Die linken Parteien Europas streiten sich über das Verhältnis zur EU

Völker, hört das Nationale

In den zehn Jahren der Euro-Krise ist es den linken Parteien in Europa nicht gelungen, eine gemeinsame Linie zu finden. Mittlerweile hat sich einen Euro-Faschismus formiert, jedoch keinen Euro-Sozialismus. Ein Streit zwischen Schwesterparteien innerhalb der »Europäischen Linken« verdeutlicht derzeit die linke Misere.

Es ist derzeit einfacher, sich eine europäische Internationale der Identitären, Populisten und Neofaschisten vorzustellen als eine Internationale von Linken. Spätestens seit dem Koblenzer Kongress vom 21. Januar 2017, auf dem Frauke Petry, damals noch für die AfD, Marine Le Pen und Geert Wilders mit medialer Aufmerksamkeit das Wahljahr begannen, ist dieser Eindruck in der Welt. Es scheint zwar einen Euro-Faschismus zu geben, jedoch keinen Euro-Sozialismus. Die europäischen Linken diskutieren in ihrer Mehrheit, wie populistisch und nationalstaats­fixiert sie selbst sein müssen, um erfolgreich zu sein. Dadurch zerstört die Linke ihren genuin internationalen Zusammenhang und bringt sich mittelfristig um alle Chancen einer solidarischen Politik.

Vorläufiger Höhepunkt der linken Misere ist das Bestreben der französischen Parti de gauche von Jean-Luc Mélenchon, die griechische Regierungspartei Syriza aus der Fraktion der Europäischen Linken (GuE/NGL) im EU-Parlament auszuschließen. Die Begründung liest sich vordergründig klassenkämpferisch: Alexis Tsipras setze dem Spardiktat der EU keinen Widerstand entgegen und erfülle die Vorgaben der Austeritätspolitik, zuletzt habe er das Streikrecht aufgeweicht, damit sei das Maß voll. Kritiker unterstellen Mélenchon allerdings eine rein von nationaler Profilierungsucht getriebene Taktik. »Syriza ist für Mélenchon nur das Vehikel, um rechtzeitig vor der Europawahl 2019 die Europäische Linke zu spalten«, zitierte das Neue Deutschland den Bundesschatzmeister der Linkspartei, Thomas Nord. »Ziel ist aber gar nicht die griechische Politik. Ziel ist das Aufstellen einer eigenen europäischen Liste mit der eigenen Position zur Auflösung der jetzigen EU.«

 

Der Aufstieg links- oder besser: neosozialistischer Parteien und Bewegungen seit der großen Finanz- und Euro-Krise vor zehn Jahren beruhte und beruht immer noch auf einem äußerst wackeligen ­Interessenbündnis.

 

Wieso gelingt es der Europäischen Linken nicht, aus diesen selbstzerstörerischen Verhaltensmustern auszu­brechen? Tatsächlich gibt es tiefere ­Ursachen als die Profilierungssucht charismatischer Parteiführer und die Anpassungsbereitschaft von Syriza. Der Aufstieg links- oder besser: neosozialistischer Parteien und Bewegungen seit der großen Finanz- und Euro-Krise vor zehn Jahren beruhte und beruht immer noch auf einem äußerst wackeligen ­Interessenbündnis.

Ihre Wählerschaft und ihre Aktivisten lassen sich grob zwei, bisweilen drei heterogenen Gruppen zuordnen. Da wäre zunächst die verlorene Generation gut ausgebildeter, durchaus kosmo­politisch orientierter junger Leute, die von den permanenten Selbstoptimierungsimperativen des Neoliberalismus ausgelaugt und von Dauerarbeitslosigkeit bedroht sind. Sie sehnen sich nach Solidarität, Nachhaltigkeit und direkter politischer Teilhabe – und treffen dabei auf städtische respektive staatliche Angestellte, Lehrerinnen und andere Erzieherinnen, Beschäftigte bei der Müllabfuhr, Leute aus den Verwaltungen: klassische, sehr staatsnahe sozialdemokratische Klientel, die ohnmächtig ­dabei zusehen muss, wie aggressiv der Neoliberalismus auch die öffentliche Verwaltung perforiert. Während die jungen Leute international vernetzt sind, mehrere Sprachen sprechen und postmaterielle Werte verinnerlicht haben – wenn man so will: unfreiwillig freiwillig mussten sie dem Neoliberalismus auch gute Seiten abgewinnen, um daran nicht wahnsinnig zu werden –, ist das sozialdemokratische Angestellten- und Beamtenmilieu ängstlich, verun­sichert und frustriert. Als dritte Gruppe kommt das Prekariat hinzu, eine neue Schicht innerhalb der Arbeiterklasse, die vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen und in den Niedriglohnsektor abgedrängt worden ist, ohne die Aussicht auf Aufstieg und Anerkennung. Dieses Prekariat ist nicht genuin links, auch die Populisten und Neofaschisten buhlen um seine Gunst, aber wenn es sich zu Wort meldet, dann mit einer gewissen Dringlichkeit: Diese Leute wollen so schnell wie möglich raus aus ihrer Misere.

