Youssef Rakha, Autor von »Arab Porn«, im Gespräch über Sexualität und den Konsum von Pornographie in arabischen Ländern

»Anzeichen eines Wandels«

Schafft der Porno, was der arabischen Rebellion misslang? Mit dieser Fragestellung nähert sich der in Kairo lebende Schriftsteller und Journalist Youssef Rakha in seinem Buch »Arab Porn« dem ägyptischen Amateursexfilm. Im Gespräch äußert sich Rakha unentschieden: Die Freizügigkeit im Privaten deutet er als zaghaften Fortschritt in einem Land, das politisch immer konservativer wird.
Interview Von

Sie leben in Kairo und haben ein Buch geschrieben, das arabische Pornos im Kontext der Revolution und der darauf folgenden Entwicklung betrachtet. Haben Sie keine Angst, deshalb verfolgt zu werden?
Nein, ich habe keinen Grund zur Angst.

Von hier aus betrachtet, ist das ­erstaunlich.
Nicht wirklich. Leute schreiben und sprechen die ganze Zeit über solche Dinge wie Pornographie. Die ägyptische Gesellschaft ist sehr konservativ ausgerichtet, einschließlich der Medien und Institutionen. Aber im Bereich der Literatur und des Journalismus geht es relativ entspannt zu. Wir leben sicherlich in einer wenig fortschrittsfreundlichen Gesellschaft. Aber es ist ein großes Land. Eine Menge Leute sind sehr gebildet und westlich eingestellt. Es existieren ­zudem auch sozialistische und modernistische Traditionslinien.

Sind die Leute, die in den Pornos zu sehen sind, gefährdet?
Die Gefilmten könnten rechtlich verfolgt werden, aber normalerweise lässt man sie in Ruhe. Das eigentliche Problem ist, dass sie von ihrer Familie, den Kollegen und ihrem Umfeld ausgrenzt werden.

Sie analysieren auch Bildmaterial, das heimlich aufgenommen und gegen den Willen der Beteiligten veröffentlicht wurde. Andere Filme enthalten Szenen aus der Prostitution, bei denen fraglich ist, ob die Beteiligten zugestimmt haben. Den Hauptteil bildet Material, das von den Leuten tatsächlich selbst hochgeladen wurde. Die Zustimmung ist dann vor allem aus den Blicken der Frauen ersichtlich, ihrem Lachen, ihren Gesten.
Ja, aber auch diese Frauen müssen nicht unbedingt dem Upload zugestimmt haben! Ich interessiere mich aber nicht wirklich für diese moralischen Bedenken, wie sie öffentlich geäußert wurden. Der Punkt ist, dass die Pornos trotzdem einen Einblick in das Privatleben der Leute erlauben, in ihre Sexualität.

»Es ist bedauerlich, wie sehr die westliche Linke den reaktionären Islamismus unterstützt. In den islamischen Ländern bleibt der Hijab ein Zeichen des Konformismus.«

Was macht den arabischen Porno interessant?
Es ist gar nicht wirklicher Porno. Das sind alles private Amateurpornos, was irgendwie rührend ist.

Wenn man in großen Pornoportalen das Stichwort »arab« eingibt, stößt man beispielsweise auf die Namen Mia Khalifa und Jasmin St. Claire. Beide leben in den USA. Wo findet man den arabischen Porno, den Sie meinen?
Vor zwei Jahren war das noch ein bisschen einfacher. Heute gibt es mehr kommerziellen Porno mit dem Label »arabisch«. Das arabische Publikum findet das womöglich interessanter als die Sorte von Filmchen, über die ich geschrieben habe. Die erweisen sich womöglich als zu unprofessionell und ineffektiv.

Sie beschreiben Amateurpornographie als Spiegel der ägyptischen Gesellschaft. Wie viel Realität steckt in den Bildern?
Ich halte diese Filmchen für sehr real, doch. Das ist ja gerade, was sie von kommerzieller Pornographie unterscheidet. Natürlich ist das Spiegelbild nie ganz akkurat – es kommt auf die Interpretation an. Kommerzieller Porno würde dagegen die Mythologie von Gesellschaft über sich selbst nähren und nichts offenbaren oder umwälzen.

Porno kann doch nie authentisch sein und auch die Amateurgenres werden kommerziell produziert.
Meistens ist der Unterschied ziemlich eindeutig zu erkennen.

Pornographische Zeichnungen und Malereien haben in der Kulturgeschichte der islamischen Welt eine lange Tradition. Gab es einmal einen sexpositiven Islam?
Ich glaube sogar, dass der Islam sexpositiver ist als das Christentum. Es gibt wirklich eine Menge historisches Material in Schrift und Bild. Aber heute tendieren sogar die aufgeklärtesten Strömungen des Islam zu einer konservativen Agenda.

Wann und warum hat sich das gewandelt?
Das ist eine sehr komplexe Entwicklung. An unterschiedlichen Punkten der Geschichte gab es unterschiedliche Einstellungen. Man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass sich im 19. und 20. Jahrhundert die gegenwärtigen Einstellungen verfestigt haben – zum Teil infolge des Kolonialismus und des Widerstands dagegen.

Der Hijab ist im arabischen Porno manchmal ein gewöhnliches Kleidungsstück, immer öfter aber auch ein Fetisch.
Ja, aber als ich mein Buch abgeschlossen hatte, war er das noch nicht. Bemerkenswert, nicht wahr?

