Die Bundesregierung empfängt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan

Safe Space für den Despoten

Vor dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland kritisieren Menschenrechtler, Oppositionelle und ­kurdische Verbände die Türkeipolitik der Bundesregierung und Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit.

Der zweitägige Staatsbesuch des türkischen Präsidenten bedeutet für Berlin den Ausnahmezustand. Wie sonst nur für den US-amerikanischen und israelischen Präsidenten gilt für Recep Tayyip Erdoğan die höchste Sicherheitsstufe. Begleitet von deutschen Kampfjets soll die Maschine des türkischen Präsidenten Donnerstagabend auf dem Flughafen Tegel landen. Bis zu 5 000 Polizisten werden im Stadtgebiet, das in Teilen für den Verkehr gesperrt wird, im Einsatz sein. Auch die GSG9, Spezialeinsatzkommandos und Scharfschützen werden sich in der Stadt befinden.

Neben dem Fußballbundesligaspiel Hertha BSC gegen Bayern München, das am Freitagabend im Berliner Olympiastadion stattfindet, sind es vor allem zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen, die die Polizei beschäftigen werden. Nach dem Empfang mit militärischen Ehren am Freitagmorgen soll Erdoğan Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen. Das Bündnis »Erdoğan Not Welcome« ruft für 16 Uhr zu einer Großkundgebung am Potsdamer Platz auf. Vielleicht wird Erdoğan sie aus der Ferne hören, während er an der Neuen Wache, der »Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« am Boulevard Unter den Linden, einen Kranz niederlegt, bevor er zum offiziellen Staatsbankett ins Schloss Bellevue, den Sitz des Bundespräsidenten, gefahren wird. Bei über anderthalb Kilometern Entfernung in Luftlinie ist das bei Großstadtlärm aber nicht sehr wahrscheinlich.

Neben Mitgliedern des Bundes­kabinetts wird Erdoğan vor allem deutsche Wirtschaftsvertreter treffen.

Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« ruft zur Teilnahme an einer Kundgebung am Freitag um elf Uhr auf dem Washingtonplatz am Hauptbahnhof auf. Gemeinsam mit dem Deutschen Journalistenverband (DJV), der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion, Amnesty International und dem Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit soll für die in der Türkei inhaftierten Journalisten demonstriert werden. Auch nach der Freilassung des Welt-Korrespondenten und Jungle World-Mitherausgebers Deniz Yücel und der Ausreise der Journalistin Meşale Tolu habe sich die Situation für unabhängige Journalisten und Medien in der Türkei nicht verbessert. Bundespräsident und Bundesregierung empfingen einen »Verbrecher, der sich neben vielem anderen des Menschenraubs schuldig gemacht hat«, sagte Yücel vergangene Woche. Sie verrieten damit diejenigen in der Türkei, die sich eine freiheitlich-säkulare Gesellschaft wünschten.

»Aktuell sitzen mehr als 100 Medienschaffende in der Türkei im Gefängnis, bei mindestens 27 hängt die Haft eindeutig mit ihrer journalistischen Tätigkeit zusammen«, heißt es in dem Aufruf von »Reporter ohne Grenzen«. »Es ist eine Ohrfeige ins Gesicht aller verfolgten Journalistinnen und Journalisten in der Türkei, dass Erdoğan in Berlin mit militärischen Ehren empfangen wird«, sagt der DJV-Vorsitzende Frank Überall. Damit signalisierten Bundespräsident und Bundeskanzlerin, dass die Abschaffung der Pressefreiheit eine innertürkische Angelegenheit sei, die die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland nicht trübe. »Die Wahrheit ist: Kritische Journalisten werden als Terrorunterstützer gnadenlos verfolgt«, so Überall.

Eine für den Samstag bereits genehmigte Demonstration der Kurdischen Gemeinde Deutschland am Brandenburger Tor ist untersagt worden. Die Vorbereitungen für den Tag der Deutschen Einheit machten Umbauarbeiten rund um das Brandenburger Tor nötig, hieß es in der Begründung. Weite Teile des Regierungsviertels und die Umgebung des Hotels Adlon am Brandenburger Tor, in dem der türkische Präsident übernachtet, sind zur Sicherheitszone erklärt worden. Ali Ertan Toprak, der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, sieht in dem Verbot »ein bedenkliches Signal der Behörden, das Recht der Demokraten zugunsten eines Despoten einzuschränken«, wie es in einer Pressemitteilung des Verbands heißt.

 

Die Kurdische Gemeinde Deutschland ruft nun dazu auf, gemeinsam mit der Alevitischen Gemeinde am Freitag um 18 Uhr am Bebelplatz zu protestieren. »Wir finden es völlig inakzeptabel, dass die Bundesregierung für den Führer eines Unrechtsregimes den roten Teppich ausrollt, der die Demokratie, die Pressefreiheit, die Rechtstaatlichkeit abgeschafft hat, die Medien gleichschaltet, die Menschenrechte jeden Tag mit Füßen tritt, völkerrechtswidrige Kriege führt und deutsche Staatsbürger als Geiseln nimmt«, sagt Toprak der Jungle World. »Gerade jetzt, wo die Türkei unter Erdoğan wirtschaftlich an die Wand fährt und Unterstützung braucht, ist es doch wichtig, Druck auszuüben, damit die Türkei wieder den Weg zurück zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit findet.«
Doch die Bundesregierung verfolgt mit dem Staatsbesuch das gegenteilige Ziel: die Normalisierung der seit zwei Jahren stark angespannten deutsch-türkischen Beziehungen. Bereits Anfang September hatte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einem Besuch in Ankara angemahnt, die Beziehungen wieder »konstruktiv zu gestalten«. Es folgten mehrere bilaterale Regierungstreffen. Erst vergangene Woche war der türkische Finanzminister, Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak, in Berlin und warb um Investitionen in die türkische Wirtschaft.

Im Juli hat Erdoğan seine politische Macht durch die Installation eines Präsidialsystems gesichert. Doch die sich verschärfende Wirtschaftskrise, der Verfall der Türkischen Lira und die im August von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen haben zuletzt die Schwäche der türkischen Position offenbart.

Zugeständnisse der türkischen Regierung für eine Normalisierung der Beziehungen, etwa in Bezug auf inhaftierte deutsche Staatsbürger, hatte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu während Maas’ Besuch Anfang September strikt abgelehnt. »Bei der Normalisierung kann es keine Bedingungen und auch kein Feilschen geben«, sagte er. Auch die vorübergehende Festnahme des Deutschen Nurali Demir, eines ehemaligen Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Hamburg, am 21. September in Istanbul, und die seit dem 11. September andauernde Inhaftierung des österreichischen Journalisten Max Zirngast, der auch für deutsche Medien schreibt, dürften die angestrebte deutsch-türkische Annäherung nicht gefährden.

Obwohl sich Erdoğan derzeit nicht im Wahlkampf befindet, hätte der türkische Präsident wie bei früheren Besuchen auch diesmal gerne eine Rede vor türkischstämmigen Anhängern in Deutschland gehalten. Die Bundes­regierung hat das offenbar abgelehnt. Neben Mitgliedern des Bundeskabinetts wird Erdoğan vor allem deutsche Wirtschaftsvertreter treffen. Denn Deutschland bleibt für die Türkei der wichtigste Handelspartner. Ein derzeit verhandeltes Geschäft, bei dem es um Milliarden geht, betrifft den Bau einer Panzerfabrik unter Beteiligung des deutschen Konzerns Rheinmetall.

Den gewünschten Kontakt zu den »Auslandstürken« bekommt Erdoğan dennoch. Am Samstag wird er nach Köln reisen, um der

Einweihung der großen Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) beizuwohnen. Ditib untersteht direkt dem Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei und wird ­somit von der AKP-Regierung kontrolliert.

Auch in Köln werden wohl Tausende Gegendemonstranten Erdoğan empfangen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte seine Teilnahme an der Einweihung der Moschee bereits abgesagt, nachdem Ditib bekanntgegeben hatte, dass Erdoğan als Ehrengast empfangen werde. Die parteilose Oberbürgermeisterin Kölns, Henriette Reker, teilte mit, sie wolle nur teilnehmen, wenn ihr Ditib erlaube, eine Rede zu halten. Eine Statistin für Erdoğans Inszenierung wolle sie nicht abgeben.

Obwohl auch Ditib zuletzt seitens der deutschen Politik immer schärferer Kritik ausgesetzt war – so berät etwa der Bundesverfassungsschutz über eine Beobachtung des Kölner Ditib-Zentralverbands, und die Bundesregierung fördert keine Projekte mehr, die in der Trägerschaft des Verbandes liegen –, begründeten Laschet und Reker mit Bedacht ihre Vorbehalte gegen eine Teilnahme an der Moscheeeröffnung nicht mit Kritik an Ditib. Das Problem, so beide unisono, sei Erdoğan. »Der Islam gehört zu Nordrhein-Westfalen und die 1,5 Millionen Muslime sind selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft«, hatte Ministerpräsident Laschet bei der Eröffnung einer Ditib-Moschee in Aachen im Mai gesagt. »Wir stehen zusammen und lassen uns unsere friedliche Gesellschaft nicht durch Hass kaputtmachen.«

»Das ist eine falsche Rücksichtnahme der deutschen Politik«, kritisiert Toprak diese Haltung. »Deutsche Politiker tun so, als wenn alle türkischstämmigen Muslime Mitglieder von Ditib wären. Dabei ist Ditib keine Religionsgemeinschaft im Sinne unserer Verfassung, sondern der verlängerte Arm der türkischen Regierung.« Bereits vor Jahren habe die Kurdische Gemeinde davor gewarnt, dass Ditib-Vertreter Menschen in Deutschland bespitzelten und Andersdenkende denunzierten. Seitdem habe sich der Verband weiter radikalisiert und vertrete immer stärker ein national-islamistisches Weltbild. »Wir dürfen nicht länger zuschauen, wie die türkeistämmige Gesellschaft hier weiter gespalten wird und sich auch radikalisiert«, so Toprak. Erdoğans Besuch in Köln sei eine Machtdemonstration.