In Deutschland sortiert sich die Linkspartei natürlich anders, weil die Ost-West-Spaltung noch fortlebt und die SPD immer noch den Verwaltungsapparat dominiert. Aber auch hier lassen sich in vielen Ortsverbänden der Linkspartei die Konflikte diesem Muster entsprechend nachzeichnen: junge, akademische, postmaterielle, global orientierte Aktivisten einerseits; Vertreter aus Bürokratie und Gewerkschaft auf der anderen Seite. Und immer noch sind in vielen Städten Hartz-IV-Empfänger in der Partei aktiv, die von ihr konsequente Interessenpolitik erwarten.

Es fällt nicht schwer, auf die heterogenen Teile dieser Anhängerschaft die Kategorien »national« und »interna­tional« anzuwenden. Die neuen sozialistischen Bewegungen sind eine ­Mischung aus sogenannten Besitzstandswahrern und Leuten, die schon nichts mehr zu verlieren haben beziehungsweise schon derart sozialisiert sind, dass sie Flexibilisierung und Auflösung sozialer Strukturen auch als Bereicherung begreifen.

 

Das Interessenbündnis zerbricht

 

Die einen klammern sich an die Reste des Sozialstaats und trauern den goldenen Jahrzehnten des sozialdemokratischen Paternalismus nach, wie er sich nur im Rahmen eines souveränen Nationalstaats entfalten konnte, die anderen träumen von einem neuen transeuropäischen Gesellschaftsvertrag: offene Grenzen für alle und am liebsten das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Zu übersehen, dass die Einführung des BGE tatsächlich einen sehr rigide organisierten Nationalstaat voraussetzt, gehört zu den großen Selbsttäuschungen dieser postmateriellen Generation.

Aber das Interessenbündnis zerbricht nicht erst nach gewonnenen Wahlen und der Übernahme von Regierungsverantwortung an seinen Widersprüchen, sondern schon jetzt. Das zeigt sich auf nationaler Ebene – in der Spaltung der Linkspartei in einen Wagenknecht-Lafontaine-Flügel und einen um Katja Kipping –, aber besonders schmerzhaft auf internationaler Ebene, wo der Streit zwischen Mélenchon und Tsipras schlagartig offenbart, dass es in zehn Jahren Euro-Krise zu keinem gemein­samen Programm, zu keiner gemeinsamen gesellschaftlichen Perspektive und zu keinen gemeinsamen Aktionen gekommen ist. Mélenchon muss sich fragen lassen, wo im Sommer 2015 eigentlich die französischen Solidaritätsstreiks zur Unterstützung der aufmüp­figen Griechen geblieben sind. Der Internationalismus ist ein Lippenbekenntnis geblieben.

Aber hätte er denn je eine reale Chance gehabt? Die Borniertheit dieser Parteien spiegelt tatsächlich die Begrenztheit des zurückliegenden Protestzyklus wider. Nach der Euphorie der internationalen Platzbesetzungen 2011 wähnte sich die Bewegung weiter, als sie tatsächlich war. Der Neosozialismus vereinte nicht nur heterogene soziale Gruppen, sondern auch heterogene Ideologieversatzstücke. Sie verheißen einerseits eine ganz neue zeitgemäße Organisation des Sozialen (»Sozialismus für das 21. Jahrhundert«) – Selbstverwaltung der Betriebe durch die Arbeiter und Angestellten, Stärkung von kommunalen und föderalen Strukturen, Abbau von Hierarchien auf allen gesellschaftlichen Ebenen und Liberalisierung der Kultur. Dagegen sehen sie sich als die Verteidiger der spätbürgerlichen Demokratie gegen den Neoliberalismus, die Rechten und den Lobbyismus.

Linke wollen zurück zu einem heroischen Parlamentarismus, zu echten Debatten, nehmen folglich an Wahlen teil und wollen in Koalitionen mitgestalten. Andererseits träumen die Ak­tivisten von einer Art Doppelherrschaft, also davon, dass neben dem Parlament noch andere Körperschaften der öffentlichen Gewalt (»Räte«) schalten und walten sollen. Vor gar nicht so langer Zeit beschwor man noch Venezuela als großes politisches Vorbild.

So unausgegoren widersprüchlich diese Weltanschauung auch daherkommt, sie stellt noch vollständig auf den nationalen Rahmen ab und liefert gerade keine Rezeptur für eine solidarische europäische Vernetzung. Dabei waren die transnationalen Tendenzen im letzten Zyklus sozialer Kämpfe offensichtlich. Auf ihre Radikalisierung und Verbreiterung sollten die Aktivisten setzen und dabei der Versuchung widerstehen, »Verantwortung zu übernehmen«, also wieder Politik im nationalen Rahmen zu machen.