Die vierte Deutsche Islamkonferenz hat begonnen

Mit Muslimen reden

An der Auftaktveranstaltung zur vierten Deutschen Islamkonferenz nahm auch die neu gegründete »Initiative säkularer Islam« teil. Nicht nur damit waren konservative Muslime nicht einverstanden.

Am vorvergangenen Mittwoch sorgte Horst Seehofer (CSU) für eine Über­raschung. Im März hatte er der Bild-Zeitung noch gesagt: »Der Islam gehört nicht zu Deutschland.« Zwei Tage vor Beginn der vierten Auflage der Deutschen Islamkonferenz (DIK) vollzog der Bundesinnenminister einen Sinneswandel. Wie ein »Islam in, aus und für Deutschland« entwickelt werden könne, »der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist und damit die Werte sowie die Lebensart unseres Landes teilt«, sei die Kernfrage der vierten DIK, schrieb der Schirmherr der vom Bundesinnenministerium veranstalteten Konferenz in einem Gastbeitrag für die FAZ.

Handlungsbedarf gebe es in der Frage, wie muslimische Religionsgemeinschaften so organisiert werden könnten, »dass sie den Anforderungen des Reli­gionsverfassungsrechts für eine Kooperation mit dem Staat genügen«. Dabei gehe es auch darum, »ausländische Einflussnahme dadurch zu ersetzen, dass Deutschlands Muslime nicht nur Organisation und Finanzierung ihrer Gemeinden selbst in die Hand nehmen, sondern auch die Imam­ausbildung an ihre Bedürfnisse anpassen«.

»Wir wollen uns nicht abfinden mit der wachsenden Macht eines demokratiefernen, politisierten Islams, der die Deutungshoheit über den gesamten Islam beansprucht.« Initiative säkularer Islam

Seehofer spricht damit zentrale Fragen der deutschen Islampolitik an: die Stellung der islamischen Verbände sowie die Organisation und Finanzierung der muslimischen Gemeinden. Die Position des Innenministers ist: Islamische Gemeinden können durchaus Kooperationspartner für den Staat sein oder sogar, wie etwa die großen christlichen Kirchen, Körperschaften des Öffentlichen Rechts werden – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie frei von politischen Prägungen sind und sich von der Steuerung aus dem Ausland lösen. Auch wenn er es nicht ausspricht, ist klar, wen Seehofer meint: die großen Islamverbände, bei denen es sich eher um politische Interessenvereinigungen als um religiöse Gemeinschaften handelt.

Unterstützung erhielt der Innenminister von ungewohnter Seite. »Die ­islamischen Dachverbände, die wir heute haben, erfüllen die Bedingungen für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft momentan nicht«, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir im Interview mit der Welt. Zumindest bis zur Veröffentlichung ­eines von Özdemir und seinem damaligen Fraktionskollegen Volker Beck ­verfassten Positionspapiers im Jahr 2015 war die Religionspolitik der Grünen eher wohlwollen gegenüber den Interessen der konservativ-orthodoxen Verbände wahrgenommen worden. »Alle Parteien im Bund und in den Ländern haben die Reformbereitschaft der Islamverbände, vor allem von ­Ditib, völlig überschätzt«, räumte Özdemir nun selbstkritisch ein. Organisa­tionen, »die sich im Kern als politische Vertretung fremder Staaten sehen oder gar unsere demokratischen Werte nicht teilen«, so Özdemir weiter, könne der »Zutritt in unsere Schulen, etwa zum Religionsunterricht«, nicht erlaubt werden. Die Warnung kommt zu spät: In mehreren Bundesländern, die islamischen Religionsunterricht in der Schule anbieten, gestaltet diesen maßgeblich die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib). Seit September prüft das Bundesamt für Verfassungsschutz, ob die Ditib unter Beobachtung genommen werden soll.

In Bezug auf die Einladungspolitik sind bei der vierten Islamkonferenz ­einige Änderungen festzustellen. Größter Kritikpunkt war bislang die Dominanz der konservativ-orthodoxen Dachverbände. Ziel der 2006 vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gegründeten Islamkonferenz war der langfristige Dialog zwischen Staat und Muslimen.

 

Besprochen ­wurden dort bislang unter anderem Teilhabe und ­Integration, Religionsunterricht, Altenpflege und Seelsorge sowie Radikalisierung und religiöser Extremismus. Als »alternatives Dialogforum« organisierten der Zentralrat der Ex-Muslime und die Giordano-Bruno-Stiftung 2008 und 2013 eine Kritische Islamkonferenz (KIK). Auf dieser wurde vor allem bemängelt, dass es die »Emanzipation des Einzelnen« behindere, »das Individuum auf eine religiöse Gruppenidentität« zu ­reduzieren. 2013 wurden auch liberale Muslime zur KIK eingeladen, um ­gemeinsam gegen die »doppelte Bedrohung von politischem Islam und chauvinistischer Fremdenfeindlichkeit« vorzugehen.

