»Screen Memories«, das neue Album von John Maus

Kontrollverlust und Lo-Fi-Charme

Der US-amerikanische Synthpop-Charismatiker John Maus hat mit »Screen Memories« sein viertes reguläres Album veröffentlicht und kommt nun erstmals mit Band auf Europatour.

Drumbeat, Basslauf, Synthie-Einsatz – und am Mikrophon: Mr. John Maus. Mit seinem Album »We Must Become the Pitiless Censors of Ourselves« von 2011 löste Maus einen stetig anschwellenden Lobgesang aus. Dazu veröffentlichte er noch eine ebenso überwiegend gefeierte Sammlung von Outtakes (»A Collection of Rarities and Previously Unreleased Material«, 2012). Danach ist es für ganze fünf Jahre still um ihn geworden. An der Universität von Hawaii promovierte er in dieser Zeit mit ­einer Arbeit zu »Communication and Control« in Politischer Philosophie und beschäftigte sich außerdem mit dem Bau von Modularsynthesizern. Diese kommen nun auf seinem neuen Album »Screen Memories« vermehrt zum Einsatz.

Das eigentümliche, psychedelische Elektropop-Soundgewand von Maus’ Musik hat sich im Vergleich zu seinen früheren Aufnahmen nur unwesentlich verändert. Die Songs sind rhythmisch etwas vertrackter als zuvor, aber beim ersten Hören fällt das kaum auf. Weiterhin greift er, untypisch für das Genre, oftmals auf Kirchentonleitern zurück, was den Liedern bisweilen einen hymnischen Schimmer verleiht. Einen entscheidenden Beitrag zur Strahlkraft der Stücke leistet zudem, ähnlich wie bei der Band Future Islands, die ebenfalls als kleiner Indie-Act beim Londoner Label Upset the Rhythm angefangen haben, der charakteristische, energiegeladene Bariton-Gesang. Während Samuel T. Herrings knarzig-heisere Stimme eine ständige Getriebenheit zum Ausdruck bringt, erscheint Maus’ verhallter, in den Hintergrund gemischter und gerade dadurch enigmatisch wirkender Gesang vielmehr entrückt und doch eindringlich. Eine schweißtriefende Bühnenperformance ist beiden Sängern zu eigen.

John Maus’ Ansatz des Avant-Pop ist indes nicht dazu geeignet, ein breites Publikum anzusprechen, so wie die Future Islands es tun. Vereinzelt wird er sogar nach wie vor in die unsinnigste aller musikalischen Schubladen einsortiert, nämlich unter outsider music. Dort befindet er sich in bester Gesellschaft. Allerdings sagt ein Begriff wie outsider music mehr über seine Benutzer aus als über die Musiker, auf die er gemünzt ist, wie etwa Daniel Johnston oder Moondog (Louis Thomas Hardin).

Zum einen erhalten Musiker ohne klassische Ausbildung, die – natürlich »gut gemeint« – als »Außenseiter« etikettiert werden, ein vergif­tetes Lob, das sie eigentlich abwertet und letztlich besagt, dass ihnen das Zeug für einen Insider des bürgerlichen Kultur- oder Popbetriebs fehle – sei es eben wegen mangelhafter Beherrschung der Instrumente (Dilettantismus) oder wegen des erratischen Auftretens der Musiker (zum Beispiel aufgrund psychischer Erkrankungen). Einen vorgeblichen Außenseiterstatus herauszuheben, zeugt zum anderen schlichtweg von kulturjournalistischer Einfältigkeit: Der Künstler sei irgendwie »verrückt« und damit auch seine ja durchaus fesselnde, »schräge« oder »krasse« Musik.

Speziell in Deutschland hat zudem der Geniekult und damit verknüpft die kitschige Begeisterung für »Genie und Wahnsinn« eine lange Tradition. Dass Musiker wie Johnston oder Hardin einfach hervorragende Stücke geschrieben und produziert haben und ihnen deshalb Aufmerksamkeit gebührt und dass zudem auch die Kulturindustrie immer auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen ist, solange es marktfähig erscheint, dieser triviale Gedanke will so manchem Journalisten nicht einfallen.

