für Geringverdiener attraktiver werden. Betriebs- und auch private Renten werden nämlich künftig nicht mehr voll auf die Grundsicherung im Alter (das ist eine Mindestrente auf dem Niveau von Hartz IV) angerechnet. Bis zu 204,50 Euro monatlich an Auszahlungen aus privaten Rentenversicherungen sollen anrechnungsfrei bleiben. Dieser Betrag wird laufend den Regelsätzen angepasst: Er soll immer genau die Hälfte der Grundsicherung betragen, die zurzeit bei 409 Euro liegt. Dadurch soll es sich immer und für alle lohnen, privat vorzusorgen. Eigentlich spräche überhaupt nichts dagegen, erworbene Ansprüche auf gesetzliche Rente ebenso vor der Anrechnung auf die Grund­sicherung zu schützen. Das ist aber offenbar politisch nicht gewollt.

Das »Betriebsrentenstärkungsgesetz« beruht letztlich auf denselben Grundsätzen, anhand derer der frühere ­Arbeits- und Sozialminister Walter Riester (SPD) mit der nach ihm benannten Reform vor 15 Jahren die Teilprivatisierung der Altersrente einleitete. Heute wie damals wird der gesetzlichen Rentenversicherung Geld entzogen, um es den Kapitalmärkten zuzuführen. Sowohl private Rentenversicherungen als auch sämtliche Finanzierungsmodelle der Betriebsrente sind nämlich kapitalmarkt­abhängig, weil das angesammelte Geld gewinnbringend angelegt werden muss, um die Beträge für die künftigen Rentenzahlungen zu erwirtschaften.

Damit geht die Privatisierung der Rente weiter. Hochgerechnet handelt es sich für die gesetzliche Rentenversicherung um Milliardensummen, die künftig der privaten Versicherungswirtschaft zufließen. Angesichts der schlechten Kapitalmarktlage mit ihren historischen Niedrigzinsen, an denen sich in absehbarer Zeit wenig ändern dürfte, wird die Gesamtrente am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit spürbar niedriger ausfallen als bisher. Selbst Arbeitnehmer, die gar keine Betriebsrente zahlen, werden hierdurch benachteiligt, denn vermittelt über die Rentenabsicherungsformel führen fehlende Einzahlungen zu Leistungsminderungen für alle Versicherten.

Dabei sind Betriebsrenten eigentlich ein Anachronismus, denn die Zeiten, in denen ein Beschäftigter sein ganzes Leben bei ein und derselben Firma ­arbeitete, sind schon lange vorbei. Aber wenn es um die Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge geht, scheinen solche Bedenken niemanden zu interessieren.

In das Gesamtbild passt übrigens auch die erstmalige Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für die Riester-Rente seit ihrer Einführung. Und das, obwohl diese Form der Rente allgemein als gescheitert gilt, weil hier sehr viele Versicherte durch hohe Provisionen viel Geld an die Versicherungsgesellschaften verlieren und dadurch mehr draufzahlen, als sie am Ende herausbekommen. Außerdem hat noch nicht einmal die Hälfte aller dafür in Frage kommenden einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. Die Grundzulage für die Riester-Rente wächst von derzeit 154 Euro im Jahr auf künftig 175 Euro, die Kinderzulage bleibt unverändert. Auch das wurde am 1. Juni beschlossen.