Auch zur DIK wurden in diesem Jahr kleinere liberale Gruppen und Einzelpersonen eingeladen. Die große Mehrheit der Muslime gehört schließlich keinem der großen Dachverbände an und fühlt sich von diesen nicht ver­treten. Wenn Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, der weniger als 20 000 Mitglieder zählt, auf der DIK-Bühne behauptet, »die deutschen Muslime« zu vertreten, führt das heutzutage zumindest zu Gelächter im Publikum. »Das Lager jenseits der traditionellen Verbände hat sich pluralisiert. Da bricht etwas auf und das ist gut so«, sagte Volker Beck der Jungle World.

An der Auftaktveranstaltung nahmen auch Vertreterinnen und Vertreter der anlässlich der Eröffnung der vierten DIK gegründeten »Initiative säkularer Islam« teil – zum Beispiel die Imamin Seyran Ateş, die im vergangenen Jahr eine liberale Moschee gründete, und der Autor und Islamkritiker Hamad Abdel-Samad. »Wir wollen uns nicht abfinden mit der wachsenden Macht eines demokratiefernen, politisierten ­Islams, der die Deutungshoheit über den gesamten Islam beansprucht. Die Muslime sind selbst in der Pflicht, den Bedenken der nichtmuslimischen ­Bevölkerung positiv entgegenzuwirken, nämlich durch die Entwicklung eines Islams, der mit den Menschenrechten vollumfänglich vereinbar ist«, heißt es im Gründungstext der Initiative, die unter anderen auch der Psychologe Ahmad Mansour und die Frauenrechtlerin Necla Kelek unterzeichneten.

Die Publizistin Sineb El Masrar, die von 2010 bis 2013 an der zweiten Auf­lage der Konferenz teilnahm, bestätigte im Gespräch mit der Jungle World, dass auf der vierten DIK eine größere Bandbreite organisierter und nicht­organisierter Muslime an den Diskussionen beteiligt sei. Viele Themen würden allerdings weiterhin nicht verhandelt. Außerdem gehe man noch immer zu unkritisch mit den politischen Islamverbänden um. »Die Rede ist aktuell viel von einem deutschen Islam und Seehofer betonte, dass der Staat sich in dieser Angelegenheit nicht einmischen darf und es auch nicht wird. Dies tut er allerdings, indem er zum Beispiel ­Moscheen für Integrationsarbeit finanzielle Unterstützung in Aussicht stellt«, sagte El Masrar. Die Autorin, die unter anderem das Buch »Emanzipation im Islam – Eine Abrechnung mit ihren Feinden« veröffentlichte, warnt vor den Konsequenzen einer Zusammenarbeit mit den konservativen Verbänden. Die Mehrheit der Dachverbände stehe »dem Islamismus unkritisch gegenüber«. Unterstütze man sie, so stärke man einen »frauenfeindlichen, antisemitischen und antifreiheitlichen ­Islam«.

Die größte mediale Aufmerksamkeit rief ein anderer Aspekt der Islamkon­ferenz hervor: Beim Buffet einer Abendveranstaltung wurde Blutwurst aus Schweinefleisch serviert – eine Speise, die nach den islamischen Speisege­setzen als verboten gilt. Der Verein »Deutsch-Türkische Akademiker«, der auch die Teilnahme der Initiative säkularer Islam an der DIK kritisiert hatte, fragte Seehofer in einem inzwischen gelöschten Facebook-Posting: »War das jetzt ein peinlicher Versuch, den Muselmannen zu zeigen, wo der Hammer hängt, und was ihre Erwartungshaltung ist, oder haben Sie die Organisation des Caterings einem unterdurchschnittlich intelligenten Schimpansen überlassen?«

Neben der Blutwurst gab es auf der DIK noch zwölf weitere Essensange­bote. Kritiker wie die »Deutsch-Türkischen Akademiker« gehen offenbar ­davon aus, dass Muslime sich grundsätzlich an islamische Regeln halten, und trauen ihnen wohl nicht zu, sich eigenständig für oder gegen ein bestimmtes Häppchen zu entscheiden. Das Innenministerium sah sich zu ­einer Stellungnahme veranlasst. ­»Sollten sich einzelne Personen durch die Auswahl in ihren religiösen Gefühlen gekränkt gesehen haben, bedauern wir das«, teilte eine Sprecherin mit.