Russische Studenten protestieren an der Fanmeile gegen die Weltmeisterschaft in Russland

Studenten gegen Ruhestörung

Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland regt sich vielerlei Protest, nicht zuletzt im Internet.

Am Ende fand das Festival doch noch statt. Obwohl das Rektorat der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) keine Mühen scheute, es zu verhindern, verlegten die Studenten die Abschlusskundgebung, die sich gegen die Einrichtung einer Fanzone für die Fußball-Weltmeisterschaft direkt an der Universität richtete, an ein nahe­gelegenes Flussufer. Ursprünglich sollte das für den 21. Mai angekündig­te Festival in den Hauptgebäuden stattfinden. Doch dort begannen plötz­lich intensive Putzarbeiten und Reparaturen an den Fahrstühlen. Massive Präsenz von Polizei und Sicherheitskräften hinderte die Pro­testierenden nicht daran, innerhalb von nur drei Stunden einen Ausweichort für das Konzert der Band Arkadiy Kots zu organisieren. Deren Sänger Nikolai Olejnikow wurde zwar von der Polizei nach der Veranstaltung festgenommen, doch nach eineinhalb Stunden wieder freige­lassen.

Die »Initiativgruppe der MGU«, die die Proteste organisierte, konnte zwar neben Studenten auch zahlreiche Doktoranden und Dozenten hinter sich versammeln, doch das Rektorat unter dem Vorsitz des ­Mathematikers Wiktor Sadownitschi verweigerte jeglichen Dialog, eine Position, die die offiziellen Studenten­organisationen unterstützen. Die Fanzone gilt bereits als auf einer höheren Ebene beschlossene Sache.

Die vorgebrachten Argumente waren, dass die Anwesenheit der Fans Baudenkmäler gefährden und die ökologische Situation im ganzen Stadtteil negativ beeinflussen würde. Auch gab es Einwände von Studenten, die in benachbarten Wohnheimen wohnen, sowie von Mitarbeitern der Universität, dass sie durch die Fanauf­läufe empfindlich in ihrem Alltag gestört werden würden. Die Reaktion auf diese Einwände war Ignoranz, ­lediglich der Vorsitzende der Moskau­er Stadtduma, Alexej Schaposchnikow, versprach auf Anfrage der Protestierenden lapidar, Ohrstöpsel für die unzufriedenen Studenten einzukaufen. Doch nicht nur die kommende Lärmbelästigung macht den Protestierenden Sorgen. Die Fanzone fungiert auch als Legitimation für noch strengere Sicherheitskontrollen auf dem Campus.

Die WM, deren Kosten die der Olympischen Winterspiele von 2014 bei weitem übersteigen, bietet jede Menge Stoff für Unzufriedenheit.

Der Konflikt um die Fanmeile ist nur ein Beispiel, wie kurz vor der WM in Russland Unmutsäußerungen auf die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen treffen. Sowohl die Regierung als auch die Opposition bereiten sich auf den Kampf um die politische Ausnutzung der WM vor. Während über die für Verbreitung von Falschmeldungen bekannten Netzportale immer wieder­ ­Meldungen flattern, die Opposition plane im Auftrag des westlichen Auslands, die WM durch Unruhen zu sabotieren, kündigte der Anführer der »Jungen Garde des Einigen Russland« (MGER), Denis Dawydow, an, sein Jugendverband werde in jeder Millionenstadt Einheiten aus Hunderten von jungen Freiwilligen bilden, die schnell auf mögliche Un­ruhen reagieren könnten. Dawydows Worte lösten in oppositionellen Medien Befürchtungen von möglichen Übergriffen aus. Der Überfall von Männern in Kosakenuniformen auf die Demonstration in Moskau am 5. Mai, bei der auch der bekannte Oppositionelle Alexej Nawalnyj erst ­gesprochen hatte und dann festgenommen wurde, hat solchen Ängste zusätzlich genährt. Zumindest im südrussischen Rostow planen die Kosakenverbände, während der WM in den Straßen neben den staatlichen Sicherheitskräften zu patrouillieren. Dawydow präzisierte seine Aussage später dahingehend, dass seine Junggardisten nicht vorhätten, sich mit mutmaßlichen Unruhestiftern zu prügeln, sondern lediglich sicherstel­len wollten, »dass die Opposition die Straßen nicht beherrscht«. Sollten die Protestierenden jedoch, so Dawydow weiter, anfangen mit ­Steinen zu werfen, dann dürfe die »Junge Garde« nicht zurückweichen. Man werde die Gegner nicht von sich aus angreifen, sich aber auch nicht von ­ihnen ärgern lassen, so die Formulie­rung Dawydows.

