ჯუნგლები - In einem ehemaligen Studentenwohnheim leben heute Binnenflüchtlinge aus Abchasien

Gestrandet in Tiflis

Seite 2

An der Brüstung sind Satellitenschüsseln und abenteuerliche Antennenkonstruktionen befestigt. An ­einem Kamin lehnt ein alter Sessel, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Michael verteilt seine Ferngläser. »Das ist mein bestes Baby«, sagt er über ein Fernglas mit dreibeinigem Stativ. »70fache Vergrößerung!«

Der Blick über Tiflis ist atemberaubend. In der Ferne bewaldete Hügel, davor haufenweise Plattenbauten, rechts davon die Altstadt. Unterhalb des Wohnheims schlängelt sich ein schlammigbraunes Rinnsal durch einen mehrere Hundert Meter breiten Graben, die Vere. Nach schweren Unwettern war der Fluss im Juni vor drei Jahren über die Ufer getreten und hatte diverse Viertel von Tiflis überschwemmt. Das Bild eines Flusspferds, das bei dieser Gelegenheit wie andere Wildtiere aus dem Zoo ausgebrochen war und auf der überschwemmten Hauptstraße herumlief, machte international Furore.

Ganz in der Nähe führt eine kleine Seilbahn über den Flusslauf, unbeschäftigt hängen zwei weißblaue Gondeln über dem Rinnsal. Die Seilbahn wurde kürzlich repariert, aus unerfindlichen Gründen aber noch nicht wieder in Betrieb genommen. In weiterer Entfernung leuchtet knallrot eine frisch renovierte Brücke aus Beton und Stahl. Jenseits des Flusslaufs steht ein moderner halbrunder Wohnkomplex in gleißendem Weiß, dahinter ein Hochhaus und ein Wohnblock im Rohbau, nahebei sind mehrere große Universitätsgebäude verstreut, eines davon mit zwei Observatorien auf dem Dach. Diesseits des Flusses liegen einige Dutzend schicke Wohnhäuser und Villen an einem Hang, in einiger Distanz zu den Unterkünften der Normalsterblichen. »Das ist nur für die Reichen«, sagt Guliko. Sie zeigt auf eine neue kleine Straße direkt unterhalb des Dachs. »Saakaschwili« – von 2004 bis 2013 georgischer Staatspräsident mit ­autoritärer Tendenz – »hat nichts für uns getan«, sagt sie. »Die Straße hat erst die Regierung nach ihm gebaut. Jetzt können kleine Busse direkt bis vors Haus fahren.«

Auf dem Weg nach unten drückt jemand im Aufzug versehentlich auf eine Taste. Alle Knöpfe leuchten rot auf, rumpelnd bleibt der Fahrstuhl stehen. Einige Kinder, die in diesem Stockwerk auf der staubigen Fläche vor dem Aufzug spielen, machen große Augen, als die Fahrstuhltür sich öffnet. »Hat jemand noch eine Münze?« Eine letzte findet sich.

Der Abschied naht. »Hätte ich gewusst, dass ich hier solange festhänge«, sagt Guliko, »wäre ich nach Deutschland gegangen.«