Viele Unternehmen sehen durch die Datenschutzverordnung der EU ihre Geschäftsmodelle bedroht

Schlacht um die Daten

Die europäische Datenschutzverordnung soll durch die E-Privacy-Richtlinie ergänzt werden. Vor allem Werbewirtschaft und Medienkonzerne sehen dadurch ihre Geschäftsmodelle bedroht.

Wer auf Online-Shoppingportalen oft nach Nerzfellmützen und Penis­pumpen (für einen Freund) sucht, wird auch beim Besuch anderer Internet­seiten auf auffällig viel Bannerwerbung für die begehrten Kopfbedeckungen und Plastikzylinder stoßen. Reklame im Netz wird immer mehr auf die ­einzelnen Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten. Das machen Cookies möglich, jene kleinen Dateien, die für Unternehmen das Surfverhalten der Einzelnen archivieren. Mit den gewonnenen Informationen lässt sich ein Nutzerprofil erstellen und Werbung ­individualisieren. Die Idee dahinter ist simpel: Anzeigen, die auf spezifische Interessen und Vorlieben abzielen, sind bei der Kundenakquise effektiv. Weniger lässt sich das von Videoclips von ­Supermarktketten und Bekleidungsgeschäften auf Youtube sagen, die die breite Masse als Zielgruppe auserkoren haben. Verhindern lässt sich das Tracking durch Cookies etwa durch manuelle Browsereinstellungen oder die ­Nutzung von VPN-Netzwerken, die die IP-Adressen der Nutzer anonymi­sieren.

Für die Werbebranche und die von Anzeigen abhängigen Medienkonzerne werden Cookies und andere Tracking-Methoden immer wichtiger, um im ­Internet Geld zu verdienen. Datenschützer fürchten dagegen um die informationelle Selbstbestimmung und die Privatsphäre der Nutzerinnen und ­Nutzer. Der Konflikt stand im Zentrum der Verhandlungen über die Europäische Datenschutzverordnung (DSGVO), die am 25. Mai offiziell in Kraft tritt. Flankiert wird sie durch eine E-Privacy Richtlinie, die noch nicht in den Rang einer Verordnung erhoben wurde. Die Richtlinie bezieht sich explizit auf die elektronische Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer, die nicht nur die Metadaten von Telefonaten beinhaltet, sondern auch das Surfen, das Shoppen oder das Spielen im Netz. Face­book und Whatsapp sind davon genauso betroffen wie Verlage, E-Commerce-Anbieter und Online-Spiele. Die E-Privacy-Richtlinie behandelt Themen wie ­Tracking, Cookies und andere Aspekte des Online-Marketing, auf die die ­DSGVO nicht detailliert eingeht.
Die bisher geltende Regelung zum Thema E-Privacy stammt aus dem Jahr 2002.

Die auf datenbasierte Werbung angewiesene Internetwirtschaft hat es immer schwerer, Geld zu verdienen.

Im Januar 2017 legte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Erneuerung der Vorschrift vor. Die Kommission versprach darin unter anderem einen einfacheren Umgang mit Cookies im Browser, das Verbot von Werbe-E-Mails ohne Nutzerzustimmung und eine Ausweitung der Regeln auf neuere Dienste wie Whatsapp, Face­book oder Skype. Der Justiz- und Innenausschuss des Europäischen ­Parlaments ging mit einem eigenen Vorschlag im Herbst sogar noch weiter: Bei Browser-Anbietern wie Microsoft, Google und Mozilla werden Nutzerinnen und Nutzer für die Zustimmung zu einer Cookie-Setzung aktiv ihre Browsereinstellungen ändern müssen. Das bedeutet: Internet Explorer, ­Chrome oder Firefox würden jede Abfrage von Nutzerdaten durch Dritte standardmäßig blockieren. Unternehmen könnten dann legal nur noch ­diejenigen tracken, die dies ausdrücklich vorher erlaubt haben.

Der Vorschlag des Ausschusses zum Thema E-Privacy enthält noch weitere Punkte: Offline-Tracking durch Blue­tooth- oder W-LAN-Signale in Flug­häfen oder Einkaufszentren soll zum Beispiel begrenzt werden. Eine Daten­erhebung wäre dann nur für statistisches Zählen zulässig. Außerdem ­sollen bei Ausnahmen von der vertraulichen Kommunikation für die Strafverfolgung oder Terrorabwehr weitreichende Dokumentationspflichten für die Unternehmen eingeführt werden.

