Werden Nationalspieler ihre Landesauswahl bald wechseln können?

Der große Austausch

Ein neuer Vorschlag sieht vor, dass Nationalspieler unter bestimmten Bedingungen die Landesauswahl wechseln könnten.

Wenn der Antrag bei der Fifa durchkommt, könnte der Inselstaat Kap Verde den Fußball verändern. Nationalspieler sollen, so der Vorschlag, ihre Landesauswahl wechseln können, auch nachdem sie ein Pflichtspiel in der A-Nationalmannschaft eines Verbands absolviert haben, voraus­gesetzt, ein Spieler kann Vorfahren aus dem betreffenden Land vorweisen oder hat zwei Jahre dort gelebt. Auch mehrfache Wechsel wären dann möglich. Im März 2018 soll die Fifa über den Antrag entscheiden; es ist unwahrscheinlich, dass er abgelehnt wird. Wann hat die Fifa schon jemals einen Vorschlag abgelehnt, bei dem es um gewichtige Interessen und viel Geld ging?

Viel wird jetzt darüber geredet, was das für die WM 2022 in Katar bedeuten könnte. Der große Profiteur der neuen Regelung wäre – das ist ein offenes Geheimnis – der Gastgeber, der sich, ähnlich wie schon im Handball, ein gutes Nationalteam zusammenkaufen könnte. Im Ländervergleich waren, im Gegensatz zum Vereinsfußball, der Macht des Geldes bislang Grenzen gesetzt, was Charme hatte: Eine wirtschaftlich bedeutende Liga wie die englische Premier League konnte Milliarden umsetzen; weil sie über Jahre kaum in den eigenen Nachwuchs investierte, brachte es die englische Nationalelf hin­gegen zu wenig mehr als einer Lachnummer. Länder wie Brasilien und Argentinien, deren Clubfußball marktbedingt zurückgefallen ist, zählen dank ihres großen Spielerpools bei Weltmeisterschaften weiter zum engen Favoritenkreis. Kleine wie Kroatien oder Ghana konnten triumphieren, Große wie Italien können fallen.

Der große Profiteur der neuen Regelung wäre – das ist ein offenes Geheimnis – Katar, der Gastgeber der WM 2022, der sich, ähnlich wie schon im Handball, ein gutes Nationalteam zusammenkaufen könnte.

Nun klingen die etablierten Verbände nervös. »Es darf nicht dazu kommen, dass sich reiche Länder eine Nationalmannschaft einkaufen können. Ein Verbands-Hopping wäre in meinen Augen ein Verstoß gegen den fairen Wettbewerb«, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel. »Ich bin klar dagegen, dass Spieler, die bereits in der A-Mannschaft gespielt haben, noch einmal wechseln können«, so DFB-Manager Oliver Bierhoff. »Dies würde nur unnötig einen neuen Transfermarkt bei den Nationalverbänden auslösen.« In der Schweiz, die in besonderem Maß auf Stars mit Migrationshintergrund wie Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka angewiesen ist, ist die Aufregung noch größer: Was, wenn die plötzlich zurück zu Albanien wechseln? Von dem neuen Transfermarkt könnten Länder wie Katar profitieren, die ­ärmeren allerdings kaum. Die etablierten Reichen wie der DFB hätten keinen schlechten Stand, nur haben sie auch wenig zu gewinnen. Die inter­nationale Hackordnung würde sich wohl kaum ändern. Was sich dramatisch ändern würde, wäre der Markt.

Es gibt nicht viele Staaten, für die es sich lohnt, eine internationale ­Zirkustruppe zusammenzukaufen. Das Land muss so klein sein, dass die Jugendarbeit nicht aussichtsreich genug ist, und gleichzeitig so wohlhabend, dass es sich herausragende Spieler leisten kann. Überdies muss die Bevölkerung akzeptieren, dass ihr Land größtenteils von Ausländern vertreten wird statt von lokalen Helden. International trifft all das fast nur auf Katar zu, in geringererem Maße auf Aserbaidschan, vielleicht noch Saudi-Arabien oder Dubai, wenn ihnen etwas an Fußball als Propagandamittel läge (was bisher nicht der Fall war). Dass sich ein Land ­seine Nationalspieler auf der ganzen Welt zusammenkauft, würde also wohl die Ausnahme bleiben – ein Coup von Katar zur WM 2022, kein langfristiger Trend. Der DFB kann ruhig schlafen. Manuel Neuer geht nicht in die Wüste. Viel größere Auswirkungen könnten Wechsel mittelklassiger Nationalspieler haben, vor allem bei doppelter Staatsbürgerschaft. Wer profitieren würde, ist offensichtlich: Die Nation mit den ­besseren finanziellen und sportlichen Argumenten. Das würde noch mehr Ungleichheit erzeugen.