Kann diese Fetischisierung die moralische Aura des Hijab zer­stören?
Ich hoffe es! Der Hijab hat nicht mehr die moralische Autorität wie vor 20 Jahren. Gerade weil jede ihn trägt. Was eine Schande ist, sowohl vom ­religiösen wie vom liberalen Standpunkt.

In feministischen Diskursen des Westen wird der Fetischcharakter des Hijab betont. Zugleich ist es die Strategie von Muslimbruderschaft und anderen jüngeren Strömungen des Islam, mit dem Bild der unabhängigen, sexy und frommen Frau zu werben. Geht die Strategie auf?
Im Westen vielleicht, ja. Es ist ohnehin bedauerlich, wie sehr die westliche Linke den reaktionären Islamismus unterstützt. In den islamischen Ländern bleibt der Hijab ein Zeichen des Konformismus.

Über Fetischismus und Sadomasochismus erfährt man in Ihrem Buch wenig, was womöglich an der Auswahl der privaten Videos liegt. Wie verbreitet sind diese ­Sexualpraktiken?
Sie existieren, aber ich glaube, der Hauptunterschied ist, dass diese Dinge hier nicht in der gleichen Weise benannt und kategorisiert werden.

Sie beschreiben beispielsweise die Objektivierung als mögliches Zeichen des Respekts.
Die westliche feministische Position ist, dass du die Person unterdrückst, wenn du sie zum Objekt des Begehrens machst. Das ist in der arabischen Sexualität nicht der Fall.

Sie konstatieren eine typische Form von inszeniertem Widerstand und Schläfrigkeit. Gibt es die nicht auch im japanischen Porno?
Da ist es anders. Der vorgetäuschte Widerstand in der arabischen Liebe ist kein Fetisch, sondern ein Ausdruck weiblichen Begehrens. Da funktioniert westliche Theorie nicht.

Wie kann der Konsum von Pornographie einen Einstellungswandel befördern?
Selbst die Hizbollah handelt mit Pornographie und auf den Mobiltelefonen von IS-Kämpfern laufen Sexvideos.
Dass Individuen darauf bestehen, eine Art von sexueller Präsenz zu haben, ist schon positiv zu bewerten. Ich weiß nicht, welchen Gesinnungswandel wir erwarten können, aber es ist bereits ein Anzeichen des Wandels, wenn gewöhnliche Menschen außerhalb kommerzieller und »unmoralischer« Sphären auf diese Weise sexuell präsent sind.

Sie bezeichnen die Aktivisten der arabischen Rebellion als nützliche Idioten der Islamisten und des Regimes. Ist die Lage immer noch so schlecht wie unter Mubarak?
In gewisser Weise schlimmer. Das war vielleicht nicht vorhersehbar, aber im Frühjahr 2011 wurde es offensichtlich. Die Islamisten sind heute eine größere Bedrohung für die Redefreiheit als das Regime. Es ist wichtig für die Leute in Europa, den Ernst der Lage hier zu begreifen, und dass man Gewalt anwenden muss. Es ist ja schön und gut über demokratische Ideale und Rechte zu ­reden, aber ganze Länder sind nach dem arabischen Frühling vor die Hunde gegangen.

Wäre es klüger gewesen, nicht ­gegen die Polizei, die Korruption, die Gewalt aufzustehen?
Das ist eine Frage, die man unmöglich beantworten kann. Ich glaube nicht, dass es vermeidbar gewesen wäre, aber vielleicht hätte man sich stärker auf Rechte und Freiheit konzentrieren sollen als auf den regime change.

War denn das eine ohne das andere zu haben?
Ich glaube schon. Wir haben das Regime dreimal gewechselt und die ­Polizei, die Korruption existieren genauso wie vorher – wenn nicht schlimmer.

Hätte der Westen an der Lage Ägyptens etwas ändern können?
Nein. Ich glaube, wir müssen auch aufhören, den Westen als Entität zu sehen und so zu tun, als ob alles aus dem Westen für das Gleiche steht. Es gibt nun einmal nicht so viele Möglichkeiten, die man von extrem komplizierten, geldbasierten Machtstrukturen erwarten kann. Es wäre gut, wenn man sie dazu bringen könnte, keine Waffen mehr herzustellen und zu verkaufen. Allgemein wurde es in der arabischen Welt immer schlimmer, je mehr der Westen interveniert hat. Zum Beispiel der Export von Diskursen über Sexualität und Gender: Die reflektieren die ideologischen Interessen des westlichen Mainstreams und werden ara­bischen Gesellschaften nicht helfen. LGBT-Diskurse bauen auf einer andern Geschichte und Moral auf. Ich rede über kulturelle Spezifik, die viel tiefer und komplexer ist, als der Liberalismus es erlaubt.

Andere sagen, der Westen versuche nicht einmal, wirkliche Aufklärung etwa über Homosexualität zu verbreiten, weil sich auch die westliche Gesellschaft gerade erst von den schlimmsten Formen der Homophobie befreit hat. Wie kann man da von Export ­reden?
Ich rede nicht von Export im engeren Sinne. Aber wir sollten die Dinge nicht nur aus einem westlichen Blick betrachten. Die sexuellen Kategorien der Gender-Theorie treffen häufig nicht den Gegenstand. Wir müssen unsere eigenen Lösungen entwickeln.
Interview: Felix Riedel


Youssef Rakha: Arab Porn. Aus dem Englischen von Milena Adam. Matthes & Seitz, Berlin 2017, 76 Seiten, 12 Euro