 

Anbieter von Kommunikationsdiensten sollen dann Daten über staatliche ­Zugriffe festhalten und auf Anfrage an die zuständigen Datenschutzbehörden übermitteln. Das Parlament nahm den verbraucherfreundlichen Vorschlag des Ausschusses im Oktober an. Um die Verordnung in Kraft zu setzen, müsste zunächst der Rat der EU zustimmen. Im Rat sitzen die Fachminister der Mitgliedsstaaten – sie haben die Beratungen zu dem Thema auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Danach muss noch der sogenannte ­Trilog aus Vertretern von Rat, Parlament und Kommission über die Verordnung entscheiden. Wann dies in diesem Jahr passieren wird, ist nicht bekannt. ­Ursprünglich sollte die E-Privacy-Verordnung am 28. Mai in Kraft treten. Die Pressestelle der EU-Kommission teilte der Jungle World mit, dass der ­Termin nicht eingehalten werden kann.
Befürwortern der neuen Regelung dauert das zu lange. Ende März wandten sich 20 europäische Bürgerrecht-NGOs, darunter die Digitale Gesellschaft aus Deutschland, in einem offenen Brief an die Regierungen der Mitgliedsstaaten. Sie fürchten, der Lobbyismus der Daten- und Werbeunternehmen könnte sich beim Trilog durchsetzen und den Vorschlag des Parlaments aufweichen. »Trotz der klaren und dringenden Notwendigkeit, die Privatsphäre und den Schutz elektronischer Kommunikation zu stärken, kommen die Verhandlungen im Rat nicht zu einem Ergebnis«, heißt es in dem Brief. »Einige Mitgliedsstaaten scheinen gewillt, die engstirnigen ­Geschäftsinteressen einer kleinen Zahl großer Internetkonzerne höher zu ­gewichten als die Grundrechte und das Vertrauen in die gesamte europäische Online-Wirtschaft.«

Die NGOs berufen sich in ihrem Brief auf die öffentliche Meinung innerhalb der EU. Einer Umfrage von 2016 zufolge, die von der Kommission in Auftrag gegeben wurde, sind knapp 90 Prozent der EU-Bürger für datenschutzfreundliche Voreinstellungen, einfacheren Schutz vor Tracking und für das Recht auf verschlüsselte Kommunikation. 71 Prozent waren dagegen, dass Unternehmen individuelle Daten ohne ­Zustimmung für Werbezwecke nutzen.

Doch die Lobbyarbeit der Digitalwirtschaft scheint zumindest in Teilen erfolgreich gewesen zu sein. Der aktuelle »Kompromissvorschlag« des Rats sieht vor, dass bei Cookie-Anfragen auf Websites ein einmaliger Zustimmungs-klick für die Weitergabe von Daten an Dritte genügen soll.
Aus Sicht der Kommunikationsbranche sind die Datenschutzanliegen des EU-Parlaments hinderlich für die Gewinnmaximierung – und für den Einsatz von Big Data. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) argumentiert, Reichweitenmessungen würden mit der neuen Regulierung unmöglich. »Ehemals kostenfreie Internet­angebote werden kostenpflichtig oder mangels Finanzierungsgrundlage ganz verschwinden«, so Thomas Duhr, Vizepräsident des BVDW.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger befürchtet, dass Pressehäuser künftig gezwungen werden könnten, den Nutzerinnen und Nutzern ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, »auch wenn diese nicht in die zur Erstellung und Finanzierung der Angebote notwendige Datenverarbeitung einwilligten«. Sollte sich Deutschland auf ­EU-Ebene nicht für eine andere Regelung einsetzen, drohten »irreversible Schäden für die Zukunft der freien Presse«, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands.

Der Einsatz Deutschlands erfolgte zumindest in Form einer Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium vergangenen Dezember veröffentlicht hat; Urheber ist die hauseigene Beratungsagentur WIK. In dem Papier ­werden die wirtschaftlichen Auswirkungen einer auf Datenschutz basierenden E-Privacy-Verordnung diskutiert. Es sei zu vermuten, dass »deutlich weniger Verbraucher in die Durchleitung zielgerichteter Werbung mit Hilfe von Cookies einwilligen werden«. Deshalb sei von »einer Reduktion des gesamten digitalen Werbebudgets von etwa ­einem Drittel auszugehen«, so die Prognose. Für die Studie wurden ausschließlich Wirtschaftsvertreter aus der ­Werbe- und Medienbranche befragt – was die Bundesdatenschutzbeauf­tragte Andrea Voßhoff kritisiert. »Leider wurde die Chance vertan, im Rahmen der Studie beispielsweise auch neue Geschäftsmodelle mit datenschutzfreundlichem Tracking des Nutzerverhaltens zu beleuchten. Das in der Studie skizzierte düstere Szenario dürfte ­daher niemanden überraschen, greift aber zu kurz«, so Voßhoff.

Ob dieses düstere Szenario Realität wird, ist fraglich. Tatsache ist, dass die auf datenbasierte Werbung angewiesene Internetwirtschaft es immer schwerer hat, auf dem Anzeigenmarkt Geld zu verdienen. Die Erlöse sinken – und die User nutzen Adblocker, um störende Reklame fernzuhalten. Wie die Zukunft für Webunternehmen aussehen könnte, hat Florian Glatzner von der Verbrauchschutzzentrale Bundesverband im ­Gespräch mit Netzpolitik.org skizziert: »In Zukunft wird es einen Mix aus personenbezogener Werbung auf Basis einer Einwilligung, nichtpersonen­bezogener Werbung, Freemium- und Abomodellen sowie anderen Finan­zierungsweisen geben müssen.«