In Venezuela wird auch nach der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung die gesellschaftliche Polarisierung zunehmen

Maduros Stimmwunder

In Venezuela werden sich auch nach der umstrittenen Wahl zur verfassunggebenden Versammlung die gesellschaftlichen Konflikte weiter zuspitzen.
Kommentar Von

Nicolás Maduro inszeniert sich als Sieger. Dies sei »das beste Ergebnis in 18 Jahren bolivarianischer Revolution«, frohlockte der venezolanische Präsident am Abend des 30. Juli. Zuvor hatte der Nationale Wahlrat (CNE) mitgeteilt, dass sich an der umstrittenen Wahl zur verfassunggebenden Versammlung mehr als acht Millionen Menschen beteiligt hätten – 41,5 Prozent aller Wahlberechtigten. Die ­Opposition, die bei einer inoffiziellen Volksbefragung zwei Wochen zuvor nach eigenen Angaben gut 7,5 Millionen Menschen gegen die Regierung mobilisierte, sah das erwartungsgemäß anders. Es seien »nicht einmal drei Millionen« gewesen, behauptete der ehemalige Präsidentschaftskandidat ­Henrique Capriles.

Die rechte und die linke Opposition hatten die Wahl zuvor abgelehnt und keine eigenen Kandidaten aufgestellt. Die entscheidende Frage war also, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen würde. Die Angaben des CNE geben allerdings gehörigen Anlass zum Zweifel. Verschiedenen Umfragen zufolge unterstützen nur noch 25 Prozent der Bevölkerung Maduros Präsidentschaft, zwischen 70 und 90 Prozent lehnten die verfassunggebende Versammlung ab. Und selbst Maduros Vorgänger Hugo Chávez gewann bei keiner Wahl oder Abstimmung acht Millionen Stimmen. Ohne Zweifel gab es sozialen und politischen Druck auf Staatsangestellte und Begünstigte der Sozialprogramme. Ob dies allein die Höhe der Wahlbeteiligung erklärt, ist fraglich.

Maduro hat zwar gezeigt, dass er selbst gegen heftige Widerstände seine Positionen intern durchsetzten kann. Die rechte Opposition hingegen muss zähneknirschend eingestehen, dass sie nach vier Monaten permanenter Proteste, bei denen bereits über 100 Menschen ums Leben kamen, kaum etwas erreicht hat. Doch die Wahl stellt für die Regierung keineswegs den gewünschten politischen Befreiungsschlag dar. Vielmehr werden sich die gesellschaftlichen Konflikte weiter zuspitzen.

Es gibt viele Probleme in Venezuela, die dringend angegangen werden müssten. Dazu zählen etwa die Wirtschafts- und Versorgungskrise, Korruption und Gewalt. Für all dies wäre ein ernsthafter Dialog unter Einbeziehung diverser gesellschaftlicher Gruppen ­nötig. Von der verfassunggebenden Versammlung sind diesbezüglich aber keine Lösungen zu erwarten. Im Gegenteil: Vieles deutet ­darauf hin, dass die Regierung kompromisslos einen autoritären Kurs durchsetzen wird. Maduro und andere hochrangige chavistas haben bereits angekündigt, dass sich die Versammlung zunächst darauf konzentrieren soll, das von der Opposition dominierte ­Parlament und die mittlerweile regierungskritische Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz abzusetzen.

Es geht der Regierung, die in weiten Teilen der Gesellschaft jegliche Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, also vor allem um Machterhalt. Dieses Ziel zeichnete zwar auch den 2013 verstorbenen Hugo Chávez aus. Doch mobilisierte dieser stets gesellschaftliche Mehrheiten für seine politischen Ziele. Was auch immer die verfassunggebende Versammlung nun tun wird, an den anstehenden Wahlen sollte nicht gerüttelt werden. Noch dieses Jahr müssen die längst überfälligen Regionalwahlen stattfinden, Ende kommenden Jahres dann die Präsidentschaftswahl auf möglichst transparente Art und Weise. Ansonsten ist die venezolanische Demokratie Geschichte.