In Peru könnte der kürzlich vom Präsidenten begnadigte ehemalige Diktator Alberto Fujimori erneut vor Gericht kommen

Keine Gnade für den ehemaligen Diktator

In Peru wird die Regierung von Pedro Pablo Kuczynski seit der Begnadigung des ehemaligen Diktators Alberto Kenya Fujimori scharf kritisiert. Das letzte Urteil ist allerdings noch nicht gesprochen.

Pativilca und San José – diese beiden Namen stehen in Peru derzeit für die Hoffnung, dass die Opfer der Diktatur Alberto Kenya Fujimoris (1990–2000) doch noch Gerechtigkeit erfahren und der ehemalige Präsident nicht auf freiem Fuß bleibt. Beim Massaker von Pativilca im Jahr 1992 wurden sechs Bauern ermordet. In San José befindet sich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Fujimori war 2007 wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Am 24. Dezember 2017 begnadigte ihn Perus derzeitiger Präsident Pedro Pablo Kuczynski. Die Richter des Interamerikanischen Gerichtshofs sollen nun entscheiden, ob dies rechtens war. Gegen die Begnadigung geklagt haben die Angehörigen der Opfer der Massaker von Barrios Altos (1991) und La Cantuta (1992). Der Gerichtshof ist de facto die höchste juristische Instanz in der Region und selbst die Regierung Kuczynski wird sich kaum über sein Urteil hinwegsetzen. Am 19. Februar hat zudem ein Gericht in Lima entschieden, das Massaker von Pativilca falle nicht unter die Begnadigung.

Das Urteil des Gerichtshofs wird in Peru mit Spannung erwartet, allerdings hat dieser keinen Termin zur Verkündung bekanntgegeben. Die Opferverbände müssen also abwarten. Sie sind der Meinung, Fujimori sei zu Unrecht »aus humanitären Gründen« begnadigt worden. Sie weisen darauf hin, dass der medizinischen Kommission, die die Herzerkrankung des 79jährigen feststellte, auch der Leibarzt des ehemaligen Diktators angehörte.

Zudem vermuten viele Peruanerinnen und Peruaner hinter der Freilassung des Diktators einen politischen Handel. Gegen Kuczynski wird in Peru nämlich im Rahmen des Korruptionsskandals um den Baukonzern Odebrecht ermittelt. Er war Minister im Kabinett von Präsident Alejandro Toledo (2001–2006), und dieser hatte von Odebrecht 20 Millionen US-Dollar Schmiergeld für die Auftragsvergabe des Baus eines Teilstücks der Verbindungsstraße Carretera Interoceánica erhalten. Zudem ­haben auch zwei Beratungsfirmen, mit denen Kuczynski enge Kontakte pflegt, haben Geld von Odebrecht erhalten. Dass sich der Präsident lange nicht dazu äußerte, den Ermittlern bis heute nicht zur Vernehmung zur Verfügung stand und erst vor wenigen Monaten zugab, legal Geld von Odebrecht erhalten zu haben, hat dazu geführt, dass kaum jemand ihm noch glaubt. Das gipfelte im Dezember 2017 in einem Amtsenthebungsverfahren gegen Kuczynski, das er nur dank der Stimmen einer kleinen Abgeordnetengruppe um Kenji Fujimori, den jüngeren Sohn Fujimoris, überstand. Diese Abgeordneten enthielten sich der Stimme, obwohl ihre Partei Fuerza Popular, angeführt von Kenjis älterer Schwester Keiko, das Amtsenthebungsverfahren eingeleitet hatte. Drei Tage später unterschrieb Kuczynski die Begnadigung für den ehemaligen Diktator »aus humanitären Gründen«.

Als »illegales und unverantwortliches Vorgehen« bezeichneten das zahlreiche prominente peruanische Autorinnen und Autoren Anfang Januar in einem offenen Brief. Sie warfen Ku­czynski vor, einem »zynischen politischen Kalkül« gefolgt zu sein. Zu den Unterzeichnern zählen auch der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas ­Llosa sowie Alonso Cueto und Santiago Roncagliolo, die sich in ihren Romanen immer wieder mit dem Krieg zwischen Guerilla und Staat (1980–2000) und dessen Folgen für die Gesellschaft auseinandergesetzt haben.

Kuczynskis Zustimmungswerte befinden sich seither im freien Fall, im Vergleich zum Januar seien sie um vier Prozentpunkte auf 19 Prozent gesunken, sagt Ana María Vidal, eine Juristin beim Dachverband der Menschenrechtsorganisationen. 54 Prozent der Bevölkerung stimmten einer Amts­enthebung Kuczynskis zu, 75 Prozent der Befragten lehnten seine Präsidentschaft ab. Kuczynski »sollte gehen, heißt es überall«, gibt sie die Stimmung in Lima wieder. Dort hat es in den ­vergangenen zwei Monaten vier große Demonstrationen gegeben, wo viele Opfer der Fujimori-Diktatur auf die Straße gingen, darunter zwangssterilisierte indigene Frauen und Angehörige von Opfern von Massakern wie in Barrios Altos oder La Cantuta.

Diese Gruppen seien ohnehin nicht gut auf Präsident Ku­czynski zu sprechen, weil er sich trotz ihrer Bitte nie mit ihnen getroffen habe, kritisiert die Menschenrechtlerin und Literatin Rocío Silva Santisteban, die den offenen Brief der Schriftsteller ebenfalls unterschrieben hat. Die Begnadigung habe das Vertrauen in das politische System weiter erschüttert, denn Korruption und Vetternwirtschaft seien in der Politik des Landes omnipräsent.

Peru ist nicht gerade für die Unabhängigkeit seiner Justiz bekannt. Große Hoffnung setzt man nun allerdings in die Berufungskammer B des Nationalen Strafgerichtshofs in Lima, die entschieden hatte, das Massaker von Pativilca aufzuklären und die Täter zu bestrafen. Sechs Menschen wurden bei dem Massaker im Januar 1992 vom militärischen Todesschwadron »Grupo Molina« ermordet. Die Gruppe ging gegen vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten der maoistischen Guerilla­gruppe Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) vor und ist für mindestens 60 Tote verantwortlich. Politisch verantwortlich war Alberto Kenya Fuji­mori; sein Geheimdienstleiter Vladimiro Montesinos und mehrere hohe Armeeangehörige befehligten die Tat. Der Staatsanwalt Luis Landa hat 25 Jahre Haft für den ehemaligen Diktator gefordert, weil er der intellektuelle Drahtzieher gewesen sei.