Der Streit über die Rentenversicherung geht weiter

Volle Kassen, arme Rentner

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Die Bundesregierung hat einiges vor, unter anderem eine erweiterte Mütterrente, leichte Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner und eine Entlastung für Geringverdiener bei den Beiträgen ohne Rentenabstriche, wie Bundesarbeits- und -sozialminister Hubertus Heil (SPD) kürzlich ankündigte. »Eine Senkung des Rentenbeitrags wäre möglich, wenn die Koalition auf die teuren Leistungsausweitungen in der Rentenversicherung verzichten würde«, sagte dagegen Steffen Kampeter, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber­verbände (BDA).

Auf den ersten Blick profitieren ­Arbeitgeber und Arbeitnehmer von einer Beitragssatzsenkung gleichermaßen. Doch während bei Beschäftigten der Nettolohn nur geringfügig steigt, sparen Unternehmen unter Umständen große Summen – umso mehr, je mehr Leute sie angestellt haben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt denn auch vor »kurzsichtigen« Beitragssenkungen. Die Arbeitnehmervertreter wollen, dass die gute Kassen­lage der Rentenversicherung für ein »dauerhaft höheres Rentenniveau« ­genutzt wird.

Das Rentenniveau ist ein statistischer Wert. Er ergibt sich aus dem Verhältnis des aktuellen Durchschnitts­verdiensts und der Rentenhöhe eines Beschäftigten, der 45 Jahre lang diesen Durchschnittsverdienst hatte, dem sogenannten Eckrentner. Ein Rentenniveau von 48 Prozent bedeutet, dass der Eckrentner 48 Prozent des Durchschnittslohns bekommt. Wer weniger verdient hat als der Eckrentner, bekommt entsprechend weniger. Wer mehr hatte, bekommt mehr.

Arbeitsminister Heil hat angekündigt, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 bei 48 Prozent bleiben soll. Was danach geschehen soll, bleibt offen. Gleichzeitig will Heil, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigt. Diese »doppelte Haltelinie« wird voraussichtlich 30 Milliarden Euro kosten, wobei 19 Milliarden aus Beiträgen und elf Milliarden als Steuerzuschuss in die Rentenkasse fließen sollen. Der DGB begrüßte Heils Pläne geradezu enthusiastisch. Mit dem Paket werde »endlich der automatische Renten-Sinkflug gestoppt, und zwar per Gesetz«, sagte das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.

Für Schritte in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend hält der Sozialverband VdK Heils Pläne. Der VdK fordert, dass das Rentenniveau wieder auf 50 Prozent erhöht wird. Ein Staat wie Deutschland müsse sich ein ­gerechtes Rentensystem leisten können und wollen, findet der Verband. Um das zu erreichen, sollten nicht nur Steuerzuschüsse eine Option sein. »In ­Österreich ist beispielsweise der Rentenversicherungsbeitrag der Arbeitgeber höher als der Beitrag der Arbeitnehmer. Solche Formen der Finanzierung dürfen kein Tabu sein«, sagte die VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Bereits jetzt können allerdings viele Menschen nicht mehr von ihre Rente leben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind Rentner die größte Gruppe unter den sogenannten Minijobbern. Die Zahl der Rentner mit ­Minijob hat sich zwischen 2003 und 2017 auf mehr als eine Million ver­doppelt – und das in einer Generation, die noch nicht unter dem vollen Ausmaß der Kürzungen der rot-grünen Reform von 2002 und der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre leidet.