Wenn Reinhard Grindel davon spricht, die neue Regelung würde den »fairen Wettbewerb« zerstören, ist das im Grunde Hohn. Denn fair war der Wettbewerb zwischen Nationalteams noch nie. Die großen ­europäischen Nationen können sich Nachwuchsförderprogramme leisten, die für die meisten afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Staaten nicht finanzierbar sind. Ehemalige Kolonialmächte haben noch viel deutlicher profitiert: Die erfolgreichsten Teams der Niederländer, Franzosen oder Portugiesen wären kaum denkbar gewesen ohne ihre Stars aus dem Senegal, aus Suriname oder Angola. Diese haben sich nicht nur aus Verbundenheit für die große Nation entschieden, sondern selbstredend wegen der besseren Karriereaussichten. So funktionieren Nationalteams weiterhin. Nani kann mit Portugal Europameister werden, mit Kap Verde wird er nie an einem großen Turnier teilnehmen. Seine Entscheidung ist nachvollziehbar. Eine Wechselregelung, wie sie Kap Verde fordert, würde keinem Underdog mehr Gerechtigkeit bringen. Sie wäre im Gegenteil ein großer Ungerechtigkeitsfaktor: Könnten Nationalspieler abgeworben werden, bräuchte sich kein Kleinstaat mehr Hoffnungen zu machen, seine Stars halten zu können. Das Bieten um Talente wäre eröffnet.

Noch gibt es große Spieler in ­Außenseiterteams. Wenn Pierre-Emerick Aubameyang bei Gabun aufläuft, wenn Claudio Pizarro oder Samuel Eto’o ihre gesamte Karriere für Nationalteams spielten, die nicht ansatzweise ihrer Klasse entsprachen, brachte das ihren Mannschaften Zuschauer, den Länderspielen Attraktivität und den Staaten zumindest einen Hauch von sportlicher Chance. Fiele die Sperre, wäre es erwartbar und verständlich, wenn ein Aubame­yang für einen Haufen Euro für Frankreich aufläuft, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt, oder wenn Deutschland Robert Lewandowski übernimmt, der seit Jahren hier lebt. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Neymar als PR-Gag für Katar aufläuft, und jeder halbwegs talentierte Senegalese, der in Europa spielt, vom Arbeitgeberland wegverpflichtet wird. Der reguläre Transfermarkt könnte sich in abgeschwächtem Maße auf die Nationalteams übertragen. Für die Kar­rieren talentierter Spieler wäre das durchaus wünschenswert. Aubameyang wird im bestehenden System nie Weltmeister werden und niemand kann bestreiten, dass das unfair ist. Aber für die Chancengleichheit der Länder und den Wettbewerb wäre es ein Desaster.

Läge der Fifa etwas an ausgeglichenem Wettbewerb, könnte sie etwa eine Art Steuersystem einführen: Die reichen Nationen leisten Abgaben in einen Fonds, aus dem arme Nationen gestaffelte Anteile erhalten. Die könnten sie in Nachwuchsarbeit, Jugendzentren und Infrastruktur ­investieren. Oft fehlt es schon am Nötigsten, an Bezahlung für den Trainerstab oder einer guten Akademie. Von einer solchen Regelung würden auch die großen Nationen profitieren, in deren Vereinsteams die Nachwuchstalente wandern. Mehrheitsfähig wäre das Konzept nie und das Geld würde wohl in den Taschen korrupter Funktionäre verschwinden, aber es wäre eine Maßnahme, von der kleine Staaten tatsächlich profitieren würden. Mit der möglichen Reform des Nationalteamwechsels käme das Gegenteil. Was nützt ­Samoa ein 45jähriger Tim Cahill, der gnadenhalber für die Inselnation spielt und möglichem Nachwuchs den Platz nimmt? Was nützt Suri­name ein in den Niederlanden durchgefallener Drittklasse-Kicker, der ­zurückkehrt, weil er bei Oranje nun wirklich keine Chance mehr sieht? Und der wieder geht, sobald er drüben bessere Aussichten hat? Profitieren könnten am ehesten Balkan-Staaten, wo Spieler bereit sein könnten, aus Patriotismus auf Titel zu ­verzichten. Vielleicht ist die Sorge der Schweizer um Xhaka und Shaqiri da gar nicht so unbegründet.

In die gleiche Richtung gingen bereits die Reformen der vergangenen Jahrzehnte, als es U-Nationalspielern erlaubt wurde zu wechseln. Seitdem müssen etwa deutschtürkische Nachwuchstalente jahrelang das Buhlen von zwei Nationen über sich ergehen lassen, bevor das erste A-Länderspiel Ruhe bringt. Die Konsequenzen von Deals auch im Erwachsenenbereich wären fatal. Dabei ist der grundsätzliche Vorwurf völlig richtig: Die Ausgangschancen für kleine Staaten sind schlechter. Es regiert das alte Geld aus Europa statt des neuen Geldes aus Katar, aber in jedem Fall das Geld. Ungerecht bleibt es, wie auch immer die Fifa entscheidet. Solange der Fußball Nationenwettbewerbe austrägt, wird sich an ungleichen Standortvoraussetzungen nichts ­ändern lassen.

Doch gerade Katar hätte genug Möglichkeiten, dem zu begegnen. Der Wüstenstaat hat rund 2,7 Millionen Einwohner und damit etwa sieben Mal so viele wie EM-Viertelfinalist ­Island mit seinem vielgelobten Nachwuchsprogramm – müsste allerdings bereit sein, aus dem Pool der Migranten zu schöpfen, die etwa 88 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das nötige Geld dürfte jedenfalls kein Problem darstellen. Ein Weltstar von der arabischen Halbinsel, das wäre doch mal was. Und einen Wettbewerb, in dem Spieler beliebig das Land wechseln können, Teams international zusammengestellt sind und eine Mannschaft der Kataris zum Favoritenkreis zählt, gibt es ja schon. Er heißt Champions League.