ჯუნგლები - Die Tradition der Hobby-Weinküfer

In die Tonne getreten

Viele Georgier stellen in Garagen und Kammern Wein her – eine jahrtausendealte Tradition, die auch die islamische und die spätsowjetische Prohibition überlebte.

Tamaz ist Ingenieur und lebt in der Plattenbausiedlung Gldani am Rande von Tiflis. In seiner unscheinbaren Garage stellt er seit vielen Jahren Wein her. Im Kämmerchen hinter dem Stellplatz für sein Auto stehen Tisch, Sofa und ein Metallregal mit Wasserkanistern, die einige Wochen nach der Weinernte im September wieder mit bernsteinfarbenem Weißwein gefüllt sein werden.

Tamaz kauft seine Trauben in Kachetien. Wie die meisten georgischen Weinküfer achtet er auf Sortenreinheit: Nur die Rebsorte Rkaziteli, die seit über 5 000 Jahren zur Weinherstellung genutzt wird, landet in den drei 500-Liter Regentonnen aus Plastik. Zuvor sortiert Tamaz unreife und faule Beeren aus und entfernt die Stile. Tamaz presst die Trauben aus, indem er sie vollständig in den Behälter wirft und darin zerstampft. Er nennt das die georgische Methode. Die Europäer filtern die Maische, also Schale, Fruchtfleisch und Kerne, gleich beim Pressen der Beeren aus, erklärt Tamaz. Zweimal täglich mischt er den gärenden Inhalt durch.

Bis 1985 boomte die Massenproduktion von Wein in Georgien. Erst die Alkoholprohibition unter Gorbatschow beendete diesen Trend und zugleich die Existenz zahlreicher Weingüter.

Während dieser ungefähr zehn Tage dauernden Prozedur hofft er auf gleichmäßige Temperaturen von 18 bis 20 Grad Celsius in seiner ­Garage. Danach füllt er den jungen Wein ab.

Tamaz würde anstelle der Plastikfässer lieber in kachetischer Tradition einen Quevri benutzen. Diese tönernen Amphoren werden seit Jahrtausenden zur Gärung, Reifung und ­Lagerung verwendet. Um gleichmäßige Temperaturen zu gewährleisten, werden die Quevris bis zum Hals im Boden vergraben. Dazu eignet sich Tamaz Garage nicht.

Die weltweit ältesten archäologischen Nachweise für Weinanbau stammen aus dem heutigen Georgien um circa 5 800 v. Chr. Die ältesten gefundenen Quevris sind 2 800 Jahre alt. Von Jason und den Argonauten heißt es, sie hätten beim Palast von Kolchis einen Brunnen mit Wein ­gefunden.

In der Spätantike, um 326 n. Chr., bekehrte die Heilige Nino Georgien als eines der ersten Länder der Welt zum Christentum. Es heißt, dass Nino ein Kreuz aus Weinreben trug, zusammengehalten aus einem Geflecht ihres eigenen Haars. Ihr Rebenkreuz ist Bestandteil des Wappens der Georgischen Orthodoxen Kirche. In manchen alten Kirchen ist vor dem Altar ein Quevri in die Erde eingelassen.

Die Neuzeit brachte persische und osmanische Besatzung. Das muslimische Recht verbot den Weinanbau. Das änderte sich erst mit dem wachsenden Einfluss Russlands zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Bis 1985 boomte die Massenproduktion von Wein in Georgien. Erst die Alkoholprohibition unter Gorbatschow (1985–1991) beendete diesen Trend und zugleich die Existenz zahlreicher Weingüter.

Mit der Sowjetunion endete auch die unpopuläre Prohibition. Georgischer Wein genoß einen guten Ruf in Russland – die dort verkaufte Menge »georgischen« Weins war bis 2005 doppelt so hoch wie die tatsächlich produzierte Menge. Einige Hersteller nutzten den Hype für üble Panschereien. 2006 verhängte Russland ein Embargo gegen georgischen und moldawischen Wein. Da 80 Prozent des georgischen Weins nach Russland verkauft wurden, sah sich der georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili im Mai 2006 zu einem Statement genötigt: »Viele georgische Weinhersteller haben gepanschten Wein nach Russland exportiert, weil man auf dem russischen Markt jeden Scheiß verkaufen kann.«

Die russischen Sanktionen wurden 2013 aufgehoben, doch inzwischen verkauft Georgien Wein in 50 Länder, vor allem in die Ukraine. Viele Betriebe haben auf die euro­päische Produktionsweise umgestellt oder produzieren spezielle Qualitätsweine.

Im Westen des Landes liegen die Anbaugebiete in zerklüfteten Bergen, und die Böden unterscheiden sich stark in ihrer Zusammensetzung. Etwa 70 Prozent der Trauben wachsen in Kachetien im Osten ­Georgiens. Durch die mehrmonatige Lagerung des Weins in Maische ­entstehen eine herbe Note und die Bernsteinfarbe des Weißweins. Wer nur Wein in europäischem Stil kennt, benötigt einige Übung, um in den herben Noten georgischen Weins die Geschmacksvielfalt zu erkennen.

Nach dem Abfüllen des jungen Weißweins in die Wasserkanister ­verwendet Tamaz die Maische, um daraus in zwei Brennvorgängen Chacha, einen populären georgischen Schnaps, herzustellen. Er erinnert geschmacklich an italienischen Grappa. Das erkennen auch ungeschulte europäische Gaumen zumeist auf Anhieb.