Die WM, deren Kosten die der Olym­pischen Winterspiele von 2014 bei weitem übersteigen, bietet jede Menge Stoff für Unzufriedenheit: doch bisher sind keine landesweiten Protestaktionen angekündigt. In den Städten, in denen die Spiele stattfinden, sind die sowieso schon rigiden ­Auf­lagen für Massenversammlungen und Demonstrationen bereits präventiv verschärft worden. Überraschend kam das nicht: Der Kampf gegen Kor­ruption bildet den Minimalkonsens der Opposition. Und einige WM-Städte wie Saransk oder Samara sind in dieser Hinsicht besonders berüchtigt. Nikolai Merkuschkin, der zwischen 1995 und 2012 in Saransk und zwischen 2012 und 2017 in Samara Gouverneur war, ist nicht nur durch seine verbalen Attacken gegen alle oppositionellen Kräfte und für die Rekordwahlergebnisse für Wladimir Putin und seine Partei in den von ihm regierten Regionen bekannt, son­dern auch für die Verstrickung seiner Familie in die lokale Baubranche.

Tief blicken lässt auch die Errichtung der Zenit-Arena in Sankt Petersburg. Es dauerte zehn Jahre, bis das Stadion eingeweiht werden konnte. Die Kosten stiegen beständig, bis heute sind sich offizielle Stellen und Journalisten nicht einig, wei viel es kostete, umgerechnet sind es mittler­weile etwa 930 Millionen Euro. Jedenfalls hat das vor einem Jahr eröff­nete Gebäude zahlreiche Mängel.
Die Informationen über solche Skan­dale schaffen es regelmäßig nur dann, wenn die Protagonisten der Affären plötzlich in Ungnade fallen, ins staatliche Fernsehen oder andere staatsloyale Medien. Umso mehr kön­nen sich Oppositionelle im Netz als Verbreiter »unterdrückter Nachrichten« vor ihrem Publikum profilieren. Nicht umsonst verdankt Alexej Nawal­nyj, zurzeit wohl das bekannteste ­Gesicht der Opposition, seinen Aufstieg nicht so sehr seinem politischen Programm, sondern seinem Ruf als Aufdecker von Korruptions­affären namhafter Politiker aus dem Regierungslager.

Einige bekannte oppositionelle Blogger sind nicht sonderlich wählerisch, was ihre Themenauswahl betrifft. Der 31jährige Dmitri Sokolow, bekannt unter seinem Nick »Kamikadzedead«, ist seit über zehn Jahren im Netz aktiv. Ursprünglich sich zu den Liberalen zählend, unterstützt er jetzt alle Anti-Putin-Proteste, egal aus welchem Lager sie kommen. In seinen viertelstündigen Beiträgen kommentiert Sokolow Internetmeldungen über Unfälle, Proteste, Repression, aber auch Gerüchte – alles, was irgendwie zum Negativbild von Putin beitragen könnte. Dabei scheint es egal zu sein, ob als Zielgruppe der einzelnen Meldungen Befürworter der Verschärfung der Migrationspolitik, russische Muslime oder die internationale Öko­bewegung fungieren.