Auch dieses Jahr wird das Pop-Kultur-Festival in Berlin von BDS-Unterstützern angegriffen

Ein Antisemitismusticket für’s Festival

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Diese Gefühle der Schuld und der Scham seien nicht immer konstruktiv – oft werde »alles, was in der Welt schlecht läuft, sich selbst angelastet«, so Hirsh weiter. Dies würde sich schließlich in einer Weltsicht manifestieren, die in der Infantilisierung von Nichteuropäern und Nichtweißen ende. Diese würden dann »als Kinder ohne Handlungsmacht und politische Verantwortlichkeit konstruiert«.

Die britischen Bands können sich außerdem über einen gleichgesinnten prominenten Politiker freuen: Jeremy Corbyn ist nicht nur Vorsitzender der Labour-Partei und Oppositionsführer im britischen Unterhaus, sondern auch Held der britischen Palästina-Solidaritätsbewegung. Dank ihm hat der Parteivorstand kürzlich eine Definition beschlossen, nach der nicht einmal die Gleichsetzung von jüdischen Israelunterstützern mit Nationalsozialisten grundsätzlich als antisemitisch einzuordnen ist.

Barbara Morgenstern, Sängerin und Musikproduzentin wurde im Rahmen des Pop-Kultur-Festivals im vorigen Jahr per Mail von der Boykottkampagne aufgefordert, ihren Auftritt abzusagen und BDS zu unterstützen. Dem kam sie nicht nach – im Gegensatz zu anderen Künstlern.

Die jüdische Labour-Abgeordnete Margaret Hodge soll Corbyn daraufhin in der vorvergangenen Woche einen »fucking antisemite and racist« genannt haben, wovon sie nur das »fucking« bestreitet. In der Partei bekommt Corbyn also auch Gegenwind (allerdings droht Hodge jetzt ein Disziplinarverfahren), aber ebenso viel Unterstützung von Funktionären und Mitgliedern, deren Hauptbeschäf­tigung die permanente Verurteilung von Israel zu sein scheint.

David Hirsh zufolge werden BDS-Unterstützung und die Leugnung jedes Zusammenhangs zwischen Boykott und Antisemitismus außerdem »mehr und mehr zu Markierungen der Grenzen einer Gemeinschaft der ›Guten‹. Und die Musikszene sorgt sich oft besonders darum, in herrschende Vorstellungen von ›cool‹ und ›gut‹ zu passen.« Außerdem setzt BDS die Künstler unter Druck. Die Taktik: Erst auf die öffentliche Ankündigung warten, dann Druck auf die Eingeladenen auszuüben, um dann gegebenenfalls eine öffentliche Absage zu erzwingen.

Eine, die es wissen muss, ist Barbara Morgenstern. Die Sängerin und Musikproduzentin wurde im Rahmen des Pop-Kultur-Festivals im vorigen Jahr per Mail von der Boykottkampagne aufgefordert, ihren Auftritt abzusagen und BDS zu unterstützen. Dem kam sie nicht nach – im Gegensatz zu anderen Künstlern. »Es gab keinen direkten Austausch oder öffentliche Gespräche, sondern einen Rückzug aus Angst. Diese Entwicklung finde ich besorgniserregend«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Morgenstern warnt, dass BDS »ein Minenfeld« in Deutschland legen könnte. »BDS verhindert den Austausch. Das führt zur Frontenbildung und es ist höchst fragwürdig, ob das dem Friedensprozess im Nahen Osten dienlich ist.«

Auch die Labelmanagerin Anne Haffmans berichtet von solchen Einschüchterungsmethoden. In Deutschland vertritt sie unter anderem John Maus und Richard Dawson – über deren Absagen zeigt sie sich im Gespräch mit der Jungle World betrübt. »BDS sucht sich für seine Agitation von Musikern absichtlich weiche Ziele aus und instrumentalisiert diese für ihre Kampagne«, vermutet sie im Gespräch. »BDS verlangt den Künstlern einfache Antworten auf sehr komplexe Probleme ab und drängt sie zu einer öffentlichen Entscheidung.«

Absichtsvoll werde durch den BDS Zwietracht zwischen Musikern, Festivalbetreibern, Labelmitarbeitern und Agenten gesät, weil alle Parteien dazu genötigt werden, eine politische Meinung zu äußern, die vom BDS dann entsprechend interpretiert werde, so Haffmans weiter. »Die Musiker werden dann verleumdet, wenn sie den Boykott verweigern, oder als Unterstützer bezeichnet, wenn sie sich dem Druck von BDS beugen. So können die Musiker nicht gewinnen, außer sie ignorieren die Agitation.« Jede Art von Antwort werde durch den BDS »öffentlichkeitswirksam für die eigenen Zwecke missbraucht«. Haffmans bezeichnet diese Strategie als »Psychoterror«. Man könne nicht von einer freiwilligen Entscheidung zur Unterstützung oder Ablehnung sprechen.

Von diesem Psychoterror will sich das Pop-Kultur-Festival nicht einschüchtern lassen. Die Leiterin Katja Lucker hat eine klare Haltung: »Egal, wie lange, wie oft und wie viel wir da boykottiert werden, wir werden niemals davon abweichen, mit Israel zusammenzuarbeiten«, sagte sie dem Deutschlandfunk. Und auch die meisten Bands lassen sich von der BDS-Kampagne nicht beeindrucken. Die afroamerikanische Musiker- und Dichtergruppe The Last Poets, Vorväter des Rap und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, will auftreten. Ebenso das gefeierte Pariser Duo Agar Agar, die Goth-Musiker Chelsea Wolfe, die Post-Punkgruppe Chastity Belt und die Alternative-Rockband … And You Will Know Us by The Trail of Dead. Aus Deutschland gibt es unter anderem Pop von Drangsal und Punk von Die Nerven. Das Festival findet vom 15. bis zum 17. August auf dem Gelände der Kulturbrauerei in Berlin statt.