ჯუნგლები- Das Center for Contempory Art ist in Tiflis überall

Kunst im Bau

Viele Künstlerinnen und Künstler in Tiflis sehen die kommerzielle Werkproduktion kritisch. Sie betrachten ihre Arbeit als Mittel der gesellschaftlichen Veränderung.

Wer durch das Stadtzentrum von Tiflis läuft, stößt an vielen Ecken auf Kunstgalerien und -cafés, Ausstellungsräume und Geschäfte für Kunst und kunsthandwerkliche Erzeugnisse. Es gibt nicht nur unzählige Stände, die in den Einkaufs- und Flaniermeilen folkloristische Malereien mit standardisierten Motiven feilbieten. Auch für den gehobeneren Kunstgeschmack bietet eine ganze Reihe von Galerien und Kunstboutiquen Einzelstücke von einheimischen Künstlerinnen und Künstlern zum Verkauf. Die Mehrzahl dieser Läden ist, wie der überwiegende Teil der gesamten touristischen Infrastruktur, nicht älter als fünf Jahre. Eine der älteren Institutionen für Gegenwartskunst, die allerdings keine Ausstellungsräume hat, ist das Center for Contemporary Art (CCA).

Der Anspruch ist explizit, nicht profitorientiert zu arbeiten. Der Verweis auf die neuen Verkaufsgalerien und die darin ausgestellten Werke ruft bei einigen sogar ein leichtes Naserümpfen hervor.

Das CCA wurde 2010 gegründet. Der Gründer und Leiter, Wato Tsereteli, von Haus aus Fotograf, engagiert sich in der Kunstszene der Stadt und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Verbindungen zwischen Politik, Kunst und Bevölkerung zu knüpfen und aufrechtzuerhalten. Er selbst war einige Jahre Berater im Kultusministerium und hält bis heute gute Kontakte zu politischen Kreisen. Er gründete das Institut vor allem, weil es von staatlicher Seite weder Räume noch Institutionen zur Vermittlung von Gegenwartskunst gab. »Die Lehre an der Kunstakademie hatte zwar den sozialistischen Realismus überwunden, war aber ansonsten völlig ideenlos, die jüngsten Werke in den öffentlichen Museen stammten aus der Zeit der Georgischen Avantgarde um 1920. Wer etwas machen wollte, musste es selbst organisieren. Öffentliche Hilfe gab es dabei nicht«, erinnert er sich. Gleichzeitig galt aber wegen der desolaten politischen Lage aber auch: »Alles ist machbar.«

Das CCA ist heute nicht nur in diversen Bereichen der Tifliser Kunstszene aktiv, sondern organisiert auch mit Hilfe europäischer und georgischer Kultur- und Bildungsfördermittel internationale Ausstellungen und Austauschprogramme für Künstler und Künstlerinnen. Das wohl wichtigste Projekt ist jedoch ein Studiengang, bei dem bis zu 20 Teilnehmer innerhalb von neun Monaten einen vom CCA als »informellen Master« bezeichneten Abschluss in »Creative Mediation« machen können. Wechselnde Experten unter anderem aus den Bereichen bildender Kunst, Video-, Sound- und Installationskunst leiten die Studierenden bei Projekten in ihren jeweiligen Fachgebieten an; auch Philosophie, Soziologie und Literatur stehen auf dem Lehrplan. Das Ziel sei immer, die Absolventinnen und Absolventen in die Lage zu versetzen, mit künstlerischen Mitteln ihrer Wahl gesellschaftliche Veränderungen anzuregen, sagt ­Tsereteli.

Der Auffassung des CCA und seiner Protagonisten zufolge kann künstlerische Arbeit nicht nur darin bestehen, kommerziell verwertbare Objekte herzustellen. Der Anspruch ist explizit, nicht profitorientiert zu arbeiten. Der Verweis auf die zahlreichen neuen Verkaufsgalerien und die darin ausgestellten Werke ruft bei einigen sogar ein leichtes Naserümpfen hervor. Vielmehr sollte Kunst immer auch ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, indem sie auf Missstände reagiert, neue Perspektiven und Ideen – oder nötigenfalls auch alte Kulturtechniken – vermittelt und neue Beziehungen knüpft: Kunst als eine Form des politischen Aktivismus. »Grundsätzlich besteht unser Konzept immer darin, die Kunst aus den Ateliers heraus­zuholen und auf die Realität zu richten«, erläutert Tsereteli seinen ­Ansatz.

 

Die Tifliser Kunsttriennale, die vom CCA ins Leben gerufen wurde und 2012 zum ersten Mal stattfand, stand dementsprechend im ersten Jahr unter dem Motto »Gesundheit« – der georgische Ausdruck bedeutet wörtlich »komplette Seele«. »Die georgische Gesellschaft war damals nach vier Kriegen dysfunktional, verunsichert und traumatisiert«, sagt Tsereteli. Alle gezeigten Kunstwerke beschäftigten sich mit der Frage, wie eine Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen langfristig und behutsam wieder geheilt werden können. Auch das Motto der zweiten Triennale 2015, »Self Organized Systems«, greift das Thema der Selbsthilfe wieder auf.