In der Bewertung von Musik wird des Öfteren ein vermeintlicher Dilettantismus thematisiert und Virtuo­sität per se geadelt, eine Sichtweise, die spätestens mit den popkulturellen Phänomenen des Punk oder des Hip Hop obsolet geworden sein sollte. In Hinblick auf John Maus und Ariel Pink, in dessen Begleitband Maus lange spielte und in dessen Umfeld er mit seinen Lo-Fi-Aufnahmen begonnen hat, mutet die Zuschreibung noch absurder an, da die beiden sich im Studium der Komposition kennenlernten und anfreundeten. Ihr DIY- beziehungsweise Retro-Ansatz war eine bewusste Entscheidung und keineswegs einem Fehlen von Fertigkeiten geschuldet. Vielleicht ist dieses Spiel mit dem Dilettantischen auch ein Grund dafür, dass ihre Szene unter das stilistische Label »Chillwave« gestellt und des Hipstertums sowie mangelnder »Authentizität« – was auch immer das für ein Qualitätsmerkmal sein soll – verdächtigt wird. Derlei würde Daniel Johnston oder Moondog wiederum keinesfalls attestiert werden.

In seiner Dissertation analysiert John Maus an einigen Beispielen, ­inwiefern klassische, Avantgarde- und Popmusik verschiedene Gesellschaftsformen widerspiegeln und kritisch reflektieren. In den Souve­ränitäts- und anschließend den Disziplinargesellschaften traten die ­autoritären Strukturen und äußeren Zwänge deutlicher zutage, Maus ­untersucht dies anhand der Kompositionsprinzipien von Jean-Philippe Rameau, François-Joseph Fétis, Ludwig van Beethoven und schließlich Arnold Schönberg. Als Grundlage dienen ihm dabei sowohl Jacques Attalis einschlägiger Essay »Noise« zur politischen Ökonomie der Musik als auch Theodor W. Adornos Studien zur sozialen Funktion von Tonalität respektive Atonalität. Hinsichtlich der heutigen Kontrollgesellschaften behandelt Maus unter der Überschrift »Punk Music« – für ihn offenbar ein Synonym für dissidente Populärmusik im Allgemeinen – irritierenderweise Stücke von Ariel Pink, Tangerine Dream und der Motown-Studioband The Funk Brothers. Ob Maus sich auch weiterhin akademisch betätigen wird, ist noch offen. Auf seinem neuen Album tauchen seine gesellschaftskritischen Überzeugungen nur angedeutet in manchen der kurzen, meist abstrakten Songtexte auf.

Im Unterschied zu »Pitiless Censors« fehlen auf »Screen Memories« die markanten, zeitlosen Single-Auskopplungen. Der Opener »The Combine« zieht die Hörer zwar hypnotisch in das Album hinein und die Synthie-Flächen und instrumentalen Melodiebögen werden kontinuierlich intensiver, doch an Songs wie »Believer« und »Cop Killer«, die vor sechs Jahren in zahlreichen Bestenlisten zu finden waren, reichen »The Combine« oder die sentimentale Ballade »Sensitive Recollections« als Einzeltitel nicht heran. In Gänze handelt es sich bei »Screen Memories« aber um ein gelungenes Album.

Die programmierten Beats versprühen immer noch den bekannten Lo-Fi-Charme und sind in ihrem ­organischen, zugleich artifiziellen Rumpeln eher nicht das Richtige für große Bühnen. Daher bleibt abzuwarten, ob die gleichwohl treibende Energie auch in den größeren Konzerthallen funktioniert, die Maus inzwischen bespielt. Derzeit tourt er erstmals mit Band durch Europa, vor allem der Einsatz des Schlagzeugs könnte hier einen signifikanten Unterschied gegenüber den Alben bewirken, vergleichbar etwa den Liveshows der Elektropop-Kollegen von Hot Chip, deren Auftritte aufgrund der ausgeprägten, wuchtigen Rhythmen eine andere Dynamik entfalten als ihre Platten. Ob Vergleichbares nun auch für John Maus gilt, werden die anstehenden Konzerte zeigen.

 

John Maus: Screen Memories (Ribbon Music)