Die prokurdischen Proteste in Hannover blieben friedlich

Frühlingsfest bei Minusgraden

Am Wochenende feierten Tausende Kurden in Hannover Newroz. Die Polizei gab sich relativ kompromissbereit, einige deutsche Linke und bürgerliche Politiker zeigten sich solidarisch. Streit gab es dennoch, wie so oft ging es um Fahnen und Sprechchöre.

»Ich bin so froh, dass wir Newroz feiern können«, sagt Dilek. Sie ist Kurdin, Anfang 20 und aus dem Rheinland nach Hannover gereist. Am Samstagmorgen steht sie mit Hunderten anderen Kurdinnen und Kurden zusammen auf dem Schützenplatz. Der Platz ist riesengroß und weiß. In der Nacht zuvor hat es geschneit.

Trotz eisiger Kälte und starkem Wind ist die Stimmung bei den Demonstrierenden gut. Dilek sagt der Jungle World, Newroz sei »sehr wichtig«, das Fest sei ein »Teil des Kampfes«. Damit es nicht kalt werde, könne man ja tanzen, sagt die junge Kurdin lachend und geht zurück zu ihren Freundinnen und Freunden, mit denen sie Halay tanzt. Aus einer völlig anderen Perspektive, aber doch ähnlich wie Dilek, argumentierte die Hannoveraner Polizei in ihrer Verbotsverfügung für die Newroz-Demonstrationen. Darin heißt es: »Das kurdische Neujahrsfest Newroz gilt auch als Fest des Widerstandes und des Freiheitskampfes.«

Falsch ist das nicht. In der Mythologie von Newroz geht es um den Schmied Kaveh, der an der Spitze eines Volksaufstands den tyrannischen Herrscher Zohak besiegt. Die Sage stammt aus vorislamischer Zeit; wie alt sie ist, darüber herrscht Uneinigkeit. Verbreitet ist das Frühlingsfest bis nach Usbekistan und Pakistan. Bei linken Kurden und der PKK hat es seit den frühen achtziger Jahren eine besondere Bedeutung. Am 21. März 1982 verbrannte sich der kurdische Jugendliche Mazlum Doğan im Gefängnis von Diyarbakır selbst. Die Stadt im Südosten der Türkei ist eines der wichtigsten Zentren der kurdischen Bevölkerung. Dort finden seitdem jedes Jahr Newroz-Feiern mit Zehntausenden Teilnehmern statt. Oft sie Feiern auch mit blutigen Auseinandersetzungen mit dem türkischen Militär verbunden, das regelmäßig versuchte, die Feierlichkeiten zu unterbinden.

Auch in Deutschland gibt es eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen an Newroz. Anfang der neunziger Jahre, als die PKK verboten wurde und zahlreiche Menschen wegen Mitgliedschaft in der Organisation vor Gericht landeten, verbrannten sich in Mannheim zwei Kurdinnen bei einer Newroz-Demonstration selbst. Ahmet, ein kurdischer Mann um die 50, sagt, dass er sich noch gut an diese Zeit erinnere. »Die Polizei war bei jedem von uns«, erzählt er. Er spricht über Hausdurchsuchungen, Besuchen von der Polizei bei der Arbeit oder bei Kindern in der Schule. Entschlossen sagt Ahmet: »Wir sind ausgegrenzt worden!« Heutzutage sei es wieder fast genauso schlimm. Der Bus, mit dem Ahmet nach Hannover gekommen ist, wurde bei der Einfahrt in die Stadt angehalten. In Köln, wo er herkommt, wurden mehrere Demonstrationen verboten.

Angemeldet war die Veranstaltung in Hannover unter dem Motto »New­roz heißt Widerstand – der Widerstand heißt Afrin – Biji Newroz – Biji Afrin«, das Bezug nahm auf den Angriff der türkischen Armee und islamistischer Milizen auf die kurdische Stadt Afrin in Nordsyrien (siehe Seite 12). Das Verwaltungsgericht Hannover hob das polizeiliche Demonstrationsverbot zwar auf. Dennoch kam es auf den Straßen der niedersächsischen Landeshauptstadt immer wieder zu Auseinandersetzungen. Ein Demonstrant, der ein T-Shirt mit dem Porträt des in der Türkei inhaftierten früheren PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan trug, wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen. Bilder Öcalans auf Demonstrationen zu zeigen, ist in Deutschland verboten.

Beobachter schilderten den Polizeieinsatz als brutal. Der Demonstrant soll das Bewusstsein verloren haben. Der Demonstrationszug wurde immer wieder aufgehalten, weil eine Gruppe von zehn Personen wiederholt den Namen Öcalans rief und weil vereinzelt Fahnen mit dem Bild Öcalans gezeigt wurden. Zwischenzeitlich wollte die Polizei die Kundgebung deswegen sogar auflösen.

Dass es nicht so weit kam und New­roz in Hannover ohne große Probleme stattfinden konnte, lag auch an der breiten Solidarität, die die kurdischen Aktivisten erfuhren. So lief Herbert Schmalstieg (SPD), der von 1972 bis 2006 Oberbürgermeister von Hannover war, zeitweise in der zweiten Reihe der Demonstration. In seiner Rede übte er scharfe Kritik an den Behörden für ihr Vorgehen gegen Kurden. Schmalstieg war nicht der einzige prominente Unterstützer der Veranstaltung. Diether Dehm, ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, der immer wieder als »Israelkritiker« mit Querfrontkontakten für Diskussionen sorgt, trat in Hannover mit einem Bild von Öcalan auf. Polizisten, die ein Strafverfahren prüfen wollten, stellten deshalb Dehms Identität fest, worüber sich der Liedermacher belustigt zeigte. Wichtiger als solche Showauftritte dürften andere Unterstützungsleistungen gewesen sein. So hatte beispielsweise ein Mitglied der »Interventionistischen Linken« die Anmeldung der Kundgebung übernommen.

Nachdem am Sonntag Medien von der Einnahme des belagerten Afrin berichteten, veröffentlichten die kurdischen Gemeinden in Deutschland einen verzweifelten Appell an die deutsche Öffentlichkeit. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan produziere in Städten wie Afrin erst die Flüchtlinge, »für deren ›Abhalten‹ er sich von der EU bezahlen« lasse. »Das ist das ›Geschäftsmodell‹ eines Verbrechers«, so der Aufruf. Erdoğans Kämpfer seien »die gleichen Verbrecher aus dem Ungeist des Jihadismus und Islamismus, die uns in unseren Diskotheken in die Luft sprengen, die jüdische Einrichtungen in Paris angreifen, die Terror in den Städten Europas verüben«. In Afrin sei »Europa gefallen«.