Der Animationsfilm Film »Teheran Tabu« zeigt die alltäglichen Abgründe der »Islamischen Republik«

Stadt der Verbote

Der Animationsfilm »Teheran Tabu« erzählt vom repressiven Alltag im Iran.

Nachts, irgendwo in Teheran. Eine verschneite Straße aus der Perspektive eines Autofahrers. Am Straßenrand tauchen Frauen auf, sie winken vorsichtig. Der Fahrer holt sich eine von ihnen ins Auto und bezahlt für einen Blowjob. Die Frau hat ihren kleinen Sohn dabei.

Während sie vorne ihrer Arbeit nachgeht, sitzt das Kind auf der Rückbank. Plötzlich wird der Freier wütend und schreit: »Hinterhältiges Luder!« Anlass des Ausrasters ist seine Tochter, die händchenhaltend mit ihrem Freund den Bürgersteig entlang spaziert. Vor lauter Ärger über ihr sittenwidriges Verhalten konzentriert der Mann sich nicht mehr auf den Straßenverkehr und verursacht einen Unfall. Mit dieser verstörenden Szene beginnt der animierte Spielfilm »Teheran Tabu«, sie deutet damit schon mal an, worum es in den folgenden 90 Minuten gehen wird: Prostitution, Doppelmoral, Unterdrückung der Sexualität sowie die Rolle der Frau im Iran.

Ein aufwühlender Auftakt. Zugleich drängt sich ein Verdacht auf: Will hier jemand unter dem Deckmantel kritischer Gesellschaftsbetrachtung billige Schockeffekte erzielen? Den Voyeurismus der Zuschauer bedienen? Diese Befürchtung erweist sich als ungerechtfertigt. Ali Soozandeh, der im Iran aufwuchs und mittlerweile in Deutschland lebt, wird in seinem Langfilm-Debüt gerne deutlich; er nimmt aber die Themen und seine Figuren in all ihrer Widersprüchlichkeit ernst. Mit seinem Episodenfilm ermöglicht er einen Einblick in den repressiven Charakter der iranischen Gesellschaft. Und er zeigt, welche Schlupflöcher es trotz allem gibt.

In Teheran hätte er den Film nicht drehen dürfen, im besten Fall wäre er des Landes verwiesen worden. Andere iranische Regisseure wichen zu Dreharbeiten nach Marokko oder Jordanien aus, aber Soozandeh wollte das nicht. Seiner Einschätzung nach hat jede Stadt ihr ganz eigenes Ambiente, das sich nirgendwo anders herstellen lässt. Deshalb entschied er sich für das Rotoskopie-Verfahren. Bei diesem werden die Szenen zunächst mit Schauspielern vor einem Green Screen gedreht, die Bilder anschließend am Computer nachgezeichnet und in animierte Hintergründe eingefügt. Dieser Stil hat Stärken und Schwächen: Einerseits schafft das Verfahren eine Distanz zum Geschehen, weil auf der Leinwand keine Menschen aus Fleisch und Blut zu sehen sind, sondern eine Art Zwischenwesen aus Mensch und Zeichnung. Andererseits bietet diese Form der Animation eine gewisse Offenheit und Unvollkommenheit, die dazu anregt, die Bilder im Kopf zu vervollständigen.

Im Zentrum der Geschichte stehen vier Figuren. Da ist zunächst die Prostituierte Pari (Elmira Rafizadeh). Ihr Mann sitzt im Gefängnis, zahlt keinen Unterhalt und weigert sich, in die Scheidung einzuwilligen. Ein Richter verspricht Pari, sich für sie einzusetzen – gegen regelmäßige sexuelle Dienste. Er mietet für sie eine Wohnung, in die Pari mit ihrem Sohn einzieht. Schnell freundet sie sich mit ihrer Nachbarin Sara (Zahra Amir Ebrahimi) an. Diese lebt mit ihrem Mann und ihren Schwiegereltern zusammen, leidet unter dem religiösen Muff und dem strengen Regiment ihrer Schwiegermutter. Ein Leben als gehorsame Hausfrau ist nicht in ihrem Sinne. Sie bewirbt sich deshalb auf eine Stelle, erhält sie, aber ihr Ehemann unterschreibt die Einverständniserklärung nicht.

Ali Soozandeh wird in seinem Langfilmdebüt gerne deutlich; er nimmt aber die Themen und seine Figuren in ihrer Widersprüchlichkeit ernst.

