Seehofers Rücktritt vom Rücktritt und Merkels widersprüchliche Politik

Das Ende des Merkelismus

Seite 2

Auch die bayerische Nebenaußenpolitik der CSU wäre dann in Frage gestellt. So war der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, einer der wichtigsten Gegenspieler Merkels auf internationaler Ebene, bereits im Herbst 2015 ein gerngesehener Gast der CSU-Landesgruppe. Mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und dem italienischen Innenminister Matteo Salvini (Lega) hatte Seehofer in seinem Kampf gegen die angebliche »Herrschaft des Unrechts« mehr Gemeinsamkeiten als die Kanzlerin. Das Drohpotential, das »Madame Non« in der Euro-Krise zur Durchsetzung ihrer Austeritätspolitik ausspielen konnte, steht ihr in der Migrations­politik nicht zur Verfügung. Schließlich verfügt Deutschland über keine EU-­Außengrenzen und ist bei der Reform und Wiedereinsetzung der Dublin-­Verfahren maßgeblich auf Italien angewiesen.

Auf dass sich der Sommer der »Willkommenskultur« nicht wiederhole! Diese Losung verbindet Merkel zumindest rhetorisch mit ihren schärfsten Kritikern in der CSU.

Nicht nur in der Asylpolitik kämpfen derzeit zwei Strömungen in der Union. Der Nationalstaatler Seehofer will zurück zum alten Status quo, der 1993 mit dem sogenannten Asylkompromiss begründet und mit der Drittstaaten­regelung der Dublin-Verfahren verfestigt wurde. Während Seehofer die Illusion schürt, dieser Zustand könne mit ­einem 63  Punkte umfassenden, der Öffentlichkeit lange unbekannten Masterplan wiederhergestellt werden, will die »Europäerin« Merkel eine Verbundlösung. Über die Konflikte innerhalb der EU konnte ihr Auftritt in Brüssel nicht hinwegtäuschen. Und innenpolitisch schwindet mit der Spaltung der Union nun die Machtbasis.

Obwohl die Kanzlerin noch immer als »Flüchtlingskanzlerin« bezeichnet wird, war die »Willkommenskultur« nur das Leitmotiv für einen sehr kurzen Spätsommer. Auf die Aussetzung des Dublin-Systems im September 2015 folgte bereits im Oktober das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz im Rahmen des sogenannten Asylpakets I. Merkels Kurs entsprach dabei dem der führenden deutschen Kapitalverbände wie dem Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA) oder dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Beklagten diese 2015 in einer öffentlichen Stellungnahme noch eine »Arbeitskräftelücke«, warnten BDA und BDI kurz danach zusammen mit anderen Verbänden vor einer Über­forderung des deutschen Asylsystems und forderten eine Ausrichtung der ­Politik auf »tatsächlich schutzbedürftige Asylbewerber«. Dass die Stellungnahmen von BDA und BDI aber die Asylpolitik ideologisch als vor allem arbeitsmarktpolitischen Frage be­handelten, wurde kaum kritisch vermerkt.

Den neuen Imperativ ihrer Regierungspolitik hat Merkel längst formuliert. »Eine Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen«, sagte die Kanzlerin bereits auf dem CDU-Parteitag im Dezember 2016. Auf dass sich der Sommer der »Willkommenskultur« nicht wiederhole! Diese Losung verbindet Merkel zumindest rhetorisch mit ihren schärfsten Kritikern in der CSU, über die die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bemerkte, es gehe »manchem ­ihrer Führungsleute« mehr darum, »Merkel loszuwerden als illegale Migranten«.

Der zutreffende Befund der FAZ ist aber nur zu verstehen, wenn das Konfliktfeld nicht ausschließlich in der Asylpolitik gesucht wird. Der Merkelismus war mehr als eine Regierungstechnik des Machterhalts im Krisenreaktionsmodus. Auch Konsenspolitik hat Merkel an entscheidenden Stellen, gerade in den eigenen Reihen, nicht betrieben. Ihr Name steht für den Angriff auf den konservativen Kanon der Union. Die CSU hat dagegen vor allem rhetorische Kraftmeierei zu bieten. Der Schlingerkurs ihres Heimat- und Innenministers in der Rolle des bajuwarischen Grantlers im preußischen Berlin markiert das Scheitern von CDU und CSU als politisch handlungsfähiger Union. Auch wenn Merkel und Seehofer einen langen Abschied zelebrieren.