In Ungarn ist der antisemitische Raubmörder Iván Héjjas rehabilitiert worden

Juden ermorden im Interesse der Heimat

In Ungarn hat der stellvertretende Parlamentspräsident einen vor rund 100 Jahren tätigen antisemitischen Raubmörder rehabilitiert. Anti­semitismus will sich Ungarns Regierung allerdings nie vorwerfen lassen.

Es war kein gutes Zeugnis für Ungarns Rechtsstaatlichkeit. Im September stellte die niederländische Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Judith Sargentini, einen Bericht vor, der sich mit Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ungarn beschäftigte. Dies ging der Abstimmung im EU-Parlament über die Einleitung eines Verfahrens gegen Ungarn wegen Gefährdung von EU-Grundwerten nach Artikel 7 der EU-Verträge voraus. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán reagierte erbost. Am 17. September sagte er im ungarischen Parlament, dass der Bericht verlogen sei. Er behauptete, in Ungarn herrsche keinerlei Toleranz, was Antisemitismus anginge, im Westen werde der Antisemitismus hingegen stärker. »Den modernen Antisemitismus gibt es in Brüssel, denn von dort werden die feindlichen Aktionen gegen Israel finanziert«, so Orbán.

Damit hat er angesichts der Unterstützung antiisraelischer Organisationen durch die EU nicht unrecht, redet sich aus der Verantwortung seiner Regierung aber fein raus. Nur zwei Tage nach Orbáns Stellungnahme wurde in der ungarischen Stadt Kecskemét das neuste Buch des »Historikers« László Domonkos, »Im Schatten der Héjjas-Pappel«, vorgestellt. Domonkos behauptet unter anderem, während man zur Zeit der Räte­republik 1919 die ungarische Armee zerschlagen habe, sei die Sondereinheit von Iván Héjjas die einzige und letzte organisierte Einheit gewesen, die entsprechend den Vorschriften und »im Interesse der Heimat« gekämpft habe. Während der Präsentation lobte der stellvertretende Parlamentspräsident Sándor Lezsák von der Regierungspartei Fidesz das Buch und sagte: »Die Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben.« Damit meinte er offenbar die Kommunisten, die später die Faschisten besiegten. »Die herrschenden Sieger bestimmen, welche Persönlichkeiten nicht tauglich sind, Helden zu sein«, so Lezsák. Später schrieb er auf seiner Facebook-Seite: »Dies ist der Tag der Rehabilitation von Iván Héjjas.«

Héjjas, ein Oberleutnant der Reserve, hatte im Sommer 1919 von der konterrevolutionären Regierung die Aufgabe erhalten, eine Militäreinheit in Kecskemét und Umgebung zu organisieren. Mitte November, während das Land noch unter rumänischer Besatzung stand, verfügte er über mehrere Hundert Bewaffnete. Er wollte die Kommunisten und Juden, zwischen denen er nicht unterschied, »bestrafen«. Am 15. November 1919, sofort nach Abzug der Besatzer aus Kecskemét, begann er mit seinen Aktionen. In der Nacht verschleppte seine Sondereinheit 18 Menschen, hauptsächlich Juden, die während der Räterepublik keine bedeutenden Positionen innehatten, an einen unbekannten Ort. Einer der Verschleppten, der konservative Rechtsanwalt Rezsö Fritz, hatte sich sogar an den konterrevolutionären Bewegungen beteiligt. Fritz verschwand spurlos, die Leichen drei anderer Juden wurden verstümmelt im Wald von Orgovány gefunden.

Eine Nacht später wüteten Mitglieder der Sondereinheit auch in Izsák. Sie brachen bei drei jüdischen Geschäftsleuten ein und forderten Geld. Sie beraubten und quälten ihre Opfer, erschossen Familienangehörige und verschleppten die drei Männer. Die paramilitärischen Kämpfer brachten sie an den Rand von Orgovány, stachen ihnen die Augen aus, schnitten ihnen die Ohren ab und hängten sie auf.
Während dieser Tage begingen die Untergebenen von Héjjas Dutzende Raubmorde in Kecskemét und Umgebung. Am 19. November 1919 brachen sie in das Gefängnis des Gerichts in Kecskemét ein, verschleppten von dort 36 als Kommunisten verdächtigte Gefangene, schlugen sie mit Bleistangen zusammen und schlachteten sie dann im Wald von Orgovány ab. In der Nacht des 21. November nahm eine Einheit weitere Juden fest und ermordete sie.

Die Verwandten einiger Opfer zeigten bereits am 16. November 1919 die Taten an, die Polizei protokollierte diese lediglich und unternahm nichts. Einige Betroffene wandten sich daraufhin an die US-amerikanische Mission, eine Entente-Kommission reiste an und fand mehrere Dutzend Leichen im Wald. Die Überlebenden und Verwandten der ermordeten Juden wurden noch lange Zeit danach von den ungarischen Behörden schikaniert.

Das Militärgericht, das die Massenmorde später verhandelte, beschuldigte im Juli 1922 die bis dahin festgenommenen Mitglieder der Héjjas-Sondereinheit in zahlreichen Fällen der Verschleppung, des Raubs und des Mordes. Während der Verhandlung verteidigten sich alle Beschuldigten damit, dass sie Befehle von Héjjas ausgeführt hätten. Schließlich verurteilte das Gericht sie nur wegen Raubs. Über Héjjas, der einen wesentlichen Teil des von Juden geraubten Eigentums für sich behielt, entschied es, seine Taten seien von »selbstlosem Patriotismus« geleitet gewesen. Er wurde vom Reichsverweser Miklós Horthy begnadigt, gegen die anderen Raubmörder wurde das Verfahren mit Berufung auf die Horthy-Amnestie eingestellt. So sehen die eigentlichen Sieger der Geschichte aus.

Für das Sanktionsverfahren der EU gegen Ungarn hat die Mehrheit der EU-Abgeordneten gestimmt. Das Geschichtsverständnis der ungarischen Regierung wird nicht sanktioniert, ­allerdings werden unter anderem Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten untersucht.