Islamistinnen organisieren sich in Netzwerken und rekrutieren politischen Nachwuchs

Salafismus als Frauensache

Die Behörden in Nordrhein-Westfalen beobachten ein Netzwerk von Salafistinnen. Frauen sind für die islamistische Missionierungsarbeit schon seit längerem von zentraler Bedeutung.

Triste Gewänder tragen und beten, beten, beten – der Salafismus ist eine freudlose Angelegenheit. Dennoch hat sich im vergangenen Jahr die Zahl der Personen deutlich erhöht, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als salafistisch einstuft. Waren 2016 noch 9 700 erfasst worden, zählte der Inlandsgeheimdienst 2017 ungefähr 10 800 Salafisten in Deutschland. Hans-Georg Maaßen, der Präsident des BfV, geht von einem »Allzeithoch« aus, an dem sich die »anhaltende Attraktivität der salafistischen Ideologie« zeige. Zwar hätten Ermittlungen gegen islamis­tische Organisationen die sogenannte Straßenmissionierung etwas eingedämmt, aber das ­Milieu weiche erfolgreich auf die sozialen Medien aus.

Vermehrt füllen auch Frauen die Lücken in den Organisationen, die durch Festnahmen oder Auswanderung männlicher Führungspersonen entstanden sind. In Nordrhein-West­falen hat der Verfassungsschutz ein »Schwesternnetzwerk« von 40 Salafistinnen ausgemacht, das vor allem online Missionierungsarbeit leistet. »Die Männer haben gemerkt, dass Frauen viel besser netzwerken können«, sagte der Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, der FAZ. Sie seien Beobachtungen seiner Behörde zufolge »viel stärker in der Lage, die Szene zu binden« und deren Fortbestand zu sichern. »Die Frauen sind mittlerweile Ideologieproduzentinnen«, so Freier weiter. Von früh an indoktrinierten sie ihre Kinder, wodurch »der Salafismus zu einer Familienangelegenheit« werde und »salafis­tische Gesellschaftsteile« entstünden.

Diese Entwicklung ist jedoch nicht neu. »Dies entspricht bestimmten ideologischen Elementen des Salafismus«, sagt Jenny Haas, Mitgründerin der Initiative Salafiya Watch, der Jungle World. In »vermeintlich privaten An­gelegenheiten« werde »sowohl Verantwortung als auch Autonomie« auf Frauen übertragen beziehungsweise ihnen gewährt. Vor allem in arabischen Ländern setzten Konservative schon seit längerem auf die Über­zeugungskraft von Frauen.

Das International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) und das Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London werteten bereits im Jahr 2015 die Online-Arbeit mehrerer Salafistinnen aus und kamen zu dem Schluss, dass die Anwerbeversuche auf einer Mischung aus religiöser Indoktrination und popkulturellen Versatzstücken basierten.

 

Jihad und Kochrezepten

 

Neben martialischem Kitsch (»Nein! Sagt nicht: Wir brauchen keinen Jihad. Denn es gibt kein gutes Leben, ohne dass wir unser Blut opfern«) und abenteuerlichen Berichten über die Ein­reise nach Syrien verbreiteten die Frauen demnach vor allem Alltagsratschläge, etwa dazu, wie man im »Kalifat« leckere Mahlzeiten zubereiten könne. Alles war abgestimmt auf in westlichen Ländern lebende Teenager.

Hauptmotivation der Frauen sind Haas zufolge der religiöse Eifer und die Sehnsucht, bei der Erschaffung eines ideologisch reinen, idealen Gottesstaats mitzuhelfen, um dann gemäß den eigenen religiösen Überzeugungen und der Sharia dort zu leben. Veranstaltungen wie sogenannte Halal-Messen oder Brautmodenmessen stärkten nicht nur »den überregionalen Zusammenhalt«, sondern förderten »auch den Kontakt zu Muslimas außerhalb der Szene«, sagt Haas. Auf solchen Treffen würden zunächst »soziale Bindungen und freundschaftliche Kontakte« aufgebaut, zur Vertiefung dieser Beziehungen würden beispielsweise Hilfsangebote bei Notlagen unterbreitet. Organisiert werden solche Veranstaltungen demnach hauptsächlich von Frauen. Die Salafistinnen der Organisation »Akhauat fi Deen« (Schwestern im Glauben) nutzen Haas zufolge diese Be­ziehungsarbeit gezielt für politische Zwecke.

Dass Frauen generell immer noch gesellschaftlich unterschätzt werden, wird für die Salafistinnen zum strate­gischen Vorteil. Haas verwundert die derzeitige Debatte um das sogenannte Schwesternnetzwerk in Nordrhein-Westfalen, weil »in den Kreisen, die sich in den vergangenen Jahren etwa mit Prävention und Deradikalisierung beschäftigt« hätten, »die wichtige Rolle der Frauen in den salafistischen Netzwerken nie ein Geheimnis« gewesen sei. Ähnlich wie im Neonazimilieu konterkariere die hervorgehobene ideologische und praktische Position von Frauen die herrschenden »Vorstellungen von Politischem und Privatem«. Selbst das angehäufte Expertenwissen zum Thema habe bisher nicht zu einer anderen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geführt.

Einer im Dezember vom Europaparlament veröffentlichten Studie zufolge sind Frauen statistisch gesehen im salafistischen Milieu zwar immer noch in der Minderheit. Aber den Behörden zufolge radikalisieren sie sich schneller als Männer. So verließen 27 Prozent der Frauen aus Deutschland, deren Fälle untersucht wurden, im ersten Jahr ihres Radikalisierungsprozesses das Land, bei den Männern waren es nur 18 Prozent. Zudem konvertierten deutlich mehr Frauen als Männer. So waren der Studie zufolge ein Drittel der ins »Kalifat« ausgereisten Frauen Konvertitinnen, bei den Männern waren es 17 Prozent. Und die Frauen kehrten seltener zurück. Nach Deutschland kamen nach Auskunft deutscher Behörden 21 Prozent der ausgereisten Frauen zurück, verglichen mit 29 Prozent der Männer. Ähnlich verhielt es sich in anderen europäischen Ländern. Die Zahl der wegen Terrorverdachts festgenommenen Islamistinnen ist Europol zufolge in der EU rapide angestiegen: von sechs im Jahr 2013 auf 187 im Jahr 2016.