Schräg gegenüber im Studentenwohnheim wohnt Babak (Arash Marandi), ein experimentierfreudiger Musiker, der für seine Songs keine Veröffentlichungserlaubnis bekommt. Zu unislamisch sei seine Musik. Bei einer Party in einem Club nimmt er Drogen und hat auf der Toilette Sex mit Donya (Negar Mona Alizadeh). Für die Frau ist das eine Katastrophe. Denn sie heiratet in acht Tagen und muss als Jungfrau in die Ehe gehen. Sie verlangt von dem mittellosen Musiker, dass er die Operation zur Wiederherstellung des Jungfernhäutchens bezahlt. Die ist aber ohnehin nur möglich, wenn ein Arzt bestätigt, dass es durch einen Unfall oder eine Vergewaltigung zur Entjungferung gekommen ist.

Das klingt nach Stoff für mehrere Filme, aber Soozandeh verliert nie den Überblick und verknüpft die Episoden geschickt miteinander. Dabei gibt es trotz der ernsten Themen auch zahlreiche humorvolle Szenen. »Schwarzer Humor gehört zum ­Alltag im Iran«, sagt der Regisseur. »Man erzählt sich Witze, um über den Tag zu kommen. Sonst wäre das Leben für viele Menschen uner­träglich düster. Das sollte sich im Film widerspiegeln.«

Soozandeh kam 1970 in der iranischen Stadt Schiras zur Welt. Als junger Mann studierte er Kunst in Teheran und wanderte 1995 nach Deutschland aus. Hier sah er bessere Möglichkeiten, um als Filmemacher zu arbeiten. Mittlerweile ist er deutscher Staatsbürger und hat sich auf Animationen spezialisiert. Die Idee zu »Teheran Tabu« kam ihm, als er in der Bahn ein Gespräch zweier in Deutschland lebender Iraner mithörte. Sie sprachen über ihren Urlaub in Teheran, über Partys und Mädchen. »Ich lebe nun schon so lange in Deutschland, aber meine Zeit im Iran trage ich immer mit mir herum«, sagt Soozandeh. »Viele Fragen habe ich permanent im Kopf. Wie haben die Beschränkungen der Freiheit unser Leben genau beeinflusst? Was machen sie aus den Menschen? Ich habe sehr unter all dem gelitten. Und auch heute leiden vor allem viele junge Menschen darunter. Ich hielt es deshalb für eine gute Idee, meine Fragen in einem Film zu verarbeiten.«

Die Geschichte ist fiktiv, kann aber einen Ausschnitt der Realität zeigen. Soozandeh ließ eigene Erfahrungen einfließen und unternahm eine umfangreiche Recherche. Er las Blogs und sprach mit seinen im Iran lebenden Freunden und Familienmitgliedern sowie mit Iranerinnen und Iranern, die kürzlich nach Deutschland gekommen sind. Wichtig ist ihm, dass sein Film nicht als Aussage über die gesamte iranische Gesellschaft gedeutet wird. »Der Film spielt ausschließlich in dem Teil der Gesellschaft, der sehr konservativ und religiös geprägt ist.

Wenn Menschen dort Tabus brechen, ist es immer auch ein kleiner Protest gegen die Unterdrückung«, sagt er. »Der Iran ist jedoch entgegen vieler vereinfachender Darstellungen eine kontrastreiche Gesellschaft. Im reichen Norden Teherans zum Beispiel gibt es Villenviertel mit Pförtnern, Pools und Privatstraßen. Dort haben die Menschen mehr Freiräume, das gesellschaftliche Klima ist moderner und am westlichen Lebensstil orientiert.«

Der Film lief schon in einigen Ländern und auf Festivals, unter anderem in Cannes. Soozandeh stellte sich mehrmals den Fragen der Zuschauer. »Es waren immer auch Iraner im Publikum«, erzählt er. »Einige von ihnen fanden den Film gut, aber es gab auch jedes Mal die gleiche Art von negativen Stimmen. Die unzufriedenen Zuschauer fürchten, dass der Film dem iranischen Image schade. Das ist leider ein Teil unserer Kultur: Wir wollen uns nach Außen immer so gut wie möglich darstellen, eine schöne Fassade zeigen. Deshalb wird jegliche Kritik, die vielleicht auch diese Zuschauer haben, nicht laut ausgesprochen. Ich hoffe sehr, dass sich das eines Tages ändert.«

 

Teheran Tabu (Deutschland/Österreich, 2017). Buch/Regie: Ali Soozandeh, Dar­steller: Elmira Rafizadeh, Zahra Amir Ebrahimi, Arash Marandi. Filmstart: 16. November