Small Talk mit Claus Martin über den »March for Science Germany«

»Wissenschaftler sind ganz normale Menschen«

Für Samstag ruft die Bewegung »March for Science« weltweit zu ­Demonstrationen auf. Auch in etlichen deutschen Städten wollen Menschen für die Freiheit von Forschung und Lehre auf die Straße gehen. Der Regisseur und Komponist Claus Martin ist Sprecher des »March for Science Germany«.
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Steht es derart schlecht um die Wissenschaft in Deutschland, dass für sie demonstriert werden muss?
Der March for Science ist zunächst einmal eine internationale Aktion, bei der es um die Freiheit der Wissenschaft geht. Die Idee ging von den USA aus, der Auslöser war dort Donald Trump, ein – vorsichtig gesagt – wissenschaftsskeptischer Präsident. Jedes Land setzt aber eigene Schwerpunkte. In Deutschland ist die Wissenschaft nicht annähernd so unter Druck wie beispielsweise in Ungarn oder in der Türkei, es geht uns im internationalen Vergleich sehr gut. Aber das bedeutet nicht, dass es keinen Verbesserungsbedarf gibt.

Was muss verbessert werden?
Wir wollen die Kluft zwischen Gesellschaft und Wissenschaft verringern. Es gibt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Vertrauenskrise weiter Bevölkerungsschichten gegenüber den sogenannten Eliten, nicht nur den politischen, sondern auch den ­wissenschaftlichen. Dass das Vertrauen in die Wissenschaft schwindet, ist eine Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen zweifelhaften Angeboten zuwenden. Fake news hätten ja keine Chance, wenn die Leute eher einem Wissenschaftler glauben würden, der die fake news als solche entlarvt. Das tun sie aber nicht oder nicht mehr. Das ist die zu beobachtende Entwicklung. Auf dieses Problem ­wollen wir aufmerksam machen, nicht nur mit Demonstrationen. In vielen Städten in Deutschland bieten unsere Gruppen Diskus­sionsveranstaltungen an, um Wissenschaftler und Nichtwissenschaftler ins Gespräch zu bringen. Es geht darum zu zeigen, dass Wissenschaftler ganz normale Menschen sind, nicht irgendwelche abgehobenen Figuren, die in Glaspalästen sitzen.

Im Führungspersonal der AfD gibt es zahl­reiche Akademiker. Kann Wissenschaft ­allein Menschen gegen »fake news« immunisieren?
Nein. Fake news sind ein politisches Instrument. Sie entstehen nicht durch Unwissenheit, sondern sind gezielt eingesetzte Lügen. Der Begriff kam ja anlässlich der Amtseinführung Donald Trumps und der grotesken Frage auf, ob bei ihm oder bei Barack Obamas Amtseinführung mehr Leute waren. Es ging damals ursächlich nicht um eine wissenschaftliche Frage, sondern darum, dass ein Politiker skrupellos genug ist, Dinge zu erfinden oder die Wahrheit zu verbiegen, um eine politische Agenda durchzusetzen. Insofern sehe ich keinen Widerspruch darin, dass führende Köpfe der AfD eine wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen haben und zugleich ­populistische Politik betreiben.

Aus der Türkei sind in jüngster Zeit etliche Wissenschaftler nach Deutschland geflohen. Tut der deutsche Wissenschaftsbetrieb genug, um geflüchteten Wissenschaftlern zu helfen?
Der deutsche Wissenschaftsbetrieb ist in jedem Fall offen für Wissenschaftler aus dem Ausland, die hierzulande arbeiten wollen. Grundsätzlich ist es aber nicht die Aufgabe des Wissenschaftsbetriebs, Verfolgte zu unterstützen, denn das ist eine politische Auf­gabe. Man sollte das nicht vermischen. Aufgabe des Wissenschaftsbetriebs ist es, Erkenntnis zu fördern und an wissenschaftlichen Fragestellungen zu arbeiten.

Der Bologna-Prozess hat die Freiheit der Wissenschaft beschnitten und die Hochschulen größeren ökonomischen Zwängen unterworfen. Kommt der March for Science da nicht zu spät?
Ob der March for Science zu spät gekommen ist, müssen Historiker irgendwann klären. Wir versuchen jetzt, Dinge zu ändern. Und ­veränderbar sind sie in jedem Fall noch.