Die geplante EU-Reform des Urheberrechts bedroht das freie Internet

Angriff auf das freie Internet

Mit einer Copyright-Reform will die EU die Zirkulation von Inhalten im Internet strenger regulieren. Der Einsatz von Upload-Filtern und das Leistungsschutzrecht für Verlage werden als weiterer Schritt in Richtung einer restriktiven Netzpolitik kritisiert.
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Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat am 20. Juni über eine neue »Copyright Directive« oder »Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt« abgestimmt. Bereits Anfang Juli soll die Abstimmung im EU-Parlament folgen.

Besonders umstritten sind die Artikel 11 und 13. Der erste reguliert, was künftig noch im Internet verlinkt, der zweite, was hochgeladen werden darf. Bei beiden geht es um die Durchsetzung von Urheberrechten. Axel Voss, Europaabgeordneter der CDU und Mitverfasser des Entwurfs, findet, dass nicht nur die Nutzer Verantwortung dafür übernehmen müssen, welche Inhalte sie ins Netz stellen, sondern auch die ­Betreiber von Websites. Voss will diese in Haftung nehmen, wenn ihre Nutzer urheberrechtlich geschütztes Material hochladen.

Der Digitalverband Bitkom spricht vom Überschreiten der »Grenze zwischen Kontrolle und Zensur«, Youtuber rufen zu Demonstrationen auf.

Das betrifft nicht nur soziale Netzwerke, sondern auch Youtube und zahllose weitere Websites und Apps. Schließlich gehört das Hochladen von Fotos und Bildern zum digitalen Alltag der meisten Internetnutzer, wann auch immer ein Selfie gepostet, eine Dating-Seite besucht, etwas online verkauft oder in Diskussionsgruppen ein Bild gezeigt wird. Der Artikel 13 der geplanten EU-Richtlinie soll nun nutzergene­rierte Online-Plattformen dazu verpflichten, jeden einzelnen Upload auf Urheberrechte zu überprüfen. Bei den Hunderten Millionen von Uploads, die täglich getätigt werden, kann natürlich ­niemand manuell kontrollieren, ob Urheberrechte verletzen werden. Die ­Inhalte sollen deshalb mittels Algorithmen zur Bildererkennung vor dem Hochladen geprüft, mit einer riesigen Datenbank abgeglichen und entsprechend gefiltert werden.

Das ist nicht nur ein Problem, weil solche Systeme die Bilder nicht mit hundertprozentiger Sicherheit erkennen können. Sie sind beispielsweise auch nicht in der Lage zu unterscheiden, ob ein Bild trotzdem hochgeladen ­werden darf, weil der User oder die Userin vielleicht die Rechte am Bild hat. Das Hochladen eines Bildes würde ebenso zur Glücksache wie das Verschicken einer Sprachnachricht, bei der ­zufällig Musik im Hintergrund läuft. Ebenfalls problematisch dürfte durch den Upload-Filter der Umgang mit Zitaten in Zeitungsartikeln oder mit Satire werden.

Technisch ist die Realisierung solcher Filter sehr komplex. Schließlich müssen die Algorithmen nicht nur Bilder bewerten können, sondern auch Audio- und Videodateien. Streng genommen müssten sogar die Textkommentare, die Nutzer auf Websites hinterlassen, auf mögliche Urheberrechtsverstöße überprüft werden. In der Richtlinie wird nicht deutlich formuliert, welche Anbieter von der Reform betroffen ­wären. Es ist aber davon auszugehen, dass sich ein kleines Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern, sollte es verpflichtet werden, einen Upload-Filter einzurichten, die Kosten einer solchen Technologie gar nicht leisten könnte und sich diese von denjenigen Konzernen mieten müsste, die derlei schon entwickelt haben.
Es sind also wieder einmal die »Großen«, die von einer EU-Regelung profitieren – entweder finanziell oder ­indem sie lästigen Konkurrenten den Zugang zu den Filtersystemen ver­wehren.

Die Richtlinie würde somit einen starken Wettbewerbsnachteil für die europäische Digitalbranche bringen, deren Vertreter derzeit auf die Barrikaden ­gehen. Der Digitalverband Bitkom etwa spricht vom Überschreiten der »Grenze zwischen Kontrolle und Zensur«, ­Youtuber rufen zu Demonstrationen auf. Sogar Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, und der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales veröffentlichten einen offenen Brief, dem sich rund 70 bekannte Internet-Pioniere angeschlossen haben. Denn so etwas wie Wiki­pedia hätte mit Upload-Filtern niemals entstehen können. Die Online-Enzy­klopädie wäre zwar dank hartnäckiger Lobbyarbeit von der neuen Regelung ausgenommen, da sie als gemeinnützige Organisation gilt. Trotzdem stelle der Upload-Filter eine Bedrohung dar: »Der Schaden, der dadurch für das freie und offene Internet entstehen könnte, (...) ist in unseren Augen gravierend«, heißt es im offenen Brief.

