Die kolumbianische Guerilla hat den Waffenstillstand mit der Regierung beendet

Mit großem Knall zurück zum Kampf

Der Waffenstillstand zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla ELN ist beendet. Der Wahlkampf im Land beginnt und niemand weiß, wann die Friedensgespräche wiederaufgenommen werden.

Erst wenige Stunden war der 100tägige Waffenstillstand abgelaufen, da explodierten vor zwei Wochen mehrere von Guerilleros des Ejército de Liberación Nacional (ELN, Nationales Befreiungsheer) an einer wichtigen Ölpipeline im Nordosten Kolumbiens angebrachte Sprengsätze. Weitere Angriffe auf Soldaten und die Entführung eines Vertragsarbeiters des staatlichen Erdölkonzerns Ecopetrol, mutmaßlich durch Guerilleros, folgten.

Daraufhin rief der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos seine Delegation und den kürzlich zum neuen Delegationsleiter ernannten Juristen Gustavo Bell zunächst vom Verhandlungsort Quito zurück. Erst dank internationaler Vermittlung und auf Drängen der Vereinten Nationen schickte Santos die Delegation dann am vergangenen Sonntag wieder in Ecuadors Hauptstadt. »Im Anschluss an den Aufruf der Vereinten Nationen wird Gus­tavo Bell nach Quito reisen, um die Möglichkeit eines neuen Waffenstillstands zu prüfen, der die Fortsetzung der Friedensverhandlungen mit dem ELN ermöglichen soll«, twitterte Santos. Auch der ELN hatte zuvor Bereitschaft zur Fortsetzung der Friedensgespräche signalisiert. Der Waffenstillstand war der erste wichtige Fortschritt der Verhandlungen gewesen, die vor einem Jahr begonnen und bis dahin schleppend verlaufen waren.

Während ihre Truppen im Land auf Aktion setzten, betonte die ELN-Delegation in Ecuador in den vergangenen Tagen mehrfach, die Verhandlungen fortsetzen zu wollen. Dies verweist auf die Widersprüche in der Organisation.

Neben der UN hatten auch die katholische Kirche, soziale Basisbewegungen und in einer ungewohnt deutlichen Stellungnahme die Botschafter Deutschlands, Großbritanniens, Schwedens, der Schweiz und Italiens dazu aufgerufen, den Waffenstillstand zu verlängern. Er war trotz einiger Zwischenfälle und Probleme während der Überprüfung überwiegend eingehalten worden. Der ELN hatte einen Indigenenvertreter getötet und legte seinerseits der Regierung unter anderem den Tod von mindestens acht Kokabauern zur Last, die mutmaßlich von Polizisten im Oktober im Zuge von Protesten erschossen worden waren.

Während ihre Truppen im Land auf Aktion setzten, betonte die ELN-Delegation in Ecuador in den vergangenen Tagen mehrfach, die Verhandlungen fortsetzen zu wollen. Dies verweist auf die Widersprüche in der Organisation. Obwohl das Zentralkommando des ELN einen Waffenstillstand in den Monaten und Jahren zuvor immer wieder gefordert und letztlich erreicht hatte, enttäuschte die Guerilla die Hoffnungen auch zahlreicher Basisorganisationen auf dessen Verlängerung.

Beobachter sind sich einig, dass im föderalen ELN, in dem die einzelnen Einheiten in verschiedenen Landesteilen autonomer handeln können als beispielsweise die Untergliederungen der zentralistisch organisierten Farc, derzeit jene Gruppen die Oberhand haben, die den Krieg fortführen wollen und die Gespräche in Quito eher als unverbindliche Veranstaltung betrachten.

Zu diesen gehört auch die Westliche Kriegsfront des ELN, die im umkämpften Pazifikdepartment Chocó operiert. Comandante Uriel, ein Mitglied der Führung, sagte der Jungle World: »Eine Verhandlungslösung des Konflikts ist Teil des taktischen Arbeitsplans des ELN. Die Funktion des Verhandlungstisches von Quito ist es, zu untersuchen, ob der von der Regierung vorgegebene Wille zum Frieden real ist oder nicht. Derzeit fällt die Regierung durch die Prüfung.« Skeptiker wie Uriel müssen nicht lange nach Argumenten suchen. Weiterhin werden in Kolumbien sozial engagierte Personen ermordet. Mehr als 100 Fälle gab es den Vereinten Nationen zufolge 2017, vor allem in Gebieten, in denen vormals die Farc gekämpft hatten. Die Zahl der seit dem Friedensvertrag getöteten ehemaligen Farc-Kämpfer liegt mittlerweile bei 36, die Präsenz und der Aktionsradius paramilitärischer Gruppen weiten sich aus.

 

Der ELN will einen »Großen Nationalen Dialog«

Für diese Entwicklung macht der ELN die Regierung verantwortlich, wenn er nicht gleich die herrschende Klasse oder die Oligarchie beschuldigt, die nicht gewillt seien, grundlegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zuzulassen, um die Lebensumstände der Bevölkerung und ins­besondere der marginalisierten Menschen in den abgelegenen Region des Landes zu verbessern. Der ELN sieht sich weniger als Vertreter eines »Volks­willens« denn als Garant dafür, dass el pueblo (das Volk, gemeint ist die beherrschte Bevölkerungsmehrheit) mit der »herrschenden Klasse« über die Zukunft des Landes diskutieren kann. Das Interesse der Massen an diesem »Großen Nationalen Dialog«, der dem ELN vorschwebt, fällt bislang allerdings eher bescheiden aus.

Genau an dieser Haltung des ELN in Gesprächen hatte sich jedoch Berichten zufolge der bisherige Verhandlungsführer der Regierung, der Konservative Juan Camilo Restrepo, aufgerieben. Im Dezember hatte er entnervt aufgegeben, offiziell um sich privaten Aufgaben zu widmen. Für seinen Unmut soll zudem gesorgt haben, dass der Präsident einen zweiten, direkten Verhandlungsweg mit der Guerilla eingerichtet hatte, ohne die offizielle Delegation davon in Kenntnis zu setzen.

Mit der Ernennung Gustavo Bells, der die Delegation teilweise neu besetzte, wollte Präsident Santos noch einmal neuen Schwung in die Gespräche bringen. Die politische Konstellation ist dafür allerdings wenig förderlich. Im derzeit beginnenden Wahlkampf für die Parlamentswahlen im März und die Präsidentschaftswahlen im Mai wird die Friedenspolitik des ohnehin unpopulären und im August aus dem Amt scheidenden Regierungsoberhaupts immer stärker kritisiert. Das könnte auch ­Santos’ Entscheidung beeinflusst haben, seiner­seits die Gespräche mit dem ELN vorerst einzustellen. Bereits seit Wochen verliert der Präsident politische Unterstützer. Große Fortschritte in den Verhandlungen in Quito noch vor dem Ende seiner Amtszeit erscheinen deshalb unwahrscheinlich. Einen erneuten Waffenstillstand zu vereinbaren, wäre bereits ein Erfolg.