Das CCA ist auch bestrebt, Kunst in die entlegenen Regionen Georgiens zu bringen. Hierfür wurden und werden in zwölf Dörfern Räume geschaffen, in denen Ausstellungen und Gespräche über Kultur, Kunst, Agrikultur und andere Themen stattfinden. Die Bewohner und Bewohnerinnen, deren Leben von Resignation geprägt ist, sollen dazu angeregt werden, neue Perspektiven zu entwickeln, erläutert Tsereteli. Es gehe darum, »Prozesse anzustoßen«.

Lali Pertenava, die ebenfalls im Umfeld des CCA aktiv ist, plant derzeit eine besonders ambitionierte Form der künstlerischen Begegnung: Für die im Herbst stattfindende Architekturbiennale organisiert sie ein Projekt zur Gestaltung urbaner Lebensräume, bei dem ausgewählte Künstlerinnen und Künstler ihre Werke in den Wohnungen eines Hochhauses – in dem Pertenava selbst seit vielen Jahren lebt – in einer Schlafstadt am Rand von Tiflis ausstellen. Die Begegnungen im Hochhaus sind Pertenava zufolge von gegenseitigem Misstrauen geprägt: »Man sieht hier, wie entkoppelt die beiden Welten tatsächlich sind. Meine Nachbarn halten die Künstler ­allesamt für Verrückte, die Künstler unterstellen ihnen im Gegenzug, dass sie Banausen sind. Es ist eine Ablehnung auf beiden Seiten zu spüren, die zugleich auch Angst vor Ablehnung enthält. Das alles zu überwinden, wird sicherlich keine leichte Aufgabe.«

Seit der Gründung des CCA hat sich in der Tifliser Kunstszene einiges getan; nicht zuletzt auch durch die Aktivitäten des Instituts. So gibt es neben den zahlreichen neuen Gale­rien – allein in diesem Jahr wurden vier eröffnet – mittlerweile auch ein staatliches Museum, das in einer ehemaligen Karawanserei georgische Gegenwartskunst zeigt. Einige der Absolventinnen und Absolventen des »Creative Mediation«-Programms sind inzwischen international erfolgreich. Nicht wenige von ihnen stellen ihre Werke in den Galerien der Stadt aus, etwa in der Galerie Artbeat, die erst im letzten Jahr eigene Räume in einem verfallenden Prachtbau in Tiflis bezogen hat, nachdem sie zuvor hatte nur mobile Ausstellungen in Frachtcontainern im ­ganzen Land gezeigt hatte.  

Auch die eine oder andere neue Kunsthandwerk-Boutique, die ihre Waren überwiegend an Touristen verkauft, wird von ehemaligen Schülern des CCA betrieben. Es scheint so, als hätten beinahe alle jungen Künstlerinnen und Künstler in der Stadt eine Verbindung mit dem CCA. Manche betreiben eigene Galerien, wie die Künstlerin Gvantsa Jishkariani, die in zwei Straßenunterführungen im Stadtzentrum zwei winzige Läden gemietet hat. Für sie ist die politische Ambition der Kunstwerke ein wichtiges Auswahlkriterium.

Ihre jüngste Galerie eröffnete mit einer Ausstellung der feministischen Künstlerin und Aktivistin Anouk Beluga. Jishkariani will vor allem Räume zum Experimentieren schaffen: »Als wir die Patara Gallery letzten November eröffneten, gab es nur zwei andere Galerien für Gegenwartskunst, was bedeutete, dass junge Künstler kaum die Möglichkeit bekamen, ihre Werke zu zeigen. Wenn sie dann das Glück hatten, dort ausstellen zu können, war der Druck natürlich entsprechend hoch. Deshalb war es uns wichtig, Räume zu schaffen, in denen Künstler die Möglichkeit haben, auch einmal zu scheitern, ohne dass gleich alles zusammenbricht.«
Mit den kommerziellen Verkaufsgalerien hat man wenig Berührungspunkte, aber es besteht auch keine Feindschaft.

Verdrängungsdruck durch die Gentrifizierung von Tiflis ist bislang für Jishkariani noch nicht spürbar: »Als wir die Galerie angemietet haben, waren die Vermieter zunächst nur etwas misstrauisch. Sie konnten sich nicht vorstellen, was wir dort vorhatten, und dachten, es wäre irgendeine krumme Geschichte. Als sie dann gesehen haben, dass wir wirklich nur Kunst ausstellen, waren sie beruhigt.«

Das CCA allerdings war in diesem Jahr kurzzeitig obdachlos. Es residierte in den Räumen des medizinhistorischen Museums in Tiflis, die inzwischen jedoch wieder ihrem ursprünglichen Zweck dienen. Im Zuge der Triennale im Oktober soll – als Kommentar zu dem »Alien«-Status, der der Gruppe oft zugeschrieben wird – auf dem Gelände einer Freiluft-Bar, die von einer ehemaligen Schülerin geführt wird, eine UFO-ähnliche begehbare Skulptur entstehen,. Hier will das CCA für die nächsten zwei Jahre den Unterricht abhalten. Nach der Triennale sollen dann die neuen Kurse beginnen.