»Fake news« und die Parallelwelt der populistischen US-amerikanischen Rechten

Meine Welt, mein Präsident, meine Fakten

Mit »fake news« konstruieren die Unterstützer und Anhänger Donald Trumps aus ihren Ressentiments eine Parallelwelt. Realitätsverlust und Verrohung sind die Folge.

Wer im Journalismus oder in der Politik die Absicht hat, die öffentliche Meinung zu manipulieren, verfügt über zahlreiche Möglichkeiten. Mit der ­Auswahl von Nachrichten und Themen etwa kann ein Problem hervorgehoben oder verdrängt werden, die Wortwahl kann dramatisieren oder besänf­tigen, der gezielt eingesetzte human touch kann emotionalisieren. Auch ohne manipulative Absicht ist Objektivität ein Mythos, da Politik und Pub­lizistik entweder dem Mainstream folgend »nationale Interessen« vertreten und sich an einem gesellschaftlichen Konsens orientieren oder als Dissidenten eigene Ziele verfolgen.

Aufgrund der immer schnelleren Abfolge der Entlassungen hoher Amtsträger wird der Kreis der Getreuen enger, das Amtsenthebungs­verfahren rückt näher.

Jede ernstzunehmende Kritik am Umgang von Politik und Medien mit der Wahrheit muss jedoch berücksichtigen, dass in demokratischen Staaten beide den Zwängen des Kapitalismus unterliegen. Medien und Politiker müssen sich verkaufen und deshalb auf die Wünsche der Kundschaft eingehen. Deshalb ist die Lüge, die bewusste Falschinformation – nicht zu verwechseln mit Propaganda (»Wir bauen die besten Autos der Welt«) oder ideologischer Verblendung (»Unser Finanzsystem ist stabil«) – sehr selten geworden. Zu groß ist das Risiko geworden, erwischt und somit diskreditiert zu werden.

Früher nutzte man fake news, um ­politische Maßnahmen zu legitimieren oder dem erwünschten Weltbild der Bürgerinnen und Bürger widersprechende Fakten zu konterkarieren. Sie wurden in den Mainstream-Medien bereitwillig kolportiert. So behauptete die US-Regierung 1964, nordvietname­sische Schnellboote hätten US-Kriegsschiffe angegriffen (»Zwischenfall von Tonkin«); der Kongress erteilte daraufhin fast einstimmig die Genehmigung für einen Kriegseinsatz. Der ­Verdacht, dass die NSA hier fake news produziert habe – der US-Geheimdienst gestand dies 2005 ein –, kam schnell auf, doch überprüfen konnte die Fakten damals zunächst niemand.

Die Erfindung solcher Propagandalügen galt als schmutziges Geschäft, das in einem höheren Interesse nun einmal erledigt werden musste. Die Erwartung, nicht überführt zu werden, war die Voraussetzung für die Verbreitung von fake news, da sich während des Kalten Krieges beide Seiten noch auf ein und dieselbe Wirklichkeit beriefen. Als patriotischer US-Amerikaner war man stramm antikommunistisch und glaubte seiner Regierung. Aber man ­reagierte auf Beweise. Als Daniel Ellsberg 1971 in den »Pentagon Papers« die Tonkin-Lüge und andere fake news als solche enthüllte, trug diese erheblich zum Rückzug der USA aus Vietnam bei. Da Leaks mittlerweile eher die ­Regel als die Ausnahme sind und Smartphone-Bildmaterial auch aus den ent­legensten Winkeln der Welt sofort die Öffentlichkeit erreicht, verzichten ­umsichtige Politiker auf fake news.

Im Milieu der populistischen und extremen Rechten gelten nun jedoch ­andere Regeln. Man stört sich nicht daran, dass man der Lüge überführt wird, schwindelt dreist weiter und beschimpft jene, die auf die Wahrheit hinweisen. Ein augenfälliges Beispiel war Trumps Behauptung, 1,5 Millionen Zuschauer seien am 20. Januar zu seiner Amtseinführung gekommen. Als diverse Medien diese Behauptung ­unter anderem mit detaillierten Fotostrecken widerlegten, sagte Trumps ­Beraterin Kellyanne Conway, hier gehe es nicht um Unwahrheiten, sondern um »alternative Fakten«. Anfang Februar begründete sie dann die Notwendigkeit von Einreisebeschränkungen mit dem »Bowling Green massacre« – das nie stattgefunden hat.

