Durch Influencer entsteht eine neue Form der Authentizität

Irgendwas mit Werbung

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Das ist nicht verwunderlich, schließ­lich ist ihr Marktwert ihre Authen­tizität. Seit Beginn des Konsumkapi­talismus wurde Werbung immer authentischer gestaltet. Zunächst empfahlen Schauspielerinnen verkleidet als Hausfrau Putzmittel. Später wurden die Charaktere eindrücklicher: Prominente gaben ihren Namen und ihr Gesicht für ein Produkt her. Der Effekt verstärkte sich: Wenn der es kauft, kann es dann schlecht sein? Werber jagten nach dem ultimativen authentischen Moment, der bestenfalls so glaubhaft transportiert wird, als hätte tatsächlich ein guter Freund das Produkt empfohlen. Nach den Straßeninterviews der Marke Fielmann, die im Marketing-Sprech »Referenzkunden-Kampagne« heißen, ist Influencer-Marketing der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.

Der Schein von Authentizität bleibt nur so lange erhalten, wie die Betrachter nicht damit konfrontiert werden, dass sie eben doch nur schnöde Werbung sehen. Hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht bewegen sich Influencer in einer Grauzone. Viele versehen ihre Postings mit einem Hin­weis darauf, dass es sich um eine Anzeige handelt – etwa dann, wenn ein Unternehmen sie explizit für ­einen Produkttest oder ein Shooting bezahlt hat. Kontrollieren kann das aber niemand. Aus einer weiteren Befragung der Marketing-Konferenz Inreach ging hervor, dass zehn Prozent der Influencer die Kennzeichnung für Werbung umgehen.

Die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen. Wer weiß schon, wann eine Influencerin etwas persönlich empfiehlt und wann sie dafür bezahlt wurde – und warum sollte sie nicht mögen lernen, was ihr Unternehmen zuschicken? Viele Spieletester auf Youtube werden beispielsweise für die Besprechung eines Game bezahlt. Darauf weisen sie dann in der Regel hin, rezensieren das Produkt aber dennoch in ihrem Stil – und schon ist der Werbehinweis vergessen und der freundschaftliche Ton hergestellt.

Die jungen Fans der Online-Protagonisten wünschen sich dieses Zuhause-Gefühl: Ein echter Mensch, der regelmäßig Dinge aus seinem täglichen Leben erzählt und mit dem man sogar interagieren kann, denn am Ende eines jeden Videos wird man aufgefordert: »Schreibt’s mir in die Kommentare!«

Wie die erfolgreiche Kundenbindung qua verkauftem Freundschaftsgefühl am besten gelingt, lernen die Akteure entweder über den Seismographen des Kontostands oder an der Influencer-Akademie. Den Unternehmen gefällt das und es sieht so aus, als sei Influencer-Marketing keine vorübergehende Erscheinung. Eine Studie der US-amerikanischen »Association of National Advertisers« gibt an, dass bereits drei Viertel der 158 befragten Marketer in US-Unternehmen Influencer in ihre Strategie miteinbeziehen, knapp die Hälfte möchte ihre Investitionen in diesem Feld zukünftig steigern.

Die Facebook-Seite »Perlen des Influencer-Marketings« sammelt die kuriosesten Blüten der Onlinevermarktung. Lächerlich wird ein Posting dann, wenn das Spannungsverhältnis zwischen warmherziger Intimität und instrumentellem Werbesprech allzu offensichtlich wird. Seiten wie diese zeigen, dass ein Bewusstsein für die Scheinwelt der Influencer exis­tiert. Donna Adrienne, die vorgeblich ironisch in Wurst badete, demaskierte ihre eigene Aufmerksamkeitsökonomie in einem anderen freizügigen Bild: »Nacktbilder sind immer der beste Weg für mehr Aufmerksamkeit«, schrieb sie und warb anschließend für die Anschaffung eines Organspendeausweises.

Es gibt durchaus einflussreiche ­Social-Media-Protagonisten, die nicht als Influencer tätig sind: zum Beispiel Netzfeministinnen, die sich gegen Sexismus aussprechen, oder solche, die ihre Follower über psy­chische Krankheiten, Süchte oder Verlust aufklären. Die wirklich großen Reichweiten schaffen aber meist nur die, die sich innerhalb der Markttauglichkeit bewegen. The revolution will not be influenced.