 

In Deutschland wollte zunächst kaum jemand solche Upload-Filter. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht sogar explizit, dass sie derlei Filter ­ablehne. Französische Abgeordnete hatten darauf bestanden, während die deutschen das Leistungsschutzrecht für Presseverleger in der Richtlinie ­unterbringen wollten. Nun steht beides drin, damit beide Seiten zufrieden sind.

Das Leistungsschutzrecht ist eine deutsche Spezialität, die es sonst in dieser Form nur noch in Spanien gibt. Wer kürzeste Textschnipsel unter Links zu Presseerzeugnissen anzeigt, wie Suchmaschinen das üblicherweise tun, muss demnach eine Gebühr an den betreffenden Verlag zahlen. Das im August 2013 in Kraft getretene Gesetz entstand auf Betreiben von großen Presseverlagen, unter anderem Axel ­Springer, die damit Google ein wenig von seinen Milliarden an Werbeeinnahmen abknapsen wollten. Allerdings ging das Ansinnen gehörig nach hinten los. Google drohte einfach damit, die betreffenden Websites nicht mehr in den Suchergebnissen anzuzeigen, und bekam eine Gratislizenz. Auf der Strecke blieben kleine Anbieter wie etwa der News-Aggregator Rivva, der fortan auf die Anzeige kurzer Textschnipsel verzichten musste. Die Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte von Medienunternehmen, VG Media, die diese Gebühren eintreiben soll, erzielte nach eigenen Angaben seit Einführung des Leistungsschutzrechts Einnahmen von gerade einmal 30 000 Euro – bei Ausgaben in Höhe von 2,2 Millionen Euro, über­wiegend für Rechtsstreitigkeiten. Erneut heißt der einzige Profiteur des Gesetzes Google.

Vorgesehen ist, dass das Gesetz fünf Jahre nach seiner Verabschiedung ­evaluiert werden soll. Allerdings verschleppt das zuständige Justizmini­sterium diese Evaluierung. Stattdessen soll das Leistungsschutzrecht nun in verschärfter Form auf europäischer Ebene eingeführt werden und findet sich in Artikel 11 der neuen Richtlinie. Künftig könnten kürzeste Wortschnipsel und sogar Überschriften gebührenpflichtig werden. Weil oftmals bereits die URLs einige dieser Wörter enthalten, könnte bereits ein einfacher Link darunter fallen.

Nicht einmal Axel Voss kann klar beantworten, ab wann das Gesetz genau greifen würde. Das müsse halt künftig von Gerichten entschieden werden. Ein einfacher Link würde damit zum juristischen wie finanziellen Risiko. ­Betroffen wären nicht nur Google und Facebook, sondern beispielsweise auch Websites, die Nachrichten zusammenstellen, Blogs, die sich auf Zeitungsartikeln beziehen und Websites, die Faktenchecks betreiben und die Links als Quelle benötigen. Private Nutzer sollen von Artikel 11 zwar ausgenommen sein, allerdings bleibt im Richtlinientext schwammig, was »privat« heißt. Nach gängiger Rechtsprechung wird bereits das Betreiben eines Blogs ohne gewerbliche Interessen als »geschäftsmäßig« betrachtet.

Texte ins Netz stellen, Dateien hochladen und Websites miteinander ­verlinken – all diese Tätigkeiten sind Grundbausteine des Web. Die ge­plante EU-Richtlinie ist deshalb ein Frontalangriff auf die Informations­freiheit im Netz. Dieses droht, zu einem von wenigen Medienhäusern kontrollierten Konsummedium zu werden. Werden Nachrichten nicht mehr per Suchmaschinen und Übersichtsseiten gefunden, werden Menschen, die sich für das Tagesgeschehen interessieren, direkt auf den Seiten der großen Medienunter­nehmen nachsehen. Die kleinen geraten dabei ins Hintertreffen.

Das neue Gesetz fällt in eine Zeit, in der die Datenschutzgrundverordnung das Publizieren im Internet enorm bürokratisiert und in den USA die Regulierungsbehörde FCC gerade die Netzneutralität abgeschafft hat. Sie besagt, dass alle In­halte gleichberechtigt durchgeleitet werden müssen.  

2018 ist also kein gutes Jahr für das freie Internet. Dabei ließe sich in ­Europa das Schlimmste noch verhindern. Denn die Artikel 11 und 13 sind im Rechtsausschuss mit einer knappen Mehrheit von konservativen, liberalen und rechten Abgeordneten angenommen worden. Das Europaparlament stimmt voraussichtlich Anfang Juli über die Richtlinie ab.

Anschließend muss sie noch im europäischen Rat verhandelt werden, bevor sie gegen Ende des Jahres endgültig beschlossen werden könnte. Es ist also noch Zeit, die Richt­linie durch öffentlichen Druck zu verhindern.