Dieses Verfahren erscheint auf den ersten Blick irrational. Muss man angesichts des real existierenden islamis­tischen Terrors Anschläge erfinden? Hätte Trump nicht sagen können, die wahrhaft patriotischen US-Amerikaner, Farmer aus Kansas und Stahlarbeiter aus Ohio, mieden den Sumpf des korrupten Washington? Doch die populi­stische und extreme Rechte konstruiert sich eine Phantasiewelt, in der alles ­ihren Ressentiments entsprechen muss. Fake news dienen hier nicht mehr nur zur Legitimierung oder Stabilisierung des Weltbilds, sie erschaffen das Weltbild – und das Weltbild erschafft sie.

Fox News arbeitet fleißig an der Produktion der rechten Parallelwelt mit, man findet auf der Website aber auch noch echte Nachrichten. Über Portale wie Breitbart oder Infowars hingegen betritt man eine andere Welt. Das wohl wichtigste Merkmal dieser Medien ist, dass sie ausschließlich Themen präsentieren, die für den Gefühlshaushalt der Trump-Anhänger relevant sind. In dieser Parallelwelt existieren nur gewalttätige Muslime und Migranten, fremde Länder, die die USA betrügen, männerhassende Feminazis, kriminelle und intrigante Demokraten, die Trump etwas anhängen wollen, und Finanziers, die das alles bezahlen und die als Juden zu kennzeichnen man noch ­vermeidet.

Faschistische Gruppen und rechtsesoterische Sekten, die in einer solchen selbstgebastelten Parallelwelt leben, gibt es schon lange. Nun aber ist der rechtsextreme Wahn zu einer Massenbe­wegung geworden – und sein höchster Repräsentant sitzt im Weißen Haus. Für ihn sind fake news unerlässlich, anders kann er sich etwa der mittler­weile erdrückenden Beweise, die Mitarbeiter seiner Wahlkampagne mit Russland in Verbindung bringen, nicht erwehren.

Während des Kalten Krieges konnte der Antikommunismus zur Paranoia gesteigert und der Anteil der hochgerüsteten USA an den Spannungen in der Weltpolitik ignoriert werden. Immerhin aber gab es eine ebenfalls hochgerüstete Sowjetunion mit einer nicht weniger paranoiden Führung. Eine Armee messerschwingender Mexikaner, die US-amerikanische Frauen aufschlitzen wollen, gibt es hingegen nicht. Das paranoide Weltbild der extremen Rechten hält einer rationalen Überprüfung nicht stand. Deshalb sind seriöse konservative Medien wie das Wall Street Journal nicht gefragt und eher Gegenstand der Kritik; so be­klagte sich Breitbart über dessen »globalistischen Sirenengesang«.

Berufspropagandisten wie Stephen Bannon und Alex Jones, ebenso wie die unzähligen Amateure, die bei der ­Produktion von fake news mitmachen, wissen, dass sie Unwahrheiten verbreiten. Die meisten Trump-Anhänger wissen, dass sie Unwahrheiten konsumieren – noch. Wenn die Lüge aber nicht mehr nur ein gelegentlich genutztes Mittel zum Zweck ist, sondern fake news unverzichtbare Säulen des Weltbilds werden, das in immer neuen Details mit weiteren, immer dreisteren Lügen ausgeschmückt wird, setzen Realitätsverlust und Wahrnehmungsstörungen ein.

Wie gefährlich diese Entwicklung ist, verdeutlicht ein historisches Beispiel, das auch zeigt, dass fake news nicht allein ein Problem der Rechten sind. Vor 80 Jahren endeten in der Sowjetunion die Moskauer Prozesse, in denen fast die gesamte alte Führungsschicht der Bolschewiki aufgrund von fake news-Anklagen wegen der Arbeit für ausländische Geheimdienste und Sabotage verurteilt wurde. Eine unvermeidliche Folge war, dass ein schlechtes Licht auf die Oktoberrevolution und die KP fiel. Sie waren ja offenbar von zwielichtigen Gestalten geführt worden, die Stalins Staatsanwälte nun als »tollwütige Hunde« bezeichneten. Eine Lüge machte die nächste erforderlich. Der Hauptangeklagte Trotzki musste aus dem Bild der Oktoberrevolution herausretuschiert, die Rolle Stalins maßlos übertrieben werden.

