Was kümmert mich der Dax - Die Predigt ist kein Wunschkonzert

Im finsteren Tal

Kolumne Von

»Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue.« Der 23. Psalm gehört zu den häufig zitierten Passagen der Bibel, doch wird er gerne missverstanden. Die Wiederkäuer im Geiste glauben nämlich, es sei ihr heiliges Recht, bei ihren Gelegenheitsbesuchen in der Kirche nur Erbauliches geboten zu bekommen. Sie wollen in wohligem Stumpfsinn grasen, ohne mit unverdaulichen Ideen behelligt zu werden. »Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?« nörgelte Ulf Poschardt bereits Ende ­vorigen Jahres. Kurz vor Ostern legte der Chefredakteur der Welt nach. »In der Christmette saß ich als glücklicher Mann. Es war still, ich war dankbar für das Glück meiner Familie (...) wunderschöne Weihnachtslieder. Dann gab es die erste Provokation« – und das Schicksal nahm seinen Lauf. »Mich hat die Kirche als Kirchgänger verloren.«

»Klischees, ranzige Vorurteile, Dämonisierung von Macht und Erfolg, ­Verklärung des Opfers und Leids, Lustfeindlichkeit«, bemängelt Poschardt. Man muss ihm nicht in jedem Punkt widersprechen und die weichgespülte, moralisierende christliche Sozialkritik nicht mögen. Doch kann man schwerlich vom Pastor erwarten, dass er »Geht ficken!« predigt. Die »Verklärung des Opfers und Leids« ist nun einmal ein Kernpunkt der christlichen Botschaft, und Jesus, der mit langhaarigen Unruhestiftern durchs Land zog, statt den mittelständischen Betrieb seines Vaters zu übernehmen, war kein Leistungsträger. In früheren Zeiten haben die Reichen und Einflussreichen die »Dämonisierung von Macht und Erfolg« mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen hingenommen. Aber selbst das gilt heute als zu beschwerlich. Warum versucht Poschardt es nicht mit Yoga oder raucht einen Joint? Es hat wohl etwas mit der identitätsstiftenden Funktion der Kirche zu tun, die er nicht missen möchte – ein neoheidnisches Religionsverständnis, in dem nicht das Verhältnis von Gott und Mensch zählt, das nach christlichem Verständnis nun einmal unbequeme Herausforderungen für Letzteren bereithält, sondern der Staats- und Gemeinschaftskult nach antikem Vorbild.

Mit der Empörung der völkischen Rechten über die Benennung des Osterhasen als Traditionshasen auf Quittungszetteln geht es dann noch weiter hinab ins finstere Tal. Möchte Po­schardt vornehmlich mehr nette Worte über »Leistungsträger« hören, fordern die Rechten einen deutschnationalen Kult. Jesus war bekanntlich kein Hase und auch kein Germane, doch unverdrossen schänden die Heiden des Pegida-Milieus reli­giöse Symbole, indem sie Kreuze mit den deutschen Nationalfarben bepinseln – eigentlich wäre da schon längst ein deutliches Wort von der Kanzel ­fällig gewesen.