In Brasilien hat der Rechts­extreme Jair Bolsonaro die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen

Faschist im Wartestand

Bei den Wahlen in Brasilien wurde der rechtsextreme Kandidat Jair Bolsonaro beinahe schon in der ersten Runde Präsident. Im Abgeordnetenhaus und im Senat konnte die Rechte Sitze dazugewinnen. Bis zur Stichwahl um die Präsidentschaft Ende Oktober droht ein noch aggressiverer Wahlkampf.

Beinahe hätte der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro am Sonntagabend geschafft, was er prophezeit hatte: im ersten Wahlgang über 50 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Am Ende reichte es immerhin für stolze 46 Prozent. Für die brasilianische Linke ist es ein kurzes Aufatmen. Die Stichwahl zwischen Bolsonaro und dem mit 29,3 Prozent der Stimmen Zweitplatzierten, Fernando Haddad von der Arbeiterpartei (PT), soll am 28. Oktober stattfinden. Brasilien hat also noch knapp drei Wochen erbitterten Wahlkampf vor sich. Viele Beobachter halten die diesjährige Wahl für die wichtigste in der Geschichte des Landes.
Der Aufstieg Bolsonaros vom parlamentarischen Außenseiter und Politclown zum möglichen neuen Präsidenten ist Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber der korrupten politischen Führungsschicht des Landes. Vor allem punktet der 63jährige ehemalige Fallschirmjäger mit seinen ­Vorschlägen für eine harte Sicherheitspolitik und liberale Waffengesetze bei der Mittelschicht, die unter der grassierenden Kriminalität im Land leidet. »Menschenrechte nur für gerechte Menschen«, lautet ein beliebter Slogan unter seinen Anhängern. Bolsonaro verunglimpft Minderheiten wie Indigene, die er als Hindernisse für den wirtschaftlichen Fortschritt darstellt. Aus Sicht vieler Angehöriger der Ober- und Mittelschicht standen die Minderheiten zu sehr im Zentrum der Politik der von 2003 bis 2016 regierenden Arbeiterpartei. Kein weiterer Zentimeter an Land würde unter seiner Präsidentschaft zum indigenen Schutzgebiet werden, hatte Bolsonaro mehrfach gesagt.

Mit solchen Aussagen hat er die mächtige Agrarlobby sicher auf seiner Seite. Deren Vertreter konnten im Ab­geordnetenhaus und im Senat, die am Sonntag ebenfalls ganz beziehungsweise zu zwei Dritteln neu gewählt wurden, wieder die meisten Sitze gewinnen. Die parteienübergreifende Fraktion der Agrarlobbyisten hat zahlreiche Gesetzesvorschläge in den Schubladen, um Umwelt- und Arbeitsschutzauf­lagen zu lockern, die Bolsonaro sofort durchsetzen würde. Wohl deshalb ­reagierten die Aktienmärkte positiv auf dessen Wahlerfolg. Dabei gibt der Hauptmann der Reserve selbst zu, von Wirtschaft nichts zu verstehen. Wenn Journalisten nach seinem Wirtschaftsprogramm fragen, verweist er nur auf Paulo Guedes.

Dieser promovierte 1979 an der Universität Chicago in Ökonomie, unter Brasiliens Wirtschaftswissenschaftlern gilt er als Außenseiter. Bolsonaro will ihm als »Superminister« das Finanz-, Wirtschafts- und Planungsministerium unterstellen sowie das Ministerium für Privatisierungen. Guedes propagiert eine umfassende neoliberale Politik und will alle verbliebenen Staatsbetriebe und das ­bestehende Renten- und Bildungssystems privatisieren, um die Staats­schulden zu begleichen. Doch solche Pläne sind in der Bevölkerung unbeliebt. Da Guedes über keinerlei Regierungserfahrung verfügt und noch nie Reformen gegen mächtige Interessengruppen durchsetzen musste, sind ­seine Erfolgsaussichten fraglich.

Die brasilianische Linke fürchtet vor allem, dass Bolsonaro seiner aggressiven Rhetorik Taten folgen lassen könnte. Millionen Brasilianerinnen protestierten in den vergangenen Wochen unter dem Hashtag #elenão (er nicht) gegen den rechten Kandidaten, der immer wieder mit misogynen und rassistischen Aussprüchen aufgefallen war. Die Angst vor Bolsonaro sei nicht ­unbegründet, sagt die spanische Soziologin Esther Solano von der Bundesuniversität von São Paulo: »In Brasilien werden jedes Jahr Hunderte von Transsexuellen, Indigenen, jungen Schwarzen aus der städtischen Peripherie und Quilombolas (Nachfahren entflohener Sklaven, Anm. d. Red.) ermordet. Wenn Bolsonaro genau über diese Bevölkerungsgruppen schimpft, predigt er praktisch den Genozid an ihnen«, sagte sie am Donnerstag vor der Wahl bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin. Oft genug hat Bolsonaro seine Bewunderung für die Militärdiktatur ausgedrückt, unter der Tausende Linke gefoltert und ­ermordet wurden.

Bolsonaro geht zwar mit einem großen Vorsprung in die Stichwahl, doch schlägt ihm auch enorme Ablehnung entgegen. Letzteres gilt allerdings auch für seinen Kontrahenten Haddad. Der wurde erst im August als Ersatz für Luiz Inácio Lula da Silva nominiert, da dieser zu mehr als neun Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt worden war. Es war schon lange absehbar, dass die Gerichte da Silvas Kandidatur nicht zulassen ­würden, wenn er im Gefängnis sitzt. Da nach Ansicht des PT das Urteil ­gegen ihn nicht rechtens ist und noch nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind – das brasilianische Recht erlaubt eine vorzeitige Inhaftierung –, stellte die Partei da Silva zunächst dennoch auf. Es könnte sich als historischer Irrtum des PT erweisen, so lange auf einer Kandidatur des populären ehemaligen Präsidenten bestanden zu haben. Haddad konnte zwar innerhalb nur weniger Wochen bemerkenswert an Zustimmung gewinnen, doch er bleibt nur ein schlechter Ersatz für da Silva. In den Augen vieler Brasilianerinnen und Brasilianer hat der PT abgewirtschaftet.

Angesichts der politischen Polarisierung sind die Ergebnisse der Regionalwahlen in den 27 Bundesstaaten, die ebenfalls am Sonntag stattfanden, bedeutsamer denn je. In neun Bundesstaaten, vor allem im von der Agrarindustrie geprägten Norden und Westen, konnten rechte Kandidaten die Gouverneurswahlen im ersten Wahlgang ­gewinnen. Vier Staaten im armen Nordosten gingen bereits an Kandidaten des PT und der Kommunistischen Partei von Brasilien (PCdoB). Egal wie die Wahl ausgeht, der künftige Präsident hat hier jeweils eine starke Opposition zu erwarten.