In der Sowjetunion musste Glauben vortäuschen, wer überleben wollte. Nicht so im Ausland. Dort dürften die meisten parteitreuen Kommunisten in den Moskauer Prozessen anfangs eine schmutzige Arbeit gesehen haben, die zur Stärkung der Sowjetunion notwendig sei. Mit dem Gebäude der Lügen wuchs notgedrungen ihre Glaubensbereitschaft. Dann setzten Realitätsverlust und Wahrnehmungsstörungen ein, so dass jede Form von Dissidenz ganz selbstverständlich als Agententätigkeit galt. Dieser Prozess war eine rite of passage, ein Übergangsritual. Stalin hatte sich am Allerheiligsten, der Oktoberrevolution, vergriffen und deren historische Anführer hinrichten lassen. Wer bereit war, ihm nach diesem Schritt weiter zu folgen, hieß auch jedes weitere seiner Verbrechen gut, und sei es ein Pakt mit Hitler.

Anders als Stalin hat Trump nicht die Möglichkeit, seine fake news mit Hilfe eines straff organisierten Einparteienregimes als Staatsdoktrin durchzusetzen. Er ist nicht Urheber, sondern Profiteur einer gesellschaftlichen Bewegung, die die weiße Vorherrschaft und das klassische Patriarchat wiederherstellen will, und baut nun im Zusammenspiel mit dieser Basis eher instinktiv als strategisch durchdacht das Lügengebäude weiter auf. Dennoch gibt es erstaunliche Parallelen zum stalinistischen rite of passage.
Trump hat sich am Allerheiligsten des Konservatismus vergriffen. Er bricht in Wort und Tat mit dem Anstand, verhöhnt die staatlichen Institutionen und zumindest engste Gefolgsleute ­haben mit einer ausländischen Macht zusammengearbeitet, wahrscheinlich konspiriert. Richard Nixon war im Vergleich ein Ehrenmann. Jenen Anhängern Trumps, die ihm bis heute folgen – es sind Gallup zufolge noch immer 38 Prozent der US-Bevölkerung –, muss unterstellt werden, dass sie auch schlimmere Verbrechen gutheißen werden. Der Trend zur Verrohung jedenfalls ist unverkennbar.

Am Freitag voriger Woche nannte Trump in einer Rede vor Polizisten in Long Island Latino-Gangmitglieder »Tiere«, forderte, Festgenommene zu misshandeln, und kündigte an, die ­Polizei verstärkt mit Kriegswaffen auszustatten. Drei Tage zuvor hatte er in Youngstown gesagt, dass »diese Tiere« – Gangmitglieder – »keine Schusswaffen benutzen, weil das nicht schmerzhaft genug ist. Sie nehmen ein junges, schönes Mädchen, 16- oder 15jährig, (…) und schneiden sie in kleine Stücke. Das sind die Tiere, die wir so lange ­beschützt haben.«

In dieser Schilderung findet wohl der Sexualsadismus Trumps und vieler seiner Anhänger einen Ausdruck, der auf gefährliche Ausländer projiziert wird. Die fake news werden zum fake narrative und kulminieren mit der rassistischen Hetze zum Feindbild. Der ­Latino-Nachbar wird zum Invasoren, der nur auf die richtige Gelegenheit wartet, sein Messer zu ziehen. Soll man darauf warten, nur weil eine von den ­liberals weichgespülte Gesetzgebung und die political correctness dies verlangen?

Bürgerliche Demokratie und rechtsextreme Parallelwelt sind unvereinbar. Die Ermittlungen wegen der Russland-Connection und Trumps Unfähigkeit, eine ernstzunehmende Regierungstätigkeit zu entfalten, zwingen ihn zur Flucht nach vorn: noch mehr Bigotterie, noch mehr Hetze, um die Fans bei Laune zu halten.
Dadurch und aufgrund der immer schnelleren Abfolge der Entlassungen hoher Amtsträger wird der Kreis der Getreuen enger, das Amtsenthebungs­verfahren rückt näher. Freiwillig aber werden Trump und seine Anhänger das Feld nicht räumen, noch die stichhaltigsten Beweise werden sie als fake news abtun. Da die staatlichen Institutionen offenbar funktionsfähig bleiben, dürften die USA in der Lage sein, diese Herausforderung zu bewältigen. Die rechtsextreme Parallelwelt aber dürfte